Neue Regeln für Crowdworking
„Arbeit 4.0 braucht auch einen Sozialstaat 4.0“
3 minuten
30 January 2020
BILD: UNSPLASH/SIMON ABRAMS
Crowdworking-Plattformen locken Freelancer mit ihrem Freiheits- und Unabhängigkeitsversprechen an – doch können sie es auch halten?
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30 January 2020
Vor einigen Jahren hatte die Designerin Ramona Herrmann eine Auftragsflaute. Um ihr Einkommen aufzustocken, suchte die Selbstständige im Internet nach Aufträgen – und landete bei der Crowdworking-Plattform Jovoto. Dort schreiben Unternehmen Projekte aus, für die sich Designer, Künstler und Marketing-Experten mit ihren Ideen bewerben können. Für die besten Ideen gibt es von den Firmen ein Honorar. Über die Website hat Herrmann schon Aufträge von großen Unternehmen bekommen, zum Beispiel von Greenpeace, der Deutschen Bank und dem Schweizer Messerhersteller Victorinox. „Das sind Kunden, die ich mit meiner kleinen Agentur nie bekommen würde“, sagt die 44-Jährige. Über die Plattform aber sammelt sie wichtige Referenzen und verdient sich etwas Geld dazu.
Grafik- und Webdesigns erstellen, Texte übersetzen, Software testen, Marketing-Konzepte entwickeln oder Preise im Supermarkt abfotografieren – das sind typische Aufgaben, die über Online-Plattformen wie Jovoto vergeben werden. Die Idee: Unternehmen zerlegen Arbeiten in kleinere Projekte, die im Prinzip jeder mit einem Internetanschluss und einem Computer oder Smartphone erledigen kann. Diese Aufträge vergeben die Companys über spezialisierte Plattformen, die entweder professionelle Freelancer oder arbeitswillige Amateure ansprechen. Für die Firmen ist das attraktiv, denn über Plattformen wie Jovoto, Clickworker oder Testbirds haben sie Zugriff auf einen riesigen Pool von potenziellen Mitarbeitern.
Bezahlung unter dem branchenüblichen Durchschnitt
Auf den ersten Blick scheinen die digitalen Gelegenheitsjobs auch für die Crowdworker recht verlockend: Die Aufträge können überall und jederzeit erledigt werden, man arbeitet mit Menschen auf der ganzen Welt gemeinsam an Projekten. Seit Jahren wächst daher die Branche. Etwa 20 Millionen Crowdworker gibt es nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) weltweit, allein in Deutschland sollen es Hochrechnungen zufolge 300.000 sein. Genaue Zahlen gibt es nicht.
Allerdings: Vom Crowdworking allein können nur wenige ihren Lebensunterhalt bestreiten. Je nach Art des Jobs gibt es eine ein- bis vierstellige Summe pro Auftrag, in der Regel liegt die Bezahlung unter dem branchenüblichen Durchschnitt. Das gilt insbesondere dann, wenn die Aufgaben keine speziellen Qualifikationen erfordern. Zudem kennen viele der oft jungen oder branchenfremden Crowdworker die üblichen Honorare und gesetzlichen Vorgaben für freiberufliches Arbeiten nicht. Sie unterschätzen Aufwand und Wert ihrer Arbeit und akzeptieren viel zu schlechte Konditionen. Daher gerät die Branche immer wieder in die Kritik.
Frei und trotzdem fair bezahlt?
Als Bastian Unterberg Jovoto im Jahr 2007 gründete, ging es ihm nicht darum, mit seiner Plattform Kreative auszubeuten. Er war gerade im letzten Semester seines Design-Studiums, als er sich die Frage stellte: „Wie will ich in Zukunft eigentlich arbeiten?“ Auch viele seiner Kommilitonen suchten Alternativen zum klassischen Berufsweg in der Kreativbranche. Unterberg versteht Jovoto als eine Chance für freies Arbeiten: „Die Menschen, die bei Jovoto angemeldet sind, möchten gar nicht durch eine Festanstellung an uns oder die Unternehmen gebunden werden. Sie genießen ihre Freiheit.“ Und das geht auch zu fairen Bedingungen.
Klare Regeln für Crowdworking-Plattformen
Vor drei Jahren haben daher Crowdworking-Anbieter mit der Gewerkschaft IG Metall einen Code of Conduct ins Leben gerufen. Darin verpflichten sich Plattformen unter anderem, ihre Crowdworker über alle rechtlichen Voraussetzungen der Plattform-Arbeit zu informieren. Sie müssen sie darüber aufklären, dass sich Crowdworker als Selbstständige selbst um ihre Alters- und Krankenvorsorge kümmern müssen und dass es keinen Kündigungsschutz gibt. Zudem garantieren Auftraggeber, lokale Lohnstandards einzuhalten und einen Job entsprechend der geforderten Qualifikationen zu vergüten. Die Anbieter sichern zu, dass ihre Crowdworker keine Gebühren zahlen müssen, um bei einem Projekt mitarbeiten zu dürfen. Robert Fuß von der IG Metall sagt: „Mit dem Code of Conduct wollen wir einheitliche Kriterien für gute Plattform-Arbeit schaffen.“ Ein erster Schritt, denn noch handelt es sich nur um eine Selbstverpflichtung.
Deshalb initiierte die Gewerkschaft zudem das Portal FairCrowdWork, auf dem sich Crowdworker austauschen und juristischen Rat einholen können. Jovoto-Gründer Unterberg sieht diese Schritte als Chance für die Plattformen: „Der Code of Conduct hilft uns dabei, uns von ausbeuterischen Unternehmen abzugrenzen.“ Neben Jovoto haben acht weitere Plattformen das Regelwerk unterzeichnet. Gewerkschafter Robert Fuß findet solche neuen Initiativen für digitale Arbeitsrechte wichtig: „Arbeit 4.0 braucht auch einen Sozialstaat 4.0.“