Interview mit dem Wiesenhof-Chef

„Wer Tiere quält, fliegt“

Lesezeit:
7 minuten

26 April 2015

Titelbild: Wiesenhof

Peter Wesjohann führt eines der größten Unternehmen der deutschen Lebensmittelindustrie – und gibt nur selten Interviews

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26 April 2015
Der Geflügelschlachter Wiesenhof ist eines der umstrittensten und verschwiegensten Unternehmen Deutschlands. Für enorm-Autorin Kathrin Hartmann nahm sich Firmenchef Peter Wesjohann trotzdem Zeit. Ein Gespräch über Qualzucht und Preisdruck

Herr Wesjohann, die Videos von gequälten Hühnern, Puten und Enten bestimmten lange das öffentliche Bild von Wiesenhof. Jetzt geben Sie sich transparent und reden mit Tierrechtlern. Was ist passiert?

Wir sprechen seit über 25 Jahren mit allen Stakeholdern. Wiesenhof ist die einzige bekannte Fleischmarke in Deutschland, deswegen steht sie besonders im Fokus. Das hat auch den Vorteil, dass man Verbesserungen schneller antreibt. Wir sind das Unternehmen mit den meisten Kontrollen in Europa. Wir haben aber auch rund 1000 selbstständige Landwirte, die uns beliefern. Dass es da immer zu 100 Prozent fehlerfrei läuft, wird man nicht hinkriegen. Wichtig ist, dass man Fehler schnell erkennt und abstellt. Wer Tiere quält, fliegt sofort raus.

PETA stellte 2010, 2011 und 2012 Strafanzeige wegen Tierquälerei. Dazu kam der Vorwurf von Hygiene-Mängeln. Die Skandale bewegten Supermarktketten und McDonald’s, Wiesenhof auszulisten. Was haben Sie geändert?

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Wir haben Kontrollen und Schulungen unserer Mäster nochmals verbessert. Wir haben eine neue Einstreu entwickelt, die verhindert, dass sich die Fußballen der Hühner entzünden. Wir haben auch andere Haltungssysteme nach vorne gebracht. Das Weidehähnchen mit einer Aufzuchtzeit von 56 Tagen und einem Quadratmeter Auslauf pro Tier ist mit dem Bayerischen Tierschutzpreis ausgezeichnet worden.

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Die prämierten Weidehähnchen und Ihre Biohühner haben Sie inzwischen aber schon wieder aufgegeben. Warum?

Das Weidehähnchen war doppelt so teuer wie ein konventionelles Huhn, deshalb haben wir nur 20.000 Tiere pro Woche verkauft. Dann hat Deutschland wegen der Vogelgrippe eine Stallpflicht verhängt. Wir durften die Hühner nach EU-Verordnung nicht mehr als Weidehähnchen verkaufen, die höheren Kosten der Aufzucht waren nicht mehr gedeckt. Die Biohähnchen durften trotzdem als solche verkauft werden. Aber ein Biohuhn kostet zwischen 10 und 20 Euro, weil es vier Quadratmeter Auslauf hat und 81 Tage lang mit Ökofutter aufgezogen wird. Das kann sich nicht jeder Verbraucher leisten. Der Absatz lag bei acht- bis zehntausend Tieren pro Woche. Mit sinkender Tendenz.

Haben Sie nicht die Kunden dazu erzogen, billiges Fleisch zu kaufen? Ihr Vater sagte: „Die moderne Geflügelzucht ist eine große soziale Tat. Ein Hähnchen kostet heute genauso viel wie vor 50 Jahren, während sich die Einkommen vervielfacht haben.“

Ich schreibe niemandem vor, welches Fleisch er kaufen soll. Ich stelle die Angebote her, sodass jeder frei entscheiden kann. In Deutschland geben die Leute elf Prozent des Einkommens für Essen aus, in Frankreich 20 Prozent. Deswegen bleibt hier das teurere Hähnchen in der Nische stecken.

Seit 2013 verkaufen Sie Hühner unter der Marke Privathof mit dem Siegel des Tierschutzbundes. Auch das ist eine Nische mit nur 50 Mastbetrieben. Rechnet sich das?

Das ist schon eine recht große Nische. Sie macht zwei bis fünf Prozent unseres Absatzes aus. Bei Privathof haben die Hühner ein Drittel mehr Platz, es gibt einen Wintergarten, Strohballen, Picksteine und Stangen. Die Rasse wächst 42 Tage. Die Produktion ist fast doppelt so teuer. Damit ist der Verkaufspreis um 40 Prozent höher, bei zerlegter Ware teilweise 70 Prozent.

Das Tierschutzlabel wurde kritisiert. Die Einstiegsstufe – die auch für die Marke Privathof gilt – bedeute nur eine minimale Verbesserung, heißt es.

Wir haben Kritikern und Tierschützern die Ställe gezeigt. Sie sagen, das sei eine riesige Verbesserung. Die waren bei ihren Besuchen überrascht, dass man das so gut machen kann.

Die Organisation SOKO Tierschutz hat in einem Privathof-Stall tote und verletzte Tiere gefilmt. Im Mülleimer lagen viele tote Küken. Es gab keinen Wintergarten und das Licht brannte rund um die Uhr. Was war da los?

Da war gar nichts los. Der Tierschutzbund und die Veterinärbehörde haben den Stall sofort untersucht. Er hat Bestnoten bekommen.

Woher kommen die Bilder dann?

Egal ob Bio-Geflügel, Privathof oder konventionelle Mast: Im Schnitt sterben zwei bis drei Prozent der Tiere. Der Landwirt läuft jeden Tag durch seinen Stall und entfernt tote Hühner. Es kann sein, dass die Tiere nachts sterben, dann liegen sie ein paar Stunden. Dann sieht das eben so aus. Das ist vielleicht nicht für alle Augen geeignet, aber im Stall ist alles in Ordnung. Eine Studie der LMU München bestätigt, dass Privathof eine tierschutzgerechte, wirtschaftliche und verbraucherfreundliche Haltung ermöglicht.

Warum stellen Sie dann nicht alle Ställe um? Die genannte Studie belegt auch, dass 70 Prozent der konventionell gehaltenen Wiesenhof-Hühner beschädigte Füße und 20 Prozent krankhaft veränderte Fersenhöcker haben, weil sie zu schnell wachsen.

Wir sind bereit, nahezu alle unsere Landwirte von der konventionellen Haltung auf Privathof-Geflügel umzustellen. Das setzt voraus, dass Verbraucher und Handel sich diese neue Form der Tierhaltung in Deutschland wünschen und bereit sind, das Mehr an Tierschutz auch finanziell zu honorieren.

Bei Puten hingegen gibt es nur eine Qualzuchtrasse, die so schwer wird, dass ihr Skelett nicht mithält. Die Verlustraten liegen bei zehn Prozent. Laut der Uni Leipzig haben alle Puten in niedersächsischen Schlachthöfen eine Fußballenentzündung und ein Drittel Brustgeschwüre. Warum steigen Sie nicht aus?

Die Zahlen kann ich nicht bestätigen. Ich gebe Ihnen Recht, bei Puten ist es etwas schwieriger als bei Hähnchen. Wir arbeiten auch bei den Puten an Verbesserungen. Bis man die Tiere züchterisch so verändert hat, dass man Unterschiede sehen kann, dauert das sechs, sieben Jahre.

Also weitere sechs, sieben Jahre Qual?

Viele Vorwürfe stimmen in der Dramatik so nicht. Wir sind nicht der größte Betrieb für Puten in Deutschland. Wenn wir damit aufhören, kommen Puten aus Frankreich oder Polen hierher, dadurch verbessert sich nichts. Das kann man nur, wenn Richtung zu bringen. Das muss das Ziel sein, schließlich hängen die Existenzen vieler tausend Mitarbeiter dran.

Laut Bund Naturschutz bekommen 90 Prozent der Puten Antibiotika, sonst schaffen sie es nicht bis zum Ende der Mast.

Wir haben die Antibiotikamenge bei Puten um 20 Prozent verringert. Das ist nicht genug. Aber bei unseren Hähnchen müssen 50 bis 60 Prozent der Tiere nicht mehr mit Antibiotika behandelt werden. Ich hoffe, dass wir 70 Prozent erreichen. 100 Prozent wird man nicht schaffen.

Tiere bekommen doppelt so viel Antibiotika wie Menschen. Der Einsatz von Reserveantibiotika, die man nimmt, wenn nichts anderes mehr hilft, ist gestiegen. Das fördert die Resistenz von Keimen.

Unsere akkreditierten Tierärzte müssen nach tierärztlicher Indikation einen Resistenztest machen, bevor sie ein Antibiotikum verabreichen. Sie sind verpflichtet, den Einsatz mit unserem zentralen Veterinärbüro zu diskutieren. Nur wenn es nicht anders geht, kommt es zum Einsatz eines Reserveantibiotikums. Wir wissen, wie wichtig das Thema ist und gehen sehr verantwortungsvoll damit um.

Der BUND hat jüngst auf Putenfleisch aus dem Supermarkt die multiresistenten Keime MRSA und ESBL gefunden, auch bei Wiesenhof-Proben. Ein Jahr zuvor fand der BUND die gefährlichen Keime auch auf Ihrem Hühnerfleisch. 15.000 Menschen sterben jedes Jahr daran …

… an den Keimen H-MRSA, die aus dem Krankenhaus kommen. LA-MRSA aus der Tierhaltung hingegen ist nicht gefährlich für Menschen. Das ist wissenschaftlichh belegt. Worauf man intensiver achten muss, sind die ESBL-Keime. Aber 98 Prozent der Infektionen kommen auch da aus dem Krankenhaus. Ich will das nicht abschieben. Wir haben in der Tierhaltung unsere Hausaufgaben zu machen. Antibiotika zu reduzieren ist eine Herkulesaufgabe, aber an der arbeiten wir schon seit 25 Jahren.

Das Robert Koch Institut hat nachgewiesen, dass LA-MRSA-Keime von Hühnern auf Menschen übertragen werden können und schwere Krankheiten auslösen. Laut dem Institut beträgt der Anteil von LA-MRSA bei MRSA-Infektionen im Krankenhaus in tierreichen Gegenden zehn Prozent. Die Keime sind in Boden und Wasser und mutieren schnell.

2,5 Prozent der MRSA-Keime stammen aus der Tierhaltung, der Rest der MRSAKeime kommt aus der Humanmedizin. Mich macht es betroffen, wenn das allein auf die Tierhaltung reduziert wird. Wir müssen ganzheitlich daran arbeiten. Das heißt auch, dass die Krankenhaushygiene in Deutschland verbessert werden muss. Wenn es nur darum geht, einen Schuldigen zu finden, verlieren wir wertvolle Zeit. Das hat mit Nachhaltigkeit überhaupt nichts zu tun.

Führt das Wachstum der Branche nicht auch zu diesen Problemen? Es gibt etwa 2000 Hühner-Mastanlagen in Deutschland, weitere 900 sind geplant. Jedes Jahr werden 600 Millionen Hühner geschlachtet, 15 Prozent mehr als die Deutschen essen – und das setzt die Mäster unter Druck. Laut der Landwirtschaftskammer Niedersachsen schrieb 2012/2013 jeder vierte Hähnchenmäster in dem Bundesland rote Zahlen. Laut der Hochschule Vechta lag der Gewinn 2005/2006 bei fünf Cent pro Hähnchen.

Sie können Angebot und Nachfrage nicht außer Kraft setzen. Aber die Zahlen kann ich nicht nachvollziehen. Die Hähnchenmäster verdienen je nach Marktlage zwischen 20 und 70 Cent pro Tier. Das hing 2012/2013 an den extrem hohen Futterkosten. Aber es gibt immer Landwirte, die ihren Job besser machen und solche, die ihn nicht so gut machen.

Wir reden von jedem vierten Hähnchenmäster. Das wären ziemlich viele.

Deswegen glaube ich die Zahlen nicht. Wir haben landwirtschaftliche Betriebe, die seit 30, 40 Jahren mit uns arbeiten. Die haben sich gut entwickelt, das wäre ja nicht möglich, wenn sie kein Geld verdient hätten. Von einem einzigen Stall kann man nicht leben, ja. Von zwei Ställen à 40.000 Tiere kann man eine Familie ernähren. Die meisten Landwirte sind damit zufrieden.

Sie offenbar nicht. Wiesenhof plant, die Kapazitäten allein in den Schlachthöfen Lohne und Wietzen von 460.000 auf insgesamt 680.000 Tiere pro Tag zu erhöhen. Um den Nachschub mit Tieren zu gewährleisten, wären weitere 230 Ställe à 40.000 Tiere nötig.

Nein. In Lohne brauchen wir keine weiteren Ställe, weil Landwirte, die bei uns bereits unter Vertrag sind, die Tiere liefern werden. Die lassen wir zur Zeit in den Niederlanden schlachten. Der Schlachtbetrieb in Wietzen ist alt, dort wollen wir neue Maschinen anschaffen, mit denen man mehr Tiere schlachten könnte. Diese Kapazität werden wir aber nicht ausnutzen. Deshalb brauchen wir keine neuen Ställe.

Schlachthöfe brauchen viel Wasser. In Lohne regt sich auch deshalb Widerstand, weil viele Brunnen dort bereits trocken sind. Die erlaubte Grundwasserfördermenge ist ausgeschöpft.

Es wird kein zusätzliches Wasser benötigt. Wir werden eine Wasseraufbereitungsanlage einsetzen, die im Umkehr-Osmose-Verfahren das Wasser keimfrei macht.

2013 haben ARD-Reporter verheerende Arbeits- und Lebensbedingungen bei Arbeitern von Wiesenhof aus Osteuropa aufgedeckt. Was ist seither passiert?

Wir haben uns immer für den Mindestlohn in der Fleischbranche eingesetzt, damit wir eine gleiche Wettbewerbsgrundlage haben. In Lohne haben wir schon vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 8,50 Euro bezahlt, auch an Werkvertragsarbeiter. Wir lassen Unterkünfte unabhängig zertifizieren. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, wird das abgestellt.

In der niedersächsischen Schlachterei Geestland ist die Situation der bulgarischen Arbeiter unsicher. Laut der Beratungsstelle für mobile Beschäftigte gehen viele krank zur Arbeit, weil ihnen sonst gekündigt wird. Einige leben in einer Kaserne zu viert in einem 25-Quadratmeter- Raum – für 200 Euro im Monat.

Wir lassen die Unterkünfte regelmäßig von einem renommierten Zertifizierungsunternehmen überprüfen. Dies war zuletzt Ende Januar der Fall. Die Überprüfungen ergaben, dass in einer sanierten Gebäudeeinheit zwei Personen je Zimmer leben. Die Großküche und der Aufenthaltsraum waren in einem ordentlichen Zustand. In einem anderen Gebäudeteil gibt es noch Vier-Bett-Zimmer. Dieser Gebäudeteil soll noch saniert werden. Viele Werkvertragsbeschäftigte haben nach unseren Informationen mittlerweile eigene Wohnungen.

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Allein in Niedersachsen gibt es 259 Bürgerinitiativen gegen Mastanlagen, im Januar haben in Berlin 50.000 Menschen unter dem Motto „Wir haben es satt“ gegen das industrielle Agrarmodell protestiert. Macht Sie das nervös?

Ich nehme jeden Protest Ernst. Wir stellen uns ja auch der Diskussion mit Politikern und Nichtregierungsorganisationen. Wir tun viel, um Dinge zu verbessern. Wenn wir das vernünftig machen – wie zum Beispiel bei Privathof – dann sind wir auf dem richtigen Weg.

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