Digitale Zukunft

Der Code, der die Welt verändert

Lesezeit:
4 minuten

13 January 2017

Titelbild:  Icons8 team / Unsplash

Die Blockchain ist im Kern nichts anderes als eine lange dezentrale Kette aus Information – was auch für die Energieversorgung interessant ist

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13 January 2017
Bislang war die Blockchain als Technik hinter der digitalen Währung Bitcoin bekannt – und dafür, die etablierte Finanzbranche anzugreifen. Jetzt zeigt sich: Die Blockchain könnte auch die Energiewende rasant beschleunigen und weitere Industrien revolutionieren

Strom kommt aus der Steckdose. Und damit das auch so ist, brauchen wir Energiekonzerne, Netzbetreiber und Stromhändler an der Börse. Oder etwa nicht? Im New Yorker Stadtteil Brooklyn wird gerade der Gegenentwurf erprobt: Hier versorgen sich zehn Haushalte gegenseitig mit Strom, den sie selbst erzeugen. Dafür benötigen sie nicht mehr als ein paar Solaranlagen, Computer, etliche Meter Stromleitungen und eine ausgeklügelte Software. Während die Fotovoltaikanlagen auf den Dächern Sonnenlicht in Energie umwandeln, notiert das Programm akribisch, wie viel Strom produziert wurde. Schaltet ein Teilnehmer seine Waschmaschine an, zählt es wieder mit, berechnet, was der Verbraucher seinem Nachbarn schuldet und bezahlt ihn auch gleich. Mittelsmänner wie Stromkonzerne, Netzbetreiber oder Banken braucht es nicht mehr. Willkommen in der Zukunft des Energiehandels.

Auch in Europa gibt es erste Projekte

Was im Frühjahr 2016 als Experiment der beiden amerikanischen Firmen Lo3 Energy und Consensys in der President Street in Brooklyn begonnen hat, könnte sich rasch ausbreiten. Noch tummeln sich nur wenige Unternehmen in der möglichen Zukunftsbranche. Die wenigen Pioniere sind dafür umso enthusiastischer: „Die Macht geht gerade von den Energieversorgern zu den Kunden”, sagt Erwin Smole, Mitgründer des Wiener Start-ups Grid Singularity, das ebenfalls daran arbeitet, Menschen den unkomplizierten Handel mit Strom zu ermöglichen. Das im März 2016 gegründete Unternehmen hat aber nicht nur Hipster-Selbstversorger aus der New Yorker Nachbarschaft im Blick. Die eigens entwickelte Plattform soll Menschen in Entwicklungsländern ebenso zu günstigem Solarstrom verhelfen, wie Industriebetrieben in Europa und den USA. Die Mission gehe weit über schnellen Profit hinaus, sagt Smole. Er ist überzeugt: Die Energiewelt von morgen wird freier, offener und selbstbestimmter sein als heute.

Basis ist die Blockchain – die Technologie der Bitcoins

Das Werkzeug für diesen Umsturz liegt seit Oktober 2008 für jedermann frei verfügbar im Internet herum. Damals veröffentlichte Satoshi Nakamoto die Software und das Manifest zu Bitcoins, einer digitalen Währung – dazu erschaffen, Banken und Notenbanken überflüssig zu machen. Die längste Zeit wurde die Kryptowährung als Spielgeld für Drogendealer und andere Kriminelle abgetan. Inzwischen ist aber klar: Die wahre Revolution steckt in der Technologie hinter den Bitcoins – in der „Blockchain”. Denn dieser Code schafft etwas, was sich Staaten, Unternehmen und Institutionen bisher haben teuer abkaufen lassen: Vertrauen. Vereinfacht gesagt ist die Blockchain eine Art digitaler Kontoauszug, auf dem alle Transaktionen regelmäßig, lückenlos und fälschungssicher in einer langen Kette gespeichert werden. Da diese Daten dezentral auf den Rechnern aller Teilnehmer abgelegt werden, ist es de facto unmöglich, sie heimlich zu manipulieren. Schafft es ein Hacker doch, einen Rechner zu knacken und den Datensatz zu verändern, bemerken das die anderen Computer und überschreiben ihn rasch.

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Die Blockchain kann Daten aller Art sicher Speichern

Seither müssen wir nicht länger nur Banken trauen, dass eine Überweisung richtig getätigt wird. Es ist nicht mehr der Staat oder der Notar, der uns versichert, dass wir ein Stück Land auch wirklich erworben haben. Es gibt eine Alternative in Form einer unbestechlichen, dezentralen Software. Die wohl bekannteste Blockchain speichert, wer rechtmäßiger Besitzer der weltweit 15,8 Millionen Bitcoins ist. Aber die Technik hat sich von der virtuellen Währung emanzipiert. Nicht nur Bitcoins, auch Aktien und Strom lassen sich damit schnell, billig und sicher handeln. Vieles in der Blockchain-Welt erinnert an die ersten Gehversuche des Internets. Die Begeisterung ist groß, die Versprechen ebenso. Dass die Geschäftsmodelle oft noch holprig oder – wie der Stromverkauf von Mensch zu Mensch – mancherorts sogar verboten sind, stört kaum jemanden. Das Unternehmen Grid Singularity ist etwa fest entschlossen, Wien zum Mekka der Blockchain-Energiewelt zu machen. Im Februar 2017 hat es dafür den Star der Szene zu einem Symposium in die österreichische Hauptstadt geholt: Vitalik Buterin. Gemeinsam mit Grid-Singularity-Gründer Gavin Wood hat der in Kanada lebende Russe die erste Blockchain zu Ethereum weiterentwickelt und damit bewiesen, dass man mit der Idee mehr machen kann, als Bitcoins zu zählen. Ethereum ist eine Plattform für Blockchains, in die auch „Smart Contracts” eingebettet werden können. Das Programm erkennt hier automatisch, wann eine vereinbarte Leistung erbracht wurde und löst von sich aus die Bezahlung aus.

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Unternehmen und Staaten fangen an die Blockchain zu nutzen

Seit dieser Entdeckung sind alle Dämme gebrochen. Unternehmer, Staaten, Geheimdienste und Zentralbanken überlegen, wie sie das Programm für sich nutzen können. Besonders hoch zielen die Macher der „Dezentralen Autonomen Organisation“, kurz: DAO. Sie wollen nicht weniger, als das Unternehmertum neu zu erfinden. Die DAO ist ein Investmentfonds auf Blockchain-Basis, der ohne Chef, Firmensitz und Fondsmanager auskommt. Die Teilhaber entscheiden anonym und demokratisch, in welche Firmen ihre 140 Millionen US-Dollar investiert werden. Andere haben ebenfalls viel vor: Das US Verteidigungsministerium will die Blockchain nutzen, um einen unhackbaren Nachrichtendienst zu entwickeln. Dänemark und Griechenland überlegen, ihr Grundbuch auf die Blockchain umzustellen. In der Finanzbranche tummeln sich hunderte Fintechs, die Banken mit Dumpingpreisen Konkurrenz machen. Selbst junge Internetstars wie Uber kommen unter Beschuss. Arcade City bietet eine ähnliche Fahrdienstvermittlung an. Der frühere Uber-Fahrer Christopher David hat das Unternehmen gegründet und vernetzt nun Fahrer und Passagiere in den USA automatisch via Blockchain. Die Vermittlung von Uber – und die Gebühren dafür – fallen somit weg. Die Stiftung World Economic Forum, die das Wirtschaftsforum in Davos ausrichtet, rechnet damit, dass 2027 ein Zehntel der weltweiten Wirtschaftsleistung in Blockchains gespeichert sein wird.

Bisher fehlen gesetzliche Regelungen

Noch bremsen regulatorische Hemmnisse den Vormarsch. Dass sich Nachbarn wie in Brooklyn direkt mit Strom versorgen, wäre in Deutschland oder Österreich nicht ohne weiteres möglich. Private Stromlieferanten passen derzeit nicht in das komplexe System, das die Energiewirtschaft seit Jahrzehnten zusammenhält. Ähnlich skeptisch wie die Energieregulatoren sind Zentralbanken und Finanzaufsichtsbehörden, wenn es um digitale Währungen geht. „Noch passiert vieles in einer rechtlichen Grauzone“, sagt Tina Barroso Guerra vom Forum Solarpraxis. „Jetzt kommt es darauf an, wie schnell die Staaten reagieren“. Es ist wahrscheinlich, dass sie bald reagieren. Denn nicht nur Start-ups, auch einflussreiche Konzerne jagen dem Trend hinterher – wenn auch mit denkbar anderen Motiven.

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Konzerne sind zum Umdenken gezwungen

Die Deutsche Bank, die schweizerische UBS, die spanische Santander und die amerikanische Bank of New York Mellon etwa arbeiten an einer eigenen digitalen Währung, mit der sie untereinander handeln und zig Milliarden Euro sparen wollen. Auch in der Energiewelt haben die alten Energieversorger bereits Lunte gerochen. Vattenfall und RWE beschäftigen sich intensiv mit der Blockchain. Das Unternehmen aus dem Ruhrpott arbeitet etwa gemeinsam mit dem sächsischen Start-up Slock it an Ladestationen für Elektroautos auf Blockchain-Basis. Die Unternehmen hätten gar keine andere Wahl, sagt Erwin Smole von Grid Singularity. „Entweder sie warten ab und sind am Ende reiner Kupferkabelbetreiber oder sie sehen jetzt schon zu, welche Rolle sie in Zukunft spielen können“. Sein Unternehmen sieht sich darum auch als Vermittler zwischen der alten Industrie und den Neuankömmlingen. Konzerne könnten etwa große Stromspeicher finanzieren, in die Haushalte ihre überschüssige Eigenerzeugung einspeisen und dann weiterverkaufen könnten, so die Idee. Die Preise und andere Vereinbarungen würden in der Blockchain gespeichert, die Geschäfte automatisch ausgeführt – die Kosten dafür lägen praktisch bei null.

Auch in der Blockchain gibt es Sicherheitslücken

Aber natürlich birgt diese Entwicklung auch Gefahren. Eine davon ist die weitgehende Eliminierung des Faktors Mensch in der Wirtschaft. Wer garantiert, dass Stromversorger nicht via Blockchain vollautomatisch den Stecker ziehen, wenn Kunden ein paar Tage mit der Rechnung in Verzug sind? Wer garantiert, dass die junge Technologie das Vertrauen, das sie bietet, selbst verdient? Die bisherige Geschichte gibt Anlass zur Skepsis. Denn obwohl die Blockchain bisher nicht erfolgreich gehackt wurde, fanden Kriminelle immer wieder Lücken im System selbst. Auch aus der DAO wurden heimlich 50 Millionen Dollar abgezogen, ohne die Software selbst zu knacken. Der Angreifer nutzte lediglich ein Schlupfloch, das die Macher in ihrem damaligen Konzept übersehen hatten. Die Eigentümer reagierten mit einem Tabubruch und änderten die angeblich fälschungssichere Kette nachträglich, um das Kapital zu retten. Die „Vertrauensmaschine“, wie die britische Zeitschrift „Economist“ die Blockchain nennt, stottert also noch. Die Chance, dass die Menschen mit ihr frei von Konzernen miteinander handeln können, ist zwar groß. Der Beweis, dass ein Computerprogramm als vertrauensstiftender Kitt für die Welt genügt, steht aber noch aus.

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