Kreislaufmode
Mode nach Cradle-to-Cradle
4 minuten
12 August 2019
Titelbild: Fauve Bouwman/Mud Jeans
Wenn Mode nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip designt ist, kann wieder spaßvoll geshoppt und gelebt werden
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12 August 2019
Vermeiden, vermindern, reduzieren, verzichten, minimieren und so weiter und so fort: Die Begriffe klassischer Umweltschutzpolitik klingen wahrlich nicht sehr sexy. Ebenso wie die Botschaft, die jene Konsumenten daraus ableiten, die einen Beitrag zur Rettung des Planeten leisten wollen: „Hör auf, so schlecht, so materialistisch, so gierig zu sein. Tu alles, egal, wie unbequem es auch sein mag, um deinen ‚Konsum‘ einzuschränken. Kauf weniger, gib weniger aus.“ 12 Jahre ist es her, dass der deutsche Chemiker Michael Braungart und der US-amerikanische Architekt William McDonough mit dem Buch „Cradle to Cradle“, aus dem hier zitiert wird, einen völlig anderen Wirtschaftsansatz publiziert und den aktuellen in Frage gestellt haben.
Von der Wiege bis zur Bahre reicht der verbreitete Produktlebenszyklus. „Rohstoffe werden gewonnen, zu Produkten verarbeitet, verkauft und schließlich in eine Art ‚Grab‘ geschafft, gewöhnlich auf eine Mülldeponie oder in eine Müllverbrennungsanlage.“ Wegwerfprodukte sind die Norm, doch „weg“ sind sie damit nicht. Die Berge an Abfall sind bekanntlich nicht das Hauptproblem, es sind vielmehr die darin enthaltenen gefährlichen Stoffe, die die Umwelt peu à peu verseuchen. Öko-Effizienz lautet die bisherige Gegenstrategie.
Doch eine Verminderung von Schadstoffen & Co. sowie ein Recycling, das meist ein Downcycling ist, beenden weder die Erschöpfung von Rohstoffquellen noch die Zerstörung der Umwelt – sie sorgen „lediglich dafür, dass diese Prozesse verlangsamt und hinausgezögert werden“. Braungart und McDonough verurteilen den Ansatz nicht komplett, sehen ihn als besser als nichts an und als Überbrückung, bis optimalere Lösungen gefunden sind. Doch für diese haben sie eine völlig andere, an der Natur orientierte Vision, in der es keine Abfälle und stattdessen Überfluss ohne schlechtes Gewissen und fatale Folgen gibt.
Welches Waschmittel will der Fluss?
Die Querdenker führen das Beispiel des Kirschbaums an. Mit seinen Blüten und Früchten zeigt er sich von einer wahrlich prachtvollen Seite und keineswegs im Graue-Maus-Look, wie es einige Öko-Produkte tun. Die Blüten belasten die Umwelt nicht, im Gegenteil: „Sobald sie zu Boden fallen, verrotten ihre Materialien und zerfallen in Nährstoffe, die Mikroorganismen, Insekten, Pflanzen, Säugetiere und Boden zum Leben brauchen“. Wird das Cradle-to-Cradle-Prinzip angewendet, wird in diesem Sinne schon bei der Produktplanung an dessen „Ende“ gedacht. Dabei gilt es, bis dato ungewöhnliche, aber entscheidende Fragen zu stellen. Beispiel: „Was für ein Waschmittel will der Fluss?“ Lediglich zwei Arten von Produkten sollte es künftig geben: Verbrauchsgüter, die vollständig biologisch abgebaut werden können, und Gebrauchsgüter, die sich endlos, ohne Qualitätsverlust, recyceln lassen.
Zu beiden Varianten gibt es in der Fashion-Branche bereits Pionier-Produkte. Die Change-Kollektion von Trigema, 2006 mit einem voll-kompostierbaren T-Shirt aus Biobaumwolle gestartet und inzwischen 60 Artikel für Damen, Herren und Kinder stark, ist cradle-to-cradle-zertifiziert (vegan ist sie übrigens auch). Voraus gingen zwei Jahre kooperative Forschungsarbeit mit dem Umweltinstitut EPEA, das von Michael Braungart mitgegründet wurde. Die Optimierung nach Cradle-to-Cradle ist ein umfangreicher und hoch wissenschaftlicher Prozess, denn jede Zutat, vom Nähgarn bis zum Etikett, muss den Anforderungen genügen
„Heute verfügen wir über Farbstoffe und Ausrüstungen, die ausnahmslos unschädlich sind und unter Kompostierbedingungen in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden können“, berichtet Wolfgang Grupp jun., Sohn des Firmenchefs und bei Trigema im Verkauf tätig. Mit der Entwicklung der Change-Kollektion ist er zufrieden: „Die Nachfrage steigt stetig. Aktuell hat sie einen Anteil von fünf Prozent an unserem Gesamt-Sortiment, das ebenfalls nachhaltig, da ‚made in Germany‘ ist. Wir arbeiten permanent daran, neue Materialien zu entwickeln und den Design-Spielraum zu vergrößern, doch dazu sind lange Tests erforderlich.“
Auch die niederländische Marke reWrap folgt dem Cradle-to-Cradle-Prinzip. Die zu 100 Prozent biologisch abbaubaren Taschen sind aus natürlichen Materialien wie Kokosfasern, Naturkautschuk, FSC-zertifiziertem Nussbaumholz und Bienenwachs gefertigt. „Das Designkonzept ist eine Herausforderung, aber sehr bereichernd, wenn wir auf die End-Resultate schauen“, sieht Erica Bol die Marke reWrap auf dem richtigen Weg.
Das Schweizer Unternehmen Freitag startete einst mit Taschen eine Erfolgsstory, die aus ehemaligen LKW-Planen hergestellt werden. Es wird stets versucht, in Kreisläufen zu denken und zu handeln, so ist inzwischen auch Cradle-to-Cradle-Mode Bestandteil des Produktspektrums. Denn zunächst suchten die Brüder Daniel und Markus Freitag „nur“ nach ecofairer Arbeitskleidung für ihre Mitarbeiter. „Dann merkten wir, dass es am Markt nichts nach unseren Vorstellungen gab: einen robusten, konsequent nachhaltig produzierten und kompostierbaren Stoff, hergestellt in Europa.“
Die Selfmade-Men wurden daraufhin auch in dieser Angelegenheit aktiv und kreierten mit einem eigens zusammengestellten Team eigene Textilien unter dem Namen F-abric, vom Shirt bis zur Jeans. Die Faser-Wahl fiel auf Hanf und Flachs, beides europäische Bastfasern, deren Ökobilanz bezüglich Wasserverbrauch und Transportwegen besser als die von Baumwolle ist. Modal, aus Buchenholzspänen gewonnen und ebenfalls biologisch abbaubar, wird als weiterer Rohstoff beigemischt und macht die T-Shirts weicher. Die Entwicklungszeit von F-abric war mit fünf Jahren lang: „Wir hatten keine Ahnung, aber ziemlich viel Ausdauer“, schmunzelt Daniel Freitag.
Produkte werden zurückgenommen
Die Marke Luxaa setzt auf die zweite Variante des Cradle-to-Cradle-Prinzips. Herzstück ihrer Kollektionen ist das in der Mode außergewöhnliche Material Tyvek, ein sortenreiner Kunststoff, der in Haptik und Optik Papier ähnelt. Leicht im Tragekomfort und nicht nur optisch etwas Besonderes: Tyvek kann bis zu fünfmal wieder zu Tyvek recycelt werden. Erst danach beginnt ein Downcycling, beispielsweise zu Schutzhelmen oder Trinkwasserrohren. Und wenn die Produkte letztlich verbrannt werden, entstehen lediglich Wasser und geringe Mengen CO2. Gefertigt wird Luxaa-Fashion ausschließlich in Deutschland und Polen. Getragene, abgelegte Kleidungsstücke können wieder an Luxaa zurückgegeben werden. Die Kunden erhalten im Gegenzug einen Zehn-Prozent-Wert- Gutschein, einlösbar im Handel oder Luxaa-Webshop. Luxaa führt die Produkte, die auch über den Gelben Sack „entsorgt“ werden können, dem Recycling zu.
100 Prozent Cradle-to-Cradle sind die niederländischen Mud Jeans noch nicht, doch das Unternehmen hat ebenfalls einen eigenen Kreislauf geschaffen, in diesem Fall für Denim. Mud Jeans bietet viele Möglichkeiten an, wie eine Jeans weiterleben kann: Kleine Risse werden kostenfrei wieder zusammengenäht. Wem die Jeans nicht mehr passt oder gefällt, der schickt sie wieder zurück: Gut erhaltene Produkte werden vom Designteam wieder aufgepeppt und weiterverkauft. Bei kaputten Hosen wird das Denimgarn zu neuen Kleidungsstücken weiterverarbeitet, zum Beispiel zu Pullovern und Cardigans, die dann zu 85 Prozent aus recyceltem Denim bestehen.
Neue Jeans benötigen „im Moment noch“ eine Beigabe von 60 Prozent frischer Baumwolle. Marketing Managerin Danique Gunning zeigt sich zufrieden: „Wir sind mitunter sogar überwältigt von der positiven Resonanz, die wir bekommen. Der große Unterschied zwischen dem Kreislauf- und Einbahnstraßen-Modell ist, dass wir sehr dauerhafte Beziehungen zu unseren Kunden aufbauen und pflegen. Diese schicken abgelegte Jeans zurück und bestellen meist gleich eine neue.“
Nur natürliche oder nur synthetische, sortenreine Materialien sind die beste Cradle-to-Cradle-Voraussetzung. Eine besondere Herausforderung sind die vielen Mischungen bei- der Komponenten im Markt. Zum einen kann schon im Design darauf geachtet werden, dass sich Bestandteile später wieder trennen lassen. Doch auch für Produkte mit Faser-Mix arbeiten Unternehmen an Lösungen. Worn Again zum Beispiel entwickelt Verfahren, bei denen Polyester- und Baumwollfasern (die am weitesten verbreiteten Fasern) aus Altkleidern wieder extrahiert werden und zu neuen Textilien verarbeitet werden können.