Innovationen aus Nebenprodukten
Kreislaufwirtschaft: Gib mir den Rest!
3 minuten
8 June 2018
Titelbild: Stoica Ionela/Unsplash
Von Ananasblätter bis Kaffeesatz: Wir stellen Euch acht Start-ups vor, die in Resten Rohstoffe entdecken
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8 June 2018
Was haben Kaffeesatz und Holzverschnitt gemeinsam? Oder Maisspindel, Kaffee-Fruchtfleisch und Ananasblätter? Alles sind Produktionsreste. Sie landen täglich tonnenweise im Müll bei der Ernte oder aber der Herstellung von Möbeln, Säften und Kaffee. Und das häufig unsichtbar, denn es passiert nicht nur bei der Nutzung, sondern bereits bei der Produktion von so alltäglichen Dingen wie Gartenstühlen oder Gaumenfreuden. Doch diese Verschwendung von Rohstoffen, Energie, Wasser, Emissionen und Zeit ist problematisch – besonders in Anbetracht von Klimawandel und begrenzter Ressourcen bei zunehmender Weltbevölkerung und wachsendem Konsum.
Verwenden statt verschwenden
Material- und Nährstoffflüsse hingegen zu sinnvollen Kreisen zu knüpfen, das will das Konzept der Kreislaufwirtschaft. Dieses regenerative System steht im Kontrast zur aktuell vorherrschenden Linearwirtschaft, auch Wegwerfwirtschaft genannt. Es hinterfragt die gängige Vorstellung von Abfall – und sieht in allem Rohstoffe.
Auf dieser Idee basiert auch das Konzept „Cradle-to-cradle“, das der deutsche Chemiker Michael Braungart mitentwickelt hat. Es setzt auf geschlossene biologische und technische Produktionszyklen. Und die Idee findet immer mehr Unterstützer, auch aus der Industrie.
Für eine flächendeckende Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft bräuchte es allerdings eine Revolution von Produktdesign und Herstellungsprozessen. Zwar geht eine solche Umwälzung des Systems nicht von heute auf morgen. Und Kritiker merken an, es würde auch nicht für alle Produkte funktionieren. Doch ungenutzte Überbleibsel nicht nur zu recyceln, sondern ganz eigene Produkte daraus zu entwickeln – der Plan geht auf: Es gibt immer mehr Innovationen, die das Potenzial von Nebenprodukten nutzen. Wir haben Euch eine Auswahl dieser Reste-Retter zusammengestellt:
Aufgeweckt: Kaffeetass‘ aus Kaffeesatz
Kaffee ist und bleibt das beliebteste Heißgetränk der Deutschen. Pro Kopf werden jährlich 162 Liter Kaffee getrunken. Das ist mehr als in eine Badewanne passt. Übrig bleiben Unmengen Kaffeesatz. Dieser Abfall aus der Produktion des anregenden Gebräus brachte den Produktdesigner Julian Lechner auf eine Idee: Was liegt näher, als daraus wiederum Kaffeetassen herzustellen? Der Gründer des Berliner Start-ups Kaffeeform stellt seitdem Porzellan her – aus Kaffeesatz. Sechs Espressi ergeben eine Tasse. Und die Nachfrage ist groß. Inzwischen stellen sie aus dem Material nicht nur Espresso-Tassen, sondern auch Cappuccino- und Coffee-to-go-Becher her.
Vom Acker: maisterhafte Grillkohle
Das Berliner Start-up Cluo BBQ steht für Grillvergnügen ohne klassische Holzkohle. Denn die stammt häufig aus unnachhaltig gerodeten Regenwäldern. Stattdessen nutzen die Gründer einen unterschätzten Rest vom Acker: die sogenannten Maisspindel, der Maiskolben minus der gelben Körner. Die Maisspindeln fallen überall dort an, wo das beliebte Getreide geerntet wird – und landen sonst einfach im Müll. Wir haben einmal nachgefragt, wie es zu der Idee mit der Kohle aus Mais kam.
Starke Früchtchen: Interessiert nicht die Bohne?
Koffeinhaltig, fruchtig und Zutat für ein traditionelles Teegetränk in vielen Kaffee-Anbauländern weltweit: Die Rede ist vom Fruchtfleisch, das die begehrten Kaffeebohnen umschließt, die Kaffeekirschen. Doch in den meisten Fällen werden diese roten Früchte nach der Ernte nur entfernt. Häufig sogar umweltschädlich entsorgt. Das Produkt wurde 2016 in der EU als sogenanntes Novel Food eingeordnet, wodurch die jeweilige Zulassung für die Nutzung langwierig ist.
Das Start-up Selo Soda ist daher auf eine Alternative ausgewichen: Limo aus ungerösteten Kaffeebohnen, Green Coffee. Doch das Hamburger Start-up Caté hält am Kaffeekirsch-Konzept fest: Es nutzt die vermeintlichen Reste der Kaffeeproduktion für ein Erfrischungsgetränk so stark wie zwei Espressi. Dadurch werden die Kaffeekirschen zu einer zusätzlichen Einnahmequelle für Kaffeebauern. Und unterstützen ökologische Anbauformen – denn nur ungespritzte Kaffeekirschen lassen sich ohne Bedenken weiterverarbeiten.
Aus Kaffeekirsche lässt sich übrigens auch Mehl herstellen: das Coffee Flour ist glutenfrei und besonders nährstoffreich. Und Strohhalme zum Schlürfen von Kaffeekirsch-Limo und Co. bietet das Start-up Wisefood – aus Apfelresten aus der Saftproduktion.
Durchblick: Wo gehobelt wird, fallen Späne
In der Möbelproduktion fallen täglich tonnenweise Holzverschnitte an. Unter anderem von edlen Hölzern wie Rosen-, Eben-, oder Walnussholz. Natürlich kann man diese Reste einfach verfeuern. Oder aber man hat den Durchblick – und verwandelt diese Überbleibsel in Brillengestelle und Sonnenbrillen, wie es Wood Fellas tut. Ebenfalls aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz, allerdings nicht überwiegend aus Resten, stellt das Label Kerbholz Brillen und Uhren her. Dafür setzen sie zudem auf einen Bio-Kunststoff, der aus Holzresten und Pflanzenabfällen gewonnen wird.
Erste Sahne: Piñatex, die exotische Lederalternative
Um die 13 Millionen Tonnen Abfall fallen jährlich bei der weltweiten Ananasernte an – vor allem die faserigen Ananasblätter. Zugleich steigt die Nachfrage nach Stoffen und Materialien, besonders solchen mit den positiven Eigenschaften von Leder. Auch, weil die Lederproduktion mehr und mehr durch ihre negativen ökologischen und sozialen Nebeneffekte in Verruf gerät. Stattdessen verarbeitet die spanische Designerin Carmen Hijosa mit ihrem Start-up Ananas Anam die unterschätzten Ananasblätter zu Ananasleder. Sie taufte den atmungsaktiven Vliesstoff Piñatex – eine spanische Wortschöpfung für ein Textil aus Ananas. Mittlerweile verwandeln auch weitere Labels Piñatex zu veganen Schuhen, Möbeln, Mänteln und Taschen.