Seltener Besuch im Werk

Hinter den Kulissen von Gore-tex

Lesezeit:
8 minuten

22 December 2015

Titelbild: Holly Mandarich/Unsplash

Gore verspricht mit seiner Gore-tex-Kleidung Abenteuer, das Material soll stundenlangen Dauerregen aushalten können. Doch wer braucht das schon? Zumal Gore einen guten Teil vom Gewinn mit Jacken und Hosen für ganz normale Menschen verdient

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22 December 2015
Gore, die Firma hinter der Marke Gore-tex, gilt als einer der besten Arbeitgeber Deutschlands. Greenpeace kritisiert die Outdoor-Branche aber immer wieder als umweltschädlich. Wer Gore dazu befragt, erlebt ein undurchschaubares Unternehmen. Wie passt das zusammen?

Der Test ist schlicht, aber elementar: Mit einer Pipette aus Glas tropft die Laborantin ein Öl auf den beigen Stoff. Tipp, tipp, tipp, tipp, tipp. Fünf dunkle Flecken in einer Reihe erscheinen auf dem blauen Stoff, der einmal zu einer Jacke verarbeitet werden könnte. Die Frau in schwarzem Rock und Pullover notiert die Ergebnisse. „Ich teste, ob das Öl einsickert“, sagt sie. Genau das soll nämlich nicht passieren. Dieses Versprechen gibt die US-Firma W.L. Gore & Associates ihren Kunden: Wer einen Anorak oder eine Schneehose mit der atmungsaktiven Gore-tex-Membran erwirbt, ist besonders gut geschützt. Vor Wasser, Öl und Dreck.

Bis zu einhundert Feld- und Labortests müsse ein Prototyp bestehen, sagt die Gore- Sprecherin, die neben der Laborantin steht. Auf Licht, auf Farbtreue, auf Reißfestigkeit und eben auf das Abweisen von Wasser und Öl. Jetzt aber möge man bitte weitergehen.

Wer solche Sätze und gar den Besuch eines Labors von Gore für belanglos hält, der irrt. Denn die knapp 58 Jahre alte Firma hat sich mit ihrer Kommunikation nach außen bisher so verhalten ihre Membran bei schlechtem Wetter: Sie hat einfach dicht gemacht.

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Ob Zahl der Tests, Produktion, Gewinne oder Forschung – Gore erzählt dazu: fast gar nichts. Bis vor Kurzem. Bis diese Undurchschaubarkeit nach hinten losging und unangenehme Fragen auftauchten. Etwa danach, wie nachhaltig die Firma agiert und ob Gore bewusst in Kauf genommen hat, die Umwelt zu schädigen.

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Schädliche Chemikalien in den entlegendsten Orten

Dass es so weit gekommen ist, hat mit Greenpeace zu tun. Acht Teams der Umweltorganisation haben im Mai und Juni 2015 einsame Gipfel erklommen und Gebirgsseen auf drei Kontinenten besucht. Die Forscher durchwanderten einen Nationalpark in Patagonien in Chile. Sie bestiegen das Altai-Gebirge in Russland, und sie erklommen die 5396 Meter hohe „Goldene Blume“, den höchsten Punkt des Haba-Schneeberges im Südwesten Chinas. Sie nahmen Proben aus Schnee und Wasser, und was die Umweltaktivisten fanden, war alles andere als goldig: Noch im entlegensten Zipfel der Welt entdeckten sie Spuren von umwelt- und gesundheitsgefährdenden per- und polyfluorierten Chemikalien, kurz PFC. Greenpeace schlug Alarm.

Der Grund: Die gefundenen Stoffe sind hoch problematisch. Sie könnten die Fortpflanzung schädigen, das Wachstum von Tumoren bewirken und Volkskrankheiten wie Diabetes fördern, sagt Christoph Schulte, der beim Umweltbundesamt das Fachgebiet Chemikalien leitet. Kurz: Das Zeug kann ziemlich giftig sein, und es ist verdammt stabil. PFC bauen sich durch natürliche Prozesse kaum oder gar nicht ab. Nach gut 60 Jahren Einsatz ist es deshalb an vielen Orten zu finden: in der Leber von Eisbären in Grönland, in Fischen in der Antarktis, in Muttermilch, im menschlichen Blut.

Diese Erkenntnis trifft auch Gore: Denn das Unternehmen aus Newark im US-Bundesstaat Delaware baut seinen weltweiten Erfolg auf Kunststoffen auf. Schon früh hatte der Ingenieur Bill Gore erkannt, wie nützlich ein Polymer mit dem höchst sperrigen Namen Polyetraflourethylen, kurz PTFE, ist. Wie gut sich damit etwa Kabel isolieren lassen. 1958 startete Gore eine eigene Firma und verbesserte fortan etliche Produkte mit den Kunststoffen: Zahnseide, Gitarrensaiten, Dichtungen für Kampfflugzeuge, medizinische Implantate. 1969 entwickelte sein Sohn Robert die wasserdichte und atmungsaktive Bekleidungsmembran Gore-tex, sie wurde später zum Verkaufsschlager und prägt seither das Image. Diese Membran besteht aus expandiertem PTFE – und um das herzustellen wurde jahrzehntelang schädliches PFC benutzt. Bis heute verwenden etliche Großkunden von Gore PFC, wenn sie Kleidung imprägnieren.

Es gibt Alternativen – und die setzen Gore unter Druck

„Die Outdoor-Industrie setzt PFC großflächig in ihren Produkten ein“, kritisiert Manfred Santen von Greenpeace. Der Chemiker aus Hamburg hat an der PFC-Spurensuche im Sommer teilgenommen, er nahm Proben an einem Bergsee in den Schweizer Alpen. Die Hersteller von Funktionskleidung seien „eine bedeutende Quelle“ für das allerorten auftauchende PFC, sagt Santen. Die gefährlichen Substanzen gelangen aus Abwässern der Fabriken und aus Waschmaschinen in die Kanalisation. Grund: Viele PFC lassen sich nicht durch Kläranlagen herausfiltern. Wenn PFC-haltige Produkte als Müll verbrannt werden, können die Stoffe auch in die Luft geraten.

Was Santen missfällt: Die Nutzung von gefährlichen Chemikalien und das Marketing von Firmen wie Jack Wolfskin, Patagonia und The North Face klaffen auseinander. Outdoor-Marken würden mit der Liebe zur Natur werben, gleichzeitig setzten sie ökologisch bedenkliche Chemikalien ein, sagt Santen. „Das ist doch absurd.“

Dabei gebe es Alternativen. Längst produzierten Hersteller wie Sympatex oder Toray fluorfreie Membranen und längst setzten Marken wie Fjällräven und Paramo solche Gewebe ein. Santen hat bei der Expedition eine umweltfreundliche Jacke getragen. „Die war tadellos.“

Es sind Aussagen, die den Ruf beschädigen – das wissen sie auch bei Gore in Deutschland. Deshalb hat die Firma nun einen Besuch im Werk zugelassen. Empfangen wird in Putzbrunn, südöstlich von München. In dem Dorf in Oberbayern beschäftigt der Konzern etwa 900 Mitarbeiter, weltweit sind es gut 10.000. Das Unternehmen ist wohlgelitten, es zahlt kräftig Gewerbesteuer. Unscheinbar stehen mehrere langgestreckte Gebäude um einen Parkplatz herum. Es gibt keinen Zaun, nur viele Bäume. Wenig deutet darauf hin, dass hier ein Hightech-Unternehmen angesiedelt ist, dessen Ingenieure sich gut abschotten. Das wird erst drinnen deutlich. Die Büros sind mit Chips gesichert, plötzlich ertönt schrill eine Sirene. Irgendjemand habe den Tür-Chip falsch benutzt, erklärt die Sprecherin, das komme häufig vor. Das Schrillen erzählt viel von der Angst vor Spionage.

Bemühungen zu Nachhaltigkeit sind noch neu

Im Besprechungsraum Isar sitzt Bernhard Kiehl, Jeans, weißes Hemd. Kiehl ist Chemiker und arbeitet seit mehr als 20 Jahren bei Gore. So lange wie viele Kollegen, die Firma ist beliebt. Wieder und wieder ist sie zu einem der besten Arbeitgeber des Landes gewählt worden. Wegen der besonderen Firmenkultur. Der 50-jährige Kiehl leitet das Nachhaltigkeitsprogramm der Textil-Sparte, und die sieht er zu Unrecht an den Pranger gestellt. „Greenpeace wirft dabei aber alle fluorierten Verbindungen in einen Topf. Das stört uns“, sagt er.

Um Kiehl besser zu verstehen, muss man eintauchen in die Welt der Chemie: Die per- und polyfluorierten Chemikalien kommen als langkettige und als kurzkettige Verbindungen vor. Lange schon haben Umweltschützer die langkettigen PFC im Visier – zuletzt konnten sie ihre Schädlichkeit konkret nachweisen. Seit 2008 ist der Einsatz und Verkauf langkettiger PFC in der Europäischen Union verboten, aber nur für bestimmte Zwecke. Im Januar 2016 werden weitere Schlupflöcher für die Bekleidungsbranche geschlossen: Bald wird der Gebrauch häufig verwendeter langkettiger PFC wie Perfluoroktansäure (PFOA) gänzlich untersagt sein.

Die Industrie hat reagiert. Sie musste. Auch Gore ist umgeschwenkt und verbannte seit 2010 die langkettigen PFC nach und nach aus der Produktion. „Wo es eine begründete Besorgnis für die Umwelt gab, haben wir umgestellt“, sagt Chemiker Kiehl. Er gehe davon aus, dass die Herstellungsprozesse „keine signifikante Quelle für PFC in der Umwelt waren und sind“.

Doch die Bemühungen sind jung: Noch um 2012 sei die Outdoor-Branche schlecht informiert gewesen über den Einsatz von Chemikalien und deren Gefahren, sagt Biologe Schulte vom Umweltbundesamt. „Manche Firmen hatten kaum Ahnung, was sie da einsetzen.“ Intern habe es kaum den Wunsch nach Veränderung gegeben.

Gore verwendet inzwischen kurzkettige Polyfluoride – doch die sind ebenfalls umstritten. Kiehl bezeichnet sie indes als harmlos: Dass diese Chemikalien schädlich seien, sei „nicht erwiesen“, beteuert er. Wissenschaftler wie Greenpeace-Mann Santen sehen das anders. Auch das Umweltbundesamt rät zu einem vorsichtigen Umgang mit kurzkettigen PFC. Noch sei nicht geklärt, wie gefährlich diese PFC tatsächlich für Menschen und Tiere seien, erklärt Schulte. „Es gibt noch nicht genügend aussagekräftige Studien.“ Das Amt plädiert schon jetzt für ein Verbot. Aus Sorge. „Wir würden uns wünschen, dass die Hersteller vollständig auf PFC verzichten.“

Warum also beharrt die Firma Gore so sehr auf dem Einsatz von kurzkettigen PFC? Bernhard Kiehl versucht das zu veranschaulichen. Er führt zum Regenraum im Nachbargebäude. In einer Kammer mit Glaswänden drehen sich zwei Puppen auf einem Ständer. Sie sind in wetterfeste Jacken gehüllt. Regen rauscht herab und prasselt gegen die Scheiben. Hier testet Gore die kommende Kollektion von großen Kunden wie The North Face oder Jack Wolfskin. Sie haben ihre Kleidung zuvor mit der Gore-tex-Membran ausgerüstet und dann imprägniert. In dieser Regenkammer agiert Gore als Wettergott: Nieselregen, Graupelschauer, Gewittersturm, Gischt. „Diese Fähigkeit zur Simulation haben nicht viele Firmen.“

Gore könnte auch abrüsten

Worauf die Ingenieure bei Gore stolz sind: Nur wenige Materialien auf der Welt könnten so dauerhaft dem Regen trotzen, das zeigten die Versuche in der Kammer und in der Natur. „Es gibt derzeit keine gleichwertige Alternative für dauerhaft wasser- und ölabweisende Ausrüstung“, sagt Kiehl. Er verweist darauf, wie nötig atmungsaktive, wetterfeste Arbeitskleidung für Extremberufe ist: für die Bergwacht, für Seeleute, für Katastrophenhelfer, für die Polizei. Das will Gore auch Besuchern klar machen: Publikumswirksam steht eine Puppe in dunkelblau- gelber Feuerwehr-Ausrüstung in der Eingangshalle. Es ist Werbung, die ohne Worte auskommt.

Was der Konzern ungern preisgibt: Ein guter Teil vom Gewinn wird vermutlich nicht mit Arbeitskleidung, sondern mit Jacken und Hosen für ganz normale Menschen verdient. Solchen, die sonntags auf den Berg gehen und im Alltag mal durch den Regen zur Arbeit radeln. Brauchen die einen so intensiven Schutz? Gore-Manager Kiehl nickt. Die Kunden wollten diese Funktion unbedingt, sagt er. Die meisten Käufer behielten ihre Jacken wohl für fünf Jahre und Beschwerden kämen vorrangig dann, wenn die Leute glaubten, ihre Jacke sei nicht so dicht wie sie sollte.

Dabei könnte Gore abrüsten – und eine Membrane herstellen, die nur noch Wasser abweist und kein Öl. Das würde den Einsatz umstrittener Chemikalien deutlich senken. Doch Gore will nicht. Weil Wissenschaftler wie Kiehl fürchten, dass körpereigene Öle dann die wasserabweisende Funktion beeinträchtigen. „Die Leistungsfähigkeit der Ausrüstung ist zentral.“

Wissenschaftler Schulte hält diesen Anspruch für übertrieben: „Natürlich ist das toll, wenn man eine Jacke hat, mit der man zehn Stunden durch den Dauerregen gehen kann. Aber wer macht das schon?“

Wie wichtig die Freizeitkleidung finanziell für den Konzern ist, ist schwer nachprüfbar. Denn Gore verschweigt seine Bilanz so gut es geht. Wer mehr wissen will, muss im Bundesanzeiger nachschauen. Im Geschäftsjahr 2013/2014 ist der Umsatz in Deutschland demnach um knapp sieben Prozent auf 569 Millionen Euro geklettert. Der Gewinn der Deutschland-Tochter stieg auf stolze 27,5 Millionen Euro. Doch wie viel Umsatz machen die vier Sparten jeweils? Und wie viel Gewinn? Neben Textilien produziert der Konzern auch Medizinund Industrieprodukte sowie Elektronik. Welches der 1000 Produkte ist das wichtigste? Was für einen Profit beschert die Gore-tex-Membran? Wer das alles fragt, erntet unangenehmes Schweigen.

Die Konkurrenz ist auskunftfreudiger

Auskunftsfreudiger ist die Konkurrenz. Die kleine Firma Sympatex stellt ebenfalls Funktionskleidung her, aber sie verwendet fluorfreie und damit umweltfreundlichere Membrane. Im Herbst 2013 hat Sympatex einen Wertpapierprospekt veröffentlicht. Darin schätzt der Rivale den weltweiten Markt für Funktionstextilien mit Membranen „auf deutlich mehr als eine Milliarde Euro“. Gore als Marktführer, so schreiben die Sympatex-Leute, erwirtschafte pro Jahr weltweit mehr als 750 Millionen Euro in dieser Sparte. So sieht Marktmacht aus.

Hohe Umsätze und Gewinne sowie innovative Produkte: Bei Mitarbeitern ist Gore sehr beliebt, und das liegt auch an der Unternehmenskultur. Fast alle Beschäftigten bekommen Aktien als Teil vom Lohn, damit sie finanziell am Erfolg teilhaben. Angeblich hat Gore noch nie in der Firmengeschichte Verlust gemacht. Der private Konzern bemüht sich um hierarchieloses Arbeiten – er ist in Teams rund um Märkte und Produkte organisiert. Die Mitarbeiter setzen sich ihre Ziele selbst und besprechen sie mit einem internen Mentor. Wer ein Team leiten will, muss um Anhänger werben und seine Ideen preisen. Das Ganze sei eine Art „Innovationsdemokratie“, sagt der amerikanische Ökonom und Vordenker Gary Hamel. Regelmäßig müssen sich die Beschäftigten gegenseitig bewerten und hinterfragen.

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Gründer Bill Gore hat das so gewollt: „Die Genugtuung und der Stolz darauf, die richtigen Dinge zu tun, tragen wesentlich zum Erfolg des Unternehmens bei“, heißt es in seiner Vision. In Putzbrunn steht dieser Satz in weißer Schrift auf knallroter Wand in der Eingangshalle. Chemiker Kiehl kann viel dazu erzählen: Denn der Technologie-Konzern steht in scharfem Wettbewerb mit Konkurrenten, das Ringen um Innovationen ist hart, sagt er. „Unsere Produkte sind Best-in-class.“ Dieser Anspruch müsse ständig verteidigt werden, und die Undurchschaubarkeit helfe dabei. Nach dem Motto: Wer seinem Rivalen verschweigt, was er tut, kann schlechter überboten werden. „Wir möchten unsere Innovationen schützen“, sagt Kiehl. Mehr Transparenz könne da „große Nachteile“ bringen. Nach innen hoch modern und nach außen verschlossen? Bei Gore halten sie das nicht für einen Widerspruch. Das machen schließlich viele Firmen in Familienhand so.

Doch so ganz lässt sich das Schweigen in Putzbrunn nicht mehr durchhalten. Zu scharf ist die Kritik von Umweltorganisationen und -behörden. Kürzlich erst hat Gore ein zusätzliches Forschungsprogramm in Höhe von 15 Millionen Dollar angekündigt. Mit diesem Geld will die Firma in den kommenden fünf Jahren nach umweltfreundlicheren Möglichkeiten zum Schutz von Kleidung suchen. Früher, so sagt Nachhaltigkeitsmanager Kiehl, hätte Gore über ein solches Programm geschwiegen. Das sei nun vorbei. „Der Markt soll sehen, wie sehr wir uns bemühen.“

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