Im Gespräch mit Naomi Klein

„Es gibt nur noch radikale Optionen“

Lesezeit:
5 minuten

26 April 2015
Naomi Klein ist der Star der Globalisierungskritik. Jetzt fordert sie nichts weniger als die Abschaffung des Kapitalismus. Eine Begegnung

Die Globalisierungskritikerin empfängt im Salon Bel Etage. Hier, im Designhotel Stue, mitten im Berliner Botschaftsviertel, hat der Verlag Naomi Klein einquartiert. Die Kanadierin ist in Deutschland, um ihr Buch „Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima“ vorzustellen. Es ist ihre jüngste Abrechnung mit dem Neoliberalismus, ihrem Lebensthema – diesmal verbindet sie es mit dem Klimawandel.

Auf 700 Seiten plädiert sie dafür, „in großen Maßstäben zu denken, ganz tief unten anzusetzen und den erdrückenden Marktfundamentalismus zu beseitigen“. Der Grund: Nur so ließen sich die Folgen der Erderwärmung begrenzen. Die 44-jährige Aktivistin und Journalistin erzählt aber auch von Alternativen und Initiativen, die sich weltweit formen. Einige davon unterstützt sie.

Ein paar Tage vor diesem Interview sprach sie bei der Blockupy-Demonstration in Frankfurt, die sich gegen den harten Sparkurs der EU richtete, unter dem etwa die Griechen leiden. Während der Veranstaltung griffen Teilnehmer Polizisten an und setzten Streifenwagen in Brand. Mehr als 200 Personen wurden verletzt.

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Frau Klein, in Ihrem Buch rufen Sie dazu auf, den Kapitalismus sofort und radikal zu verändern. Ist Gewalt legitim, um dieses Ziel zu erreichen?

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Nein. Ich weiß nicht, was an dem Morgen in Frankfurt passiert ist. Ich bin am Nachmittag eingetroffen und meine Botschaft war auch eine andere. Ich habe für den friedlichen Zusammenschluss zweier Bewegungen plädiert: Die Aktivisten, die für Klimagerechtigkeit kämpfen, sollten sich mit den Kritikern der EU-Austeritätspolitik vereinen.

Klimagerechtigkeit meint, dass der CO2-Ausstoß sowie die Folgen der Erderwärmung weltweit gleichmäßig verteilt werden sollten. Was hat das mit Europas Sparpolitik zu tun?

Wir haben es mit einem Konflikt zwischen dem Kapitalismus und dem Klima zu tun. Vor dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 hatte Europa bei der Bekämpfung des Klimawandels eine Führungsrolle übernommen. Südeuropa zum Beispiel boomte bei regenerativen Energien. Jetzt ist alles anders. In der Krise wird die Umwelt geopfert. Vor den Küsten Italiens und Griechenlands wird verstärkt nach Öl und Gas gebohrt, auch Fracking wird gefördert. Das sei nötig, damit die Länder ihre Schulden abbauen, heißt es. Die unnachgiebige Sparpolitik führt dazu, dass Regierungen nicht investieren können – die privaten Rohstoffproduzenten hingegen schon. Dabei ließen sich mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien schnell Jobs schaffen. Deshalb sollten beide Bewegungen zusammen arbeiten.

Bekannt geworden ist Naomi Klein vor 15 Jahren mit „No Logo!“. In dem Bestseller, der in 28 Sprachen übersetzt wurde, beschrieb sie die Macht globaler Marken. In „Die Schock- Strategie“ (2007) zeigte sie, wie Marktradikale wirtschaftliche Schocks oder Naturkatastrophen ausnutzen, um Sozialsysteme zu deregulieren und Privatisierungen voranzutreiben. In „Die Entscheidung“ vertritt sie eine neue These: Der Neoliberalismus der letzten 35 Jahre hat die von Menschen angestoßenen Umweltveränderungen dramatisch verstärkt – und das zu einem fatalen Zeitpunkt.

Als Forscher Ende der 1980er-Jahre begannen, eine drastische Reduzierung der Emissionen anzumahnen, schlug die Wirtschaft mit dem Segen der Politik den entgegengesetzten Weg ein: Sie trieb die industrielle Produktion und den privaten Konsum in nie gekannte Ausmaße. Wo ein Umdenken nötiger wäre als je zuvor, verteidigen Unternehmen ihre Geschäftsmodelle mit allen Mitteln. Und die Politik versagt – nicht zuletzt, weil die Bankenrettungen der letzten Jahre sie finanziell handlungsunfähig gemacht haben.

Also muss die Zivilgesellschaft ran, folgert Klein. Die sozialen Bewegungen sollten vereint auftreten und so viel Unterstützung für ihre Vision einer fairen und klimagerechten Wirtschaft sammeln, bis die politischen Parteien sich gezwungen sehen, ihre Ideen zu übernehmen.

Bürgerrechtsbewegungen gab es viele in der Geschichte, grundlegende Reformen des Wirtschaftssystems haben sie nie erreicht. Was macht Sie so optimistisch, dass das jetzt gelingt?

Ich bin nicht optimistisch. Ich habe nur noch nicht aufgegeben daran zu glauben, dass wir es schaffen können. Ich habe viel Zeit damit verbracht, mir das Schlimmste dessen anzusehen, wozu Menschen fähig sind. Der Hurrikan „Katrina“ etwa, über den ich in meinem letzten Buch geschrieben habe, hat 2005 zu einem Privatisierungsrausch geführt und aus New Orleans eine gespaltenere Stadt gemacht, als sie es vorher war. Wenn wir nichts unternehmen, werden wir diesen Katastrophenkapitalismus viel häufiger erleben und ich sorge mich darum, wie wir Menschen damit umgehen. Solange es physikalisch also möglich ist, die Erderwärmung unter der kritischen Grenze von zwei Grad Celsius zu halten, müssen wir das versuchen. Ich merke bei meinen Gesprächen aber, dass viele bereits aufgegeben haben.

Vielleicht, weil Ihre Forderung wenig Mut macht? Radikaler Wandel hätte schmerzhafte Einschnitte zur Folge – das wünscht sich keiner.

Der Klimawandel hat einen Punkt erreicht, an dem es für uns nur noch radikale Optionen gibt. Worüber ich spreche, mag unrealistisch klingen. Aber wenn wir so weiter machen wie bisher, wird sich die Erde um vier bis sechs Grad erwärmen und das hätte ebenfalls dramatische Folgen. Deshalb habe ich mein Buch im Original auch „This Changes Everything“ genannt. Nichts von dem, was uns erwartet, wird einfach.

Wie sollte der gesellschaftlich-wirtschaftliche Umbau beginnen?

Die zivilgesellschaftlichen Gruppen müssen zusammen einen wissenschaftlich basierten Plan ausarbeiten. Wir kennen das CO2-Budget, das wir noch verfeuern dürfen. Wir wissen, wie viel CO2 wir reduzieren müssen. Dazwischen gibt es jede Menge Möglichkeiten. Eine davon könnte eine Regelung sein, wonach Arbeiter, die im fossilen Sektor ihren Job verlieren, geschult werden und eine Anstellung in den erneuerbaren Energien erhalten. In Toronto stellt eine Fabrik Solarzellen mit den Mitarbeitern her, mit denen sie früher Ersatzteile für Fahrzeuge produzierte.

Was streben Sie an: einen anderen Kapitalismus? Kommunismus?

Kapitalismus ist es nicht, und auch der Kommunismus hat sich als zerstörerisch für die Umwelt herausgestellt. Es existiert noch kein Beispiel für das, was wir benötigen. Es muss ein Modell sein, in dem der öffentliche Sektor, Non-Profit-Organisationen und Genossenschaften eine größere Bedeutung haben als heute. Die achtsame Wirtschaft muss wachsen, die achtlose muss schrumpfen.

Um diesen Umbau zu finanzieren, plädiert Naomi Klein in ihrem Buch für die Besteuerung von CO2-Emissionen, Finanztransaktionen und Vermögen. Auch die Trockenlegung von Steueroasen und das Verursacherprinzip, wonach Konzerne für ihre Umweltschäden gerade stehen müssen, sollten konsequent angewandt werden.

Trotzdem bleibt ihre Vision einer Ökonomie der Zukunft vage. Sie erwähnt das Grundeinkommen, lobt, dass die Einwohner Hamburgs 2013 per Volksentscheid für den Rückkauf der Energienetze stimmten, spricht sich gegen Freihandelsabkommen und die globalisierte Güterproduktion aus und will den Massenkonsum einschränken.

Auf die Hilfe „grüner Milliardäre“ wie Richard Branson, die sich als „Heilsbringer“ ins Spiel bringen, zählt sie nicht mehr. Dem Briten, der einen Großteil seines Vermögens mit der Luftfahrt und also der Verschmutzung der Atmosphäre verdient hat, widmet sie ein Kapitel, weil er 2006 ein Versprechen abgab. Er wolle innerhalb von zehn Jahren drei Milliarden US-Dollar in die Entwicklung von Biokraftstoffen und andere Technologien für den Kampf gegen den Klimawandel investieren. Das Geld werde er von den Profiten der Virgin-Transportgesellschaften abzweigen, so Branson.

Eine „aparte“ Idee, die, wie Klein schreibt, „gar nicht so schlecht war“. War, wohlgemerkt. Denn auf 30 Seiten weist sie detailliert nach, dass Branson sein Versprechen knapp zehn Jahre später nur zu einem Bruchteil eingelöst hat und er mehr an der Inszenierung als Retter als an tatsächlichen Lösungen interessiert ist.

Spielen herkömmliche Unternehmen in Ihren Überlegungen überhaupt noch eine Rolle?

Sie spielen eine Rolle, vor allem bei der Entwicklung von Technologien für Erneuerbare Energien. In dieser Hinsicht hat der Kapitalismus erstaunliche Fähigkeiten hervorgebracht. Nur: Wir dürfen dem Markt den Umbau nicht überlassen. Es wäre ein Fehler zu glauben, dass der Kapitalismus, der uns die Probleme eingebracht hat, sie auch lösen wird – nur weil ein paar grüne Unternehmen gezeigt haben, dass sie profitabel sind.

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Was Sie skizzieren, dürfte nicht reibungslos verlaufen. Rechnen Sie damit, dass wir mehr Gewalt sehen werden wie bei der Blockupy-Demonstration?

Auch wenn mir die Ausschreitungen nicht gefallen haben: Um eine gewaltsame Demo in Frankfurt mache ich mir wenig Gedanken. Ich sorge mich mehr um die Folgen der Austeritätspolitik. In manchen Ländern sind 40 Prozent der jungen Menschen ohne Arbeit. Sie engagieren sich und wählen linke Parteien, die sich gegen den EU-Sparkurs richten, doch die Botschaft, die Brüssel sendet, lautet: Es ist egal, wen ihr wählt oder was ihr macht – wir bleiben bei unserer Politik. Wenn sich dieser Gedanke durchsetzt, ist Demokratie in der EU nicht mehr möglich. Das wird zu noch mehr Wut und Verzweiflung führen. Die Menschen sehen dann keinen Ausweg mehr und das spielt den rechten Parteien in die Hände, wie Goldene Morgenröte in Griechenland oder Front National in Frankreich. Also: Ja, ich befürchte, dass wir noch mehr Gewalt sehen werden in Zukunft.

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