Gute Gemeinschaft

Einer muss den Anfang machen

Lesezeit:
4 minuten

3 May 2018

Titelbild: Carlos „Grury“ Santos/Unsplash

US-Anwalt Robert Bilott sagt Chemiekonzernen den Kampf an – und siegt mit dem Verbot von umwelt- und gesundheitsschädlichen Substanzen

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3 May 2018
Der Fall schien hoffnungslos. US-Anwalt Robert Bilott kämpfte alleine gegen einen Chemiekonzern. Wie er daraus einen der wichtigsten umweltrechtlichen Erfolge des Jahres machte

Herr Bilott, lassen Sie uns über Einsamkeit sprechen.

Das ist ein ungewöhnliches Anliegen. Ich bin seit mehr als 20 Jahren verheiratet, habe drei Söhne und habe als Anwalt tausende Bürger des US-Bundesstaats West Virginia in einem Rechtsstreit gegen einen Chemiekonzern vertreten …

… wofür Ihnen gerade der „Right Livelihood Award“ verliehen wurde. Die Jury würdigte Sie als „einen der besten Umweltanwälte der Welt“, dem „einer der wichtigsten umweltrechtlichen Erfolge des Jahrhunderts“ gelungen sei.

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Sie können sich also vorstellen, dass ich schon seit längerer Zeit nicht mehr einsam bin. Natürlich war das noch anders, als dieser Fall vor zwei Jahrzehnten begann.

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Genau. Und darum geht es. Am Anfang eines Falles, eines Skandals, eines Unternehmens, ist man selten mit tausenden Gleichgesinnten unterwegs. Und auch Ihr Fall hat nicht mit tausenden Mandanten angefangen, sondern mit einem.

Das war Wilbur Tennant, ein Farmer aus Parkersburg in West Virginia. Der rief damals in meinem Büro in Cincinnati an: Er suche jemanden, der ihm helfen könne herauszufinden, woran seine Kühe starben. Sie tranken schaumig-weißes Wasser aus dem Bach, der an ihrer Weide vorbeifloss, der wiederum aus einer Müllkippe in der Nähe kam, auf der die nahegelegene Chemiefabrik des Du-Pont-Konzerns Abfälle deponierte.

Von Cincinnati nach Parkersburg sind es mehr als 300 Kilometer, das ist nicht gerade um die Ecke.

Bevor der Farmer bei mir anrief, hatte er es natürlich bei Anwälten in Parkersburg probiert – aber keiner wollte ihn vertreten. Du Pont war damals der größte Arbeitgeber der Stadt, man macht sich keine Freunde, wenn man den verklagen möchte.

Das dürfte ja auch bei Ihnen eine Überlegung gewesen sein. Und auch bei der Großkanzlei, für die Sie in Cincinnati arbeiten. Hatten die kein Problem damit, einen eigenbrötlerischen Farmer im Kampf gegen einen Großkonzern zu vertreten?

Die Partner in meiner Kanzlei sind verantwortungsbewusste Menschen, und sie sind geduldig. Sie haben in all den Jahren meine Entscheidungen mitgetragen.

Warum haben Sie den Fall überhaupt angenommen?

Das hatte mit meiner Familie zu tun. Der Farmer kannte meine Großmutter. Sie lebte ebenfalls in Parkersburg, und als kleiner Junge hatte ich sie oft dort besucht. Ich kannte den Ort, ich kannte die Leute, ich hätte sie nicht einfach hängen lassen können.

Das klingt, als ob Sie nicht einen Farmer, sondern eine ganze Stadt vertreten hätten.

Nicht von Anfang an – aber so kam es dann. Es stellte sich relativ schnell heraus, dass nicht nur die Kühe eines einzelnen Farmers ein Problem hatten: Der ganze Ort litt gesundheitlich unter der Chemiefabrik.

Lassen Sie uns noch einen Moment auf das „relativ schnell“ schauen. Denn erst einmal standen ja wohl Sie und Ihr Mandant allein gegen den Chemiekonzern und die ganze Stadt.

So ziemlich. Wir erhoben Klage gegen Du Pont, aber wir wussten ja nicht einmal, welche Chemikalien in welcher Weise für die Schäden verantwortlich sein sollten. Ein Gutachten der Gegenseite stellte sogar fest, dass es keinen Zusammenhang zwischen den toten Kühen und den Abfällen der Chemiefabrik gebe.

Da kann man dann schon einmal aufgeben.

Ich wusste aber, dass da etwas nicht stimmte. Und es musste etwas mit der Chemiefabrik zu tun haben. Also war für mich die Schlussfolgerung klar: Das muss aufhören. Und es ist mein Job, dafür zu sorgen, dass es aufhört. Als wir dann in den Unterlagen einen Hinweis auf PFOA fanden, hatten wir endlich einen Anhaltspunkt.

PFOA?

Perfluoroctansäure. Das war eine damals fast unbekannte und völlig unregulierte Chemikalie. Sie fand sich nicht nur in dem Bach, der aus der Mülldeponie kam, sondern auch im Wasser, das der Farmer und alle Bürger des Orts tranken. Es gab keine Vorschriften, keine Grenzwerte für die Verwendung von PFOA – rechtlich war es genau so, als würden Sie Wasser trinken.

Aber gesundheitlich war es wohl kaum das Gleiche.

Das wissen wir heute: PFOA kann gleich zu sechs verschiedenen, sehr schwerwiegenden Erkrankungen führen – unter anderem zwei Krebsarten. Und dass wir das heute wissen, liegt nicht zuletzt an den Bürgern der Region: Als sie erst einmal begriffen hatten, dass es nicht um den Tod von Kühen ging, sondern um ihr Trinkwasser, kamen auch sie, um von uns vertreten zu werden.

Und wie haben die Bürger das begriffen? Haben Sie, gerade eben noch der Underdog, sich mit Ihren Erkenntnissen auf den Marktplatz gestellt? Oder sich an eine Umweltorganisation gewandt?

Nein, das ging ganz anders. Der Weg ging über einen investigativen Journalisten in West Virginia. Er hatte über den Fall recherchiert und veröffentlicht, dass es in der Region ein Problem mit einer Chemiefabrik gab. Daraufhin kontaktierte mich die Umeltorganisation „Environmental Working Group“ (EWG); dort hatte man schlicht den Artikel gelesen. Und EWG machte den Fall groß. Ich selbst hatte gar niemand speziell angesprochen – hier sieht man die Bedeutung, die Medien haben.

Und mit dieser neuen Dimension wurde es zu dem Fall Ihres Lebens?

Nicht mit diesem einen Ereignis. Der Fall wurde nach und nach immer komplexer – und das war er auch wert. Ich hatte mich nicht nur mit juristischen Fragen zu beschäftigen, sondern auch mit regulatorischen, mit politischen, mit wissenschaftlichen, mit medizinischen und psychologischen Fragen.

Aber das haben Sie nicht alles alleine gemacht.

Natürlich nicht. Doch es ist alles bei mir zusammengelaufen – allein schon das alles zu moderieren und voranzubringen, wurde ein Fulltime-Job. Für spezielle Aspekte des Falles waren immer wieder Personen eingeschaltet, die darauf spezialisiert waren. Für die wissenschaftlichen Studien etwa, die durchgeführt wurden, um die Schädigung der Bürger zu untersuchen, arbeiteten wir sowohl mit Epidemiologen als auch mit Medizinern. Und daraus wurde eine der größten Gesundheitsstudien weltweit. Insgesamt 69.000 Bürger der Region beteiligten sich und ließen ihr Blut untersuchen. Im Ergebnis wurde schließlich PFOA in den USA völlig aus dem Verkehr gezogen, und auch in anderen Ländern werden Grenzwerte oder Verbote eingeführt – und für die Betroffenen wurden bis heute mehr als 670 Millionen Dollar für Entschädigungen bereit gestellt.

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Wenn jemand heute dort steht, wo Sie ganz am Anfang standen: mit einem Anliegen, das wichtig ist, aber ohne Rückhalt, ohne klare Perspektive, mit mehr offenen Fragen, als man alleine bewältigen kann – welchen Ratschlag können Sie geben?

Wenn es etwas gibt, das getan werden muss: Tu es. Konzentriere dich darauf und bleibe in Bewegung. Wichtig ist nicht, ob und wann du dein Ziel erreichst – wichtig ist, dass die Richtung stimmt.

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