Buddhas Ökonomen

Mindful Finance macht den Kapitalismus menschlicher

Lesezeit:
4 minuten

30 December 2019

TITELBILD: KENNY SOREN/UNSPLASH

Der Ansatz der Mindfulness wird gefördert, dass das Gewicht des Westens in der Weltwirtschaft immer geringer wird und dadurch nicht-westliche Denk- und Handlungsweisen stärker zum Zug kommen (Symbolbild).

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30 December 2019
Mindful Finance klingt ein wenig verträumt – hat aber das Potenzial, unser Wirtschaftsleben spürbar auf Menschen und deren Beziehungen auszurichten.

Es fühlt sich merkwürdig an, einen Workshop über Finanzen mit einer Meditation zu beginnen. Erst einmal zwei Minuten lang in sich hineinhören, und dann erst die eigenen Antennen auf Empfang stellen? Allerdings scheine ich der einzige im Raum zu sein, dem das seltsam vorkommt. Für alle anderen Teilnehmer*innen bei diesem Seminar zu Mindful Finance in München wirkt das wie selbstverständlich, die meisten von ihnen erzählen auch in der Vorstellungsrunde, was Meditation für sie bedeutet. Selbstfindung als Geschäftsgrundlage? Nicht ganz. Es handle sich nicht um eine individuelle, sondern um eine gemeinsame Meditation, erläutert Friedhelm Boschert, Gründer des Mindful Finance Institute und Initiator der Veranstaltung. Auf diese Weise wird eine Beziehung zwischen allen Teilnehmer*innen hergestellt. Und Beziehungen sind wichtig bei diesem Thema.

Beziehungen sind zwar auch in der herkömmlichen Wirtschaftswelt bedeutend – wie alle wissen, die sich schon einmal um einen Job oder einen Auftrag beworben haben. Aber in der Mindful-Welt spielen sie noch einmal eine ganz andere Rolle. Die eigentliche Rolle nämlich. „In der herkömmlichen Finanzwelt dreht sich alles um Transaktionen“, sagt Ernest Ng, Professor für buddhistische Ökonomie an der Universität Hong Kong. „Diese Welt besteht aus Waren und Dienstleistungen, die Menschen agieren als Produzenten oder Konsumenten.“ Die persönlichen Beziehungen sind in erster Linie Mittel zum Zweck – der Transaktion, dem Profit.

Mindful Finance nimmt Menschen als Menschen wahr

In der Welt von Mindful Finance hingegen, so Ng, würden Menschen als Menschen gesehen – Menschen, die miteinander und mit ihrer Umwelt in Beziehung stehen. Geschäfte seien nur gute Geschäfte, wenn sie diese Beziehungen verbessern, oder ihnen zumindest nicht schaden. Niemandem ein Leid zuzufügen, sei ein ebenso ehernes Ziel wie in der traditionellen Wirtschaftswelt das Erzielen von Gewinn.

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Wie auch die Meditation entstammt diese Philosophie fernöstlicher Tradition. Das chinesische Guanxi-Prinzip beispielsweise basiert auf dem Wert der Netzwerke persönlicher Beziehungen. Sie binden stärker als Verträge. Für westliche Manager ist dieser Ansatz schwer verständlich; und obendrein hinderlich, weil er von ihnen erfordert, sich intensiv auf Land und Leute einzulassen sowie Netzwerke zu knüpfen, bevor sie überhaupt ins Geschäft kommen können. Für nicht-westliche Akteure hingegen, ob aus Asien oder Afrika, ist es genauso schwer verständlich, dass bei uns die Aussicht auf exorbitante Gewinne dazu führen kann, dass die Regeln des Anstands und der Menschlichkeit über Bord geworfen werden können.

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Der Kapitalismus wollte sich die Erde untertan machen

Ein Zitat des englischen Gewerkschafters Thomas Dunning aus dem Jahr 1860 kommt da in den Sinn: „Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv und waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“

Diese Einstellung war, unzweifelhaft, ein zentraler Faktor für den weltweiten Siegeszug des Kapitalismus in den letzten Jahrhunderten – sie erlaubte es, alle Gegner, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen; sich die Erde untertan zu machen.

Diese Einstellung ist aber genauso auch ein zentraler Faktor für die fortschreitende Zerstörung der Lebensgrundlagen auf unserem Planeten; sie ordnet nicht nur den Menschen, sondern auch die Natur dem Profit-Interesse unter. Mit den allseits bekannten und sich verschlimmernden Folgen.

Die Grundhaltung der Mindfulness: Niemandem Leid zufügen

Die Grundhaltung der Mindfulness, niemandem ein Leid zuzufügen und in Einklang mit Mensch und Natur zu leben, kommt wiederum einer Vision sehr nahe, die der berühmte britische Ökonom John Maynard Keynes im Jahr 1930 notierte. Irgendwann im 21. Jahrhundert sollte es der Menschheit gelingen, „zu einigen der sichersten und zuverlässigsten Grundsätze der Religion und der althergebrachten Werte zurückzukehren − dass Geiz ein Laster ist, das Eintreiben von Wucherzinsen ein Vergehen, die Liebe zum Geld abscheulich, und dass diejenigen am wahrhaftigsten den Pfad der Tugend und der maßvollen Weisheit beschreiten, die am wenigsten über das Morgen nachdenken.“

Und warum soll das jetzt gerade passieren? Keynes hoffte, diesen Zustand dann erreichen zu können, wenn es durch immer weiteres Wachstum Wohlstand für Alle gebe. Das ist jedoch bislang noch nicht passiert. Die Klima-Aktivisten wollen ein Maßhalten aus ökologischen Gründen erreichen – auch da ist ein dickes Brett zu bohren. Der Ansatz der Mindfulness hingegen wird schlicht dadurch gefördert, dass das Gewicht des Westens in der Weltwirtschaft immer geringer wird und dadurch nicht-westliche Denk- und Handlungsweisen stärker zum Zug kommen.

Das Bindeglied zwischen Mindfulness und Finanzwesen ist das Vertrauen. Vertrauen ist beispielsweise ein zentrales Element für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit.
Ernest Ng, Professor für buddhistische Ökonomie

Und das heißt auch: nicht auf der christlichen Tradition fußende Handlungsweisen. Nicht umsonst ist Ng in Hong Kong Professor für buddhistische Ökonomie. Auch Dieter Haller, Professor für Sozialanthropologie in Bochum, sieht hier eine andere Qualität: „Religionen, die sich wie Islam und Christentum darüber definieren, dass sie ein Ideal oder Paradies anstreben, entwickeln dadurch auch eine ökonomische Dynamik. Das wird völlig anders, wenn eine Religion, wie der Buddhismus, nicht auf ein Ideal zustrebt, sondern das Leben als eine Abweichung vom Idealzustand ansieht.“ Der Glaube an ein Nirvana führe damit zu achtsamerem, nachhaltigerem Verhalten als das Streben nach paradiesischen Zuständen.

Gerade in der Finanzwelt sieht Ernest Ng einen mächtigen Hebel zur Verhaltensänderung. „Das Bindeglied zwischen Mindfulness und Finanzwesen ist das Vertrauen. Vertrauen ist beispielsweise ein zentrales Element für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit. Je langfristiger eine Geschäftsbeziehung angelegt ist, desto weniger wichtig wird in ihr der aktuelle Profit, und desto wichtiger wird das gegenseitige Vertrauen. Darauf lässt sich aufbauen.“

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Und wie, wenn man nicht gerade selbst Bankvorstand ist? Ganz einfach, sagt er: „Fange bei dir selbst an, und du wirst andere inspirieren.“ Und sei es durch Meditation.

FINANZ-WELTANSCHAUUNGEN IM VERGLEICH

MINDFUL MARKT
ZIEL kein Leid zufügen Gewinn
STREBEN Transzendenz Mehr
MOTOR Entwicklung, Bemühen Gier
VERANKERUNG Beziehung zu Umfeld, Umwelt, höherem Wesen Furcht
FREIHEIT zeigt sich in Beziehungen zeigt sich in Geld
RESSOURCEN sollen integrieren sind Mittel zum Zweck
DAS ICH wird in Relation zur Gemeinschaft definiert wird über Beruf, Status, Transaktionen definiert
DAS FINANZWESEN agiert wie ein Betreuer agiert wie ein Makler
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