Norwegischer Staatsfonds
Schmutziges Geld für eine saubere Welt
6 minuten
18 October 2019
TITELBILD: ALEKS DOROHOVICH/UNSPLASH
Der Reichtum des norwegischen Staatsfonds gründet auf Öl. Aber muss der größte Staatsfonds der Welt deswegen auch in die schmutzige Industrie investieren?
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18 October 2019
Sucht man bei Instagram nach „Norwegen“, wird man mit atemberaubenden Himmeln belohnt, mit dem Grün des Nordlichts gesprenkelt, und mit gefrorenen Bergketten, die sich in der stillen Schwärze der Fjorde spiegeln. Aber Instagram wird nicht zeigen, was unter diesen Reizen verborgen liegt: Millionen und Abermillionen von Tonnen flüssigen Goldes.
Jahrhundertelang wusste diese Fischernation nicht, was unter ihr lag. Doch nachdem sie 1966 begann, Ölbohrlizenzen zu vergeben, wurde Norwegen schnell zum größten Ölproduzenten Europas. 20 Jahre lang belebte und entwickelte dieser neu gewonnene Reichtum das Land. Als dann Quellen und Überschüsse immer noch sprudelten, kam die Regierung auf die Idee, einen Fonds als eine Art nationales Sparkonto einzurichten.
1996 wurden die ersten Gelder in den Fonds eingezahlt, der sich in der Hand des norwegischen Volkes befindet und von der Investmentgesellschaft der Nationalbank verwaltet wird.
Großer Staatsfonds, große Diskussionen
Inzwischen, mehr als zwei Jahrzehnte später, ist der Ölfonds vom nationalen Sparkonto zum Schlüssel für die Zukunft des Landes geworden. Er ist heute der größte Staatsfonds der Welt. Sein Wert hat die Grenze von einer Billion Dollar erreicht und liegt damit doppelt so hoch wie der Barwert aller zukünftigen Öl- und Gaseinnahmen und zweieinhalb Mal so hoch wie das BIP Norwegens. Die jährliche Rendite lag seit 1998 bei durchschnittlich 5,9 Prozent, bereinigt um Managementkosten und Inflation bei 4 Prozent. Bis auf wenige Ausnahmen hat der Fonds im Jahresvergleich Nettogewinne erzielt.
Und je größer die Bedeutung des Fonds für die norwegische Wirtschaft wird, desto heftiger wird die Debatte über seine Ausrichtung. Eine große Sorge besteht darin, dass ein großer Fonds für politische Zwecke manipuliert werden könnte. „Viele Experten sagten uns, es sei etwas naiv zu glauben, dass eine demokratische Gesellschaft einen so großen Cashflow nachhaltig managen kann“, sagt Jens Stoltenberg, norwegischer Premierminister von 2000 bis 2001 und 2005 bis 2013.
Die Regierung wusste, dass sie vorsichtig sein musste: Die Welt hat viele Oligarchien, die mit Öl reich geworden sind – auf Kosten ihrer Nation. Norwegische Politiker und Banker achten deshalb strikt darauf, über die Zukunft des Fonds ausschließlich mit finanziellen Argumenten zu debattieren. Das strikte Ziel ist die Maximierung der Rendite.
Ausstieg aus Öl und Gas – ein bisschen
Und genau dieses Ziel führte im November 2017 zu einer Ankündigung, die Umweltschützer weltweit jubeln ließ, und die Aktien der Ölkonzerne ins Wanken brachte: Der Ölfonds wolle sich komplett aus der Anlage in Öl- und Gasunternehmen zurückziehen, die umgerechnet 35 Milliarden Dollar des Fondsvolumens ausmachten.
Egil Matsen, stellvertretender Gouverneur der norwegischen Nationalbank, war an der Erstellung dieser Anlageempfehlung beteiligt. Er sagt, ökologische Argumente hätten dabei keine Rolle gespielt: „Unser Ratschlag bezieht keine Stellung zu Umweltfragen im Zusammenhang mit der Ölund Gasproduktion oder der Nachhaltigkeit dieses Sektors.“ Es gehe lediglich darum, das sogenannte „Klumpenrisiko“ zu vermeiden und nicht zu sehr vom Öl abhängig zu sein: „Wenn der Ölpreis fällt, wäre die Rendite des Fonds niedriger als sonst“, sagt er am Besprechungstisch in seinem Eckbüro in der Zentrale der Bank. „Das sind die Zeiten, in denen auch die Öl- und Gaseinnahmen der Regierung leiden werden. Deshalb halten wir es für eine gute Absicherung, Öl- und Gasaktien nicht in den Referenzindex aufzunehmen.“
Eine zweite Stellungnahme zum gleichen Thema aus dem August 2018 habe einen etwas anderen Blickwinkel gewählt, sagt Matsen, und sei deshalb zu dem Schluss gekommen, besser im Ölsektor investiert zu bleiben. Aber auch bei ihr sei es nicht um Umweltfaktoren gegangen. „Es wird diskutiert, aus ethischen Gründen nicht in fossile Brennstoffe zu investieren“, sagt er. „Aber das findet außerhalb der Bank statt.“
Investitionen in erneuerbare Energien?
Zum Beispiel im Kulturhuset, einem Coworkingspace im Zentrum von Oslo. Bei einer Frühstücksdebatte in der Event-Location mit Backsteinoptik und Glitzervorhängen diskutieren dort junge Menschen mit Politikern schon seit 90 Minuten, ob der Ölfonds auch in nicht börsennotierte Infrastrukturprojekte investieren sollte, als Terje Osmundsen auf die Bühne springt – frustriert über Politiker, die nicht erkennen wollen, dass die langfristige finanzielle Performance des Fonds von der Umwelt abhängt.
Osmundsen arbeitete in den 1980er-Jahren als Staatssekretär im Büro des Ministerpräsidenten an der Einrichtung des Fonds. Heute leitet er Empower New Energy, das Infrastrukturprojekte in Entwicklungsländern finanziert. Er stimmt zwar prinzipiell zu, dass der Fonds nicht für politische Zwecke verwendet werden sollte, aber beim Klimawandel gehe es nicht so sehr um Politik, als vielmehr um die Sicherung der Lebensgrundlagen. „Es reicht nicht aus zu sagen, dass man nicht in fossile Brennstoffe investieren wird“, sagt er. „Der Fonds muss in erneuerbare Energien investieren, um das Szenario einer Erwärmung um 3 bis 4 Grad bis zur Mitte des Jahrhunderts zu vermeiden. Bis dahin sind es nur noch 30 oder 40 Jahre.“ Solche Entscheidungen könnten die Norweger nicht allein dem Fondsmanagement überlassen: „Als Wähler müssen wir uns der Tatsache bewusst werden, dass das, was wir tun, eine sehr wichtige Wirkung hat.“
Der Ölfonds unternimmt Schritte in Richtung erneuerbare Investitionen – natürlich nur aus finanziellen Gründen. Im Jahr 2018 stimmte das norwegische Parlament schließlich dafür, dass der Fonds auch in nicht börsennotierte erneuerbare Energieprojekte wie Solar und Wind investieren könne.
Damit folgen die Norweger den Entscheidungen zahlreicher anderer institutioneller Investoren und Private-Equity-Fonds wie der Blackstone Group und PensionDanmark, einem dänischen Pensionsfonds mit einem verwalteten Vermögen von 32 Milliarden Euro.
Wenn der größte Staatsfonds der Welt seine Muskeln spielen lässt, spürt die Welt den Druck. Norwegen hält 1,3 Prozent aller globalen und 2,3 Prozent aller europäischen Aktien.
„Ethische Gründe“ kein Novum
Der Wunsch, ein verantwortungsbewusster Aktionär zu sein, überwog in jüngster Zeit schon mehrfach das Streben nach maximalen Renditen. Der Ölfonds zog sich bereits 2010 aus allen Tabakunternehmen zurück – was in den folgenden fünf Jahren die Renditen um 0,68 Prozent oder 1,94 Milliarden Dollar reduzierte.
2017 wurden Unternehmen ausgeschlossen, die mit der Produktion von Atomwaffen zu tun haben, wie Boeing, Airbus oder Lockheed Martin, sowie Unternehmen, die Menschenrechte verletzen oder Umweltschäden verursachen, wie Walmart und Duke Energy. Ohne diese Maßnahmen wäre die kurzfristige Rendite 1,1 Prozentpunkte oder 1,4 Milliarden Dollar höher gewesen.
Harald Magnus Andreassen, Chefökonom bei SpareBank 1 Markets, räumt ein, dass der Ölfonds in einigen wenigen Fällen aus „ethischen Gründen“ handelt. „Da geht es um Kinderarbeit“, sagt er, „und auch um Waffen, Tabak und Kohle. Aber es gab zumindest bisher keinen Versuch, das gleiche Argument gegen Öl zu verwenden – ich schätze, auch weil wir ebenfalls ein Produzent sind, und das wäre ein Paradoxon.“
Kohleausstieg leichter als der aus Öl
Öl ist so tief in der norwegischen Psyche verwurzelt, dass sein Ausschluss aus dem Fonds für die Norweger viel schwieriger vorstellbar ist. Doch ein jüngster Präzedenzfall ebnete den Weg zum völligen Ausschluss fossiler Brennstoffe.
Im Jahr 2015 stieg der Ölfonds aus der Steinkohle aus – nach einer zweijährigen Kampagne von Greenpeace, dem World Wildlife Fund und Future in Our Hands, der norwegischen NGO, die auch die Frühstücksdiskussion im Kulturhuset organisiert hat. 69 Unternehmen weltweit sind aufgrund ihrer Abhängigkeit von Kraftwerkskohle ausgeschlossen.
Die Gruppen, die den Kampf um die Kohle gewannen, peilen nun den Ausstieg des Fonds aus allen fossilen Brennstoffen an. Sony Kapoor, Geschäftsführer des internationalen Think Tanks Re-Define, zweifelt daran, dass die Norweger das schaffen. „Der Premierminister spricht davon, die Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren, aber es werden keine Maßnahmen ergriffen“, sagt er. „Die Öllobby ist in Norwegen überaus mächtig und alles, was den Stein ins Rollen bringen könnte, wird hochpolitisch.“ Kapoor ärgert sich über die Diskrepanz zwischen der pro-grünen Rhetorik und der tatsächlichen Politik des Landes: „Norwegen hat sich verpflichtet, seine Inlandsemissionen bis 2030 um 40 Prozent zu senken, versucht aber gleichzeitig, die Öl- und Gasexporte zu maximieren, deren Emissionen zehnmal so hoch sind.“ Norwegen, so Kapoor, habe seit 1988 mehr als 0,7 Prozent aller Emissionen weltweit verursacht hat, und das mit weniger als 0,07 Prozent der Weltbevölkerung.
Norwegischer Staatsfonds unter Druck
Der Druck auf die Fonds-Verantwortlichen steigt. Vor dem Parlament klettern drei Frauen in Wollmänteln und Handschuhen auf Bänke. Sie halten Plakate, protestieren gegen den Klimawandel – in Solidarität mit Greta Thunberg, einer schwedischen Teenagerin, die seit August 2018 vor dem schwedischen Parlament protestiert. „Unsere gesamte Gesellschaft ist auf Öl aufgebaut. Wir sind Öljunkies“, sagt die Künstlerin Mariken Lauvstad von ihrer Bank aus. „Etwas muss sich ändern.“
„Das Bewusstsein für den Klimawandel steigt von Monat zu Monat“, sagt Terje Osmundsen. Er glaubt, dass das Thema mit zunehmender Bedeutung auf der internationalen Agenda auch in Norwegen mehr Gewicht bekommen wird.
Er plädiert dafür, dass der Fonds den Anteil der Investments in erneuerbare Energie oder Low-carbon-Infrastruktur innerhalb von fünf Jahren von 1 auf 4 Prozent erhöht. „Es hätte einen großen Einfluss, weil die Beträge so enorm sind. Es wird den Standard setzen“, sagt er. Anja Bakken Riise, Direktorin von Future in Our Hands und Gastgeberin der Veranstaltung im Kulturhuset, sagt, dass einige Politiker bereits Stellung beziehen. „Die Norges Bank fordert seit 2006 erleichterte Infrastrukturinvestitionen und das Finanzministerium hat sie blockiert“, sagt sie. „Aber sie blockieren es nicht mehr. Sie werden einem begrenzten Mandat dienen.“ Riise verweist auf den jährlichen New Climate Economy Report, der besagt, dass die Welt bis 2030 jedes Jahr 1 Billion Dollar an nachhaltiger Infrastruktur benötigt, um die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen: „Das ist so groß wie ein norwegischer Ölfonds jedes Jahr.“
Klimawandel auch eine Gefahr für den Fonds
Schließlich werden die beiden Seiten der Debatte vielleicht feststellen, dass sie eng miteinander verbunden sind. Wissenschaftler prognostizieren eine beispiellose Verwüstung, wenn die globalen Temperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts nur um 2 Grad Celsius steigen. Die heißen Sommer werden unerträglich werden, weitere 420 Millionen Menschen werden mit Hitzewellen konfrontiert sein. Die Korallenriffe der Welt werden zerstört und die Meerestiere ausgelöscht. Der Meeresspiegel wird steigen und das Leben von 10 Millionen Menschen durch Überschwemmungen gefährden.
Angesichts dieser Gefahren mag es für den größten Ölfonds der Welt nicht paradox erscheinen, nicht mehr in Öl zu investieren. „Ich denke, die Agenda des Fonds ist eigentlich die Zukunft der Menschheit“, sagt Osmundsen und greift sich seinen Fahrradhelm, um zur Arbeit zu fahren. „Wenn die Zukunft düster aussieht“, sagt er, „dann ist auch die Aussicht für den Fonds düster.“
From Institutional Investor, 24. October 2018 © 2018 Institutional Investor, LLC. All rights reserved. Used by permission and protected by the Copyright Laws of the United States. The printing, copying, redistribution, or retransmission of this Content without express written permission is prohibited. Übersetzung: Detlef Gürtler