Jeremy Rifkin über Finanzmärkte im Wandel

Das Kapital wird grün

Lesezeit:
6 minuten

25 December 2019

TITELBILD: MARTEN BJORK/UNSPLASH

Der Zusammenbruch der fossil befeuerten Zivilisation steht für Jeremy Rifkin unmittelbar bevor. Darin sieht er eine Chance für eine neue, grüne Ära, etwa mit Windenergie.

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25 December 2019
Der Zukunftsforscher Jeremy Rifkin ist überzeugt: Die Finanzmärkte sind bereit zu einem radikalen Umsteuern. Raus aus Öl und Kohle, Auto und Chemie. Rein in Wind und Sonne, Sharing und Gemeinschaft. Wenn man sie lässt.

Herr Rifkin, jeden Tag lesen wir, jeden Freitag auf den Straßen hören wir, dass viel zu wenig und viel zu spät gehandelt wird, um die Klimakatastrophe zu verhindern. Und Sie verheißen uns, dass innerhalb von zehn Jahren die fossile Industrie zusammenbrechen und eine neue Wirtschaft entstehen wird?

Genau das. Der Kollaps der fossil befeuerten Zivilisation steht unmittelbar bevor. Und dieser Zusammenbruch ist kein Problem – sondern eine Chance. Die Chance nämlich, eine neue, grüne Ära entstehen zu lassen, indem wir die Infrastruktur für die dritte industrielle Revolution aufbauen. Diese Infrastruktur vereint das digitale Kommunikationsinternet, das digitale nachhaltige Energieinternet und das digitale Mobilitäts- und Logistikinternet – auf einer in den Gebäudebestand integrierten Matrix des Internets der Dinge.

Das klingt komplex. Wie soll das in dieser kurzen Zeit funktionieren?

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Wir sind ja schon mittendrin. Die Kosten für die Erzeugung von Solar- und Windenergie fallen seit vielen Jahren exponentiell. Seit einiger Zeit schon liegen sie weit unter den Kosten von Kernkraft, Kohle oder Öl, und im Jahr 2019 sind sie erstmals niedriger als für Erdgas. Es werden 20-Jahres-Verträge für Solar- und Windstrom abgeschlossen, die bei fünf, vier, drei oder sogar zweieinhalb Cent pro Kilowattstunde liegen. Auch die Digitalisierung des Stromnetzes ist auf dem Weg. Die Energieversorger haben damit begonnen, die Nachfrage zu aggregieren und zu steuern – zum Beispiel, indem sie Ihre Waschmaschine bei Bedarfsspitzen oder Lieferschwierigkeiten vom Netz nehmen. Dazu kommt die Entwicklung der Sensor-Technologie. Bis 2030 können 100 Billionen Sensoren die menschliche und natürliche Umgebung in einem weltweiten verteilten intelligenten Netz miteinander verbinden.

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Also statt Greta Thunbergs „I want you to panic“ Monty Pythons „always look on the bright side of life”?

Technologisch gesehen ist die Wende machbar. Die dafür benötigten Technologien sind nicht nur vorhanden, sondern können auch kommerziell genutzt werden. Auch der Markt dafür ist jetzt da – und das Geld. Aber um die Wende durchzusetzen, ist ein großes Engagement der Regierungen und der Gesellschaften erforderlich: ein „Global Green New Deal“, wie ich es nenne. Und daran fehlt es derzeit noch.

Seit Jahrzehnten ist der US-Ökonom Jeremy Rifkin (*1945 in Denver, USA) einer der einflussreichsten Trendforscher der Gegenwart und Berater von Regierungen und Unternehmen weltweit. Sein jüngstes Buch “Der globale Green New Deal” ist soeben in deutscher Übersetzung bei Campus erschienen. BILD: IMAGO IMAGES/INSIDEFOTO

Bleiben wir erst mal beim Geld. Meinen Sie wirklich, dass sich Investoren darum reissen, in die Schaffung einer globalen grünen Ära zu investieren?

Ich meine nicht. Ich weiß. Ich arbeite auch mit Unternehmen aus der Bank- und Finanzbranche, und treffe dabei mit vielen Vermögensverwaltern zusammen. Die Bereitschaft ist sehr groß, aus den fossilen Branchen auszusteigen – und zwar rechtzeitig, bevor die Kohlenstoffblase platzt.

Kohlenstoffblase?

Sie könnte die größte Blase der Wirtschaftsgeschichte werden. Denn wenn die fossilen Industrien zusammenbrechen, müssen die zugehörigen Vermögenswerte abgeschrieben werden – von der Öl-Pipeline über das Gaskraftwerk bis zum bilanzierten Wert der noch im Boden befindlichen Ölreserven. Die Citigroup war vor fünf Jahren die erste in der Financial Community, die dies erkannt hat. Sie prognostizierte etwa 100 Billionen Dollar an verlorenen Vermögenswerten. Die Economist Intelligence Unit schätzt die Größe dieser Carbon Bubble auf etwa 40 Billionen Dollar. Aber wie auch immer die Schätzung aussieht: Es ist eine gigantische Zahl. Und alle Investoren werden versuchen, rechtzeitig daraus auszusteigen. Da geht es um Billionen und der Umbruch geschieht in Echtzeit.

Wer mit seinem Geld irgendwo aussteigt, muss dafür ja auch anderswo einsteigen…

Genau das ist aktuell das Problem. Nehmen Sie nur die Pensionsfonds. Sie haben weltweit etwa 40 Billionen Dollar investiert, mit denen die Altersvorsorge heutiger Arbeitnehmer gesichert werden soll. Sie schreien nach neuen Investitionsmöglichkeiten. Sie haben noch deutlich vor Augen, was mit der Kohleindustrie geschah: Als die Branche unterging, gingen auch die Fonds unter – die Kohlearbeiter verloren den größten Teil ihrer Altersvorsorge. Das soll sich nicht noch einmal wiederholen. Aber die Fonds haben derzeit praktisch keine Möglichkeit, um ihre Billionen in der neuen Ökonomie unterzubringen. Denn alles, was dort passiert, sind vergleichsweise kleine Projekte. Ich kenne nur ein einziges Großprojekt, das von Pensionsfonds finanziert wird: der „Thames Tideway Tunnel“, die Modernisierung von Londons Abwassersystem mit einem Investitionsvolumen von mehr als vier Milliarden Pfund. Aber ein einziges Großprojekt reicht natürlich nicht aus, um den Wunsch nach neuen Anlagemöglichkeiten zu erfüllen.

Ein neuer Fahrradweg kostet nun mal keine vier Milliarden …

Dann machen Sie eben ein Finanzinstrument für alle neuen Fahrradwege in Deutschland. Oder für die ökologische Modernisierung aller Wohnungen in einer Region, nicht nur für ein paar Wohnblocks. Und um solche Instrumente zu schaffen, braucht man eine grüne Bank.

Deutschland hat schon grüne Banken.

Aber für grüne Großprojekte und grüne Anleihen braucht man auch eine große grüne Bank; das ist in Deutschland am ehesten die Kreditanstalt für Wiederaufbau.

Das nötige Volumen für jeden beliebigen Anlagewunsch von Pensionsfonds bekäme man schnell zusammen, wenn man die Infrastruktur nicht modernisiert, sondern kauft.

Ohne mich. Ich bin strikt gegen die Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur. Wenn Privatunternehmen eine Infrastruktur übernehmen, plündern sie sie aus. Und glauben Sie, dass eine private Wassergesellschaft in eine Nachrüstung des Wassernetzes investieren will, um sich an den Klimawandel anzupassen? Das würde ja ihr eigenes Geld kosten, ihre eigenen Gewinne schmälern. Ich mag die Expertise privater Unternehmen beim Bau und beim Management von Infrastruktur, aber sie dürfen weder die Plattformen noch die Daten kontrollieren – das sind Commons: Allgemeingut.

Womit wir bei den Aufgaben von Staat und Gesellschaft wären.

Vieles ist von den Regierungen schon getan worden. Eine wichtige Rolle spielte die Einführung strenger, rechtlich verbindlicher Ziele zur Entkarbonisierung durch die Europäische Union während der Ratspräsidentschaft von Angela Merkel im Jahr 2007. Das war die Basis für die Einspeisevergütungen für erneuerbare Energien, die es Pionieren erlaubte, sich mit Solar und Wind im Markt zu etablieren und deren Preise zu senken. Danach stieg China mit hohen Subventionen für Solarfirmen ein und senkte den Preis noch weiter.

Eine Art europäisch-chinesische Doppelspitze für den Planeten – ohne dass diese Akteure jemals bewusst kooperierten?

Die europäischen Bemühungen und die chinesischen Bemühungen, die von diesem Zeitpunkt an begonnen haben, haben uns dorthin gebracht, wo wir heute stehen. In den späten 70er Jahren lagen die Kosten für die Installation von einem Watt Solarstrom bei 78 Dollar. Heute sind es 43 Cent. Und in etwa 18 Monaten werden es 35 Cent sein. Das sind die Fixkosten. Die Grenzkosten der Stromproduktion selbst liegen nahe Null. Uran, Kohle, Öl oder Gas zu fördern, zu verarbeiten und zu verteilen, ist unglaublich teuer. Die Sonne schickt dir keine Rechnung.

Jeder muss sich in einer politischen und sozialen Bewegung engagieren, die zur Schaffung einer neuen Wirtschaft beiträgt. Werdet Aktivisten, schließt Euch mit Euren Nachbarn zusammen, damit der Klimanotstand erklärt wird.
Jeremy Rifkin, Zukunftsforscher

Normalerweise beraten Sie Regierungen, Konzerne oder Institutionen. Was raten Sie heute unseren Lesern? Was können sie, was können wir tun, um den Wandel zu beschleunigen?

Es reicht nicht aus, dass jeder seine Ernährung oder seine Konsumgewohnheiten ändert. Ja, es ist wichtig, und ja, wir müssen es tun: weniger Rindfleisch, mehr Recycling, mehr Sharing. Aber das allein wird uns nicht retten. Jeder, der nachhaltig sein will, muss die Nachhaltigkeit seiner Familie, seiner Gemeinde, seiner Regierung, seinem Arbeitgeber und seinen Mitarbeitern nahebringen. Jeder muss sich in einer politischen und sozialen Bewegung engagieren, die zur Schaffung einer neuen Wirtschaft beiträgt. Werdet Aktivisten, schließt Euch mit Euren Nachbarn zusammen, damit der Klimanotstand erklärt wird.

Rettet uns diese Erklärung?

Sie ist die Basis, um einen Green New Deal zu verlangen. Und die Zusammenarbeit ist die Basis, um ihn dann auch tatsächlich zu erreichen. Ich habe dabei gute Erfahrungen mit Peer-Assemblies gemacht …

… ein Entscheidungsgremium jenseits der Parlamente, wie es beispielsweise auch Extinction Rebellion vorschlägt.

Eine Peer Assembly war ein zentraler Erfolgsfaktor eines Zukunftsplans, den wir für die nordfranzösische Region Hauts-de-France entwickelt haben. Wir sollten dort Pilotprojekte für die Dritte Industrielle Revolution durchführen, aber das haben wir abgelehnt – es gibt schon viel zu viele Pilotprojekte. Wir wollten etwas Großes, etwas für die gesamte Region erreichen. Dafür arbeiteten wir ein Jahr lang mit einer Peer Assembly von 300 Bürgern aus allen Sektoren, allen Bevölkerungsgruppen und allen Teilen der Region zusammen. Basierend auf unserer Architektur haben diese Bürger einen auf ihre Region zugeschnittenen Plan erstellt. Das war vor sechs Jahren. Inzwischen hat Hauts-de-France einen Preis als besonders unternehmerische Region in Europa erhalten. 600 Projekte wurden umgesetzt, Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen. Und all das setzen die Menschen um, weil sie das Konzept für sich selbst erarbeitet haben.

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Und ist damit wiederum zu einem Pilotprojekt geworden?

Eindeutig. Jetzt wissen wir, dass große, eine ganze Region ergreifende Veränderungsprozesse prinzipiell überall auf der Welt möglich sind. Und finanzierbar – denn das Geld wartet geradezu auf solche neuen Aufgaben.

Green Bonds

So groß der Investitionsbedarf auch ist: Um die Welt für eine grüne Ära umzubauen, so klein sind bislang die Anlagemöglichkeiten für Investoren. Nach Schätzung der Vereinten Nationen müssten etwa 2,5 Billionen US-Dollar zusätzlich pro Jahr investiert werden, um die 17 im Jahr 2015 vereinbarten „Sustainable Development Goals“ (SDG) zu erreichen – davon eine Billion alleine für saubere Energie. Das klingt wie eine gigantische Summe, ist aber eine durchaus machbare Größenordnung. Gerade in Zeiten weltweit niedriger oder gar negativer Zinsen sollte es eigentlich eine hohe Aufnahmebereitschaft des Marktes für die Finanzierung nachhaltiger Investitionen geben. Und die Geldbeträge, die ständig rund um den Globus zirkulieren, sind noch viel gigantischer: Das weltweite Marktvolumen für alle Anleihen-Kategorien liegt etwa bei 100 Billionen US-Dollar. In der gleichen Größenordnung befindet sich auch das Bruttoweltprodukt, also die gesamte globale Wirtschaftsleistung.

2,5 Billionen Dollar sollten also eigentlich zu schaffen sein. Insbesondere wenn, wie Jeremy Rifkin es behauptet, viele institutionelle Investoren nach Anlagemöglichkeiten suchen, die sie weg von der fossilen Industrie und hin in nachhaltige Sektoren führen. Der Markt, auf den sie dabei stoßen, ist allerdings noch immer vergleichsweise winzig: Auf insgesamt 250 Milliarden Dollar wird das Angebot neuer „Green Bonds“ im Jahr 2019 geschätzt. Das ist zwar ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr um mehr als 40 Prozent – aber es ist immer noch nicht einmal ein Prozent des gesamten globalen Anleihevolumens.

Das Marktsegment ist noch relativ jung: Der erste Green Bond überhaupt wurde im Jahr 2007 von der Europäischen Investitionsbank aufgelegt, die Weltbank folgte ein Jahr darauf. Inzwischen sind auch viele Privatbanken auf den Trend aufgesprungen. An der Londoner Börse gibt es inzwischen ein eigenes Segment für den Handel mit Green Bonds, den „Sustainable Bond Market“.

Die Kriterien, die eine Anleihe erfüllen muss, um als Green Bond zu gelten, werden von der „Climate Bonds Initiative“ festgelegt, in der unter anderem ökologische Forschungsinstitute und die vier großen globalen Wirtschaftsprüferkonzerne organisiert sind. Darüber hinaus haben einige Ländern, etwa China, Indien und Frankreich auch eigene Kriterien für Green Bonds festgelegt.

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