Klimawandel

Europas Küsten in Gefahr

Lesezeit:
3 minuten

1 August 2017

Titelbild: Lance Asper/Unsplash

Auch in Europa steigt an den meisten Küsten der Meeresspiegel – und wir sind kaum darauf vorbereitet

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1 August 2017
Auch an unseren Küsten steigen die Meeresspiegel. Wie dramatisch die Entwicklung eigentlich schon seit den 1960er-Jahren ist, das zeigt eine aktuelle Auswertung von weltweit mehr als 1500 Seepegeln durch das deutsche Recherchezentrum Correctiv und der Columbia-Universität in New York

Insgesamt ist Europa besser für den Meeresspiegelanstieg gewappnet als die meisten anderen Weltregionen. Dennoch sind auch unsere Küsten betroffen: in Nizza stieg der Pegel um 18 Zentimenter, in Kopenhagen um 9 Zentimeter seit 1986. Im britischen Medmerry hat erstmal eine Kommune aufgehört, Deiche zu verstärken – und Land dem Meer zurückgegeben. Experten sagen: ein Schicksal, das künftig vielen Küsten bevorsteht.

Gerade an den Binnenmeeren wird Europa Land verlieren. „Das sind Regionen, die am wenigsten auf einen schwankenden Meeresspiegel ausgerichtet sind“, sagt Hans-Martin Füssel, Leiter der Klimaprojekte bei der Europäischen Umweltagentur (EEA). Sein Institut sitzt in Kopenhagen. In der Ostsee gibt es bisher kaum Hochwasser. „Kürzlich aßen wir mit Kollegen am Hafen von Kopenhagen und die Dänen sagten: Wo sollen wir denn hier noch einen Deich bauen“, sagt Füssel. Aktuell steht der Pegel vor der Hauptstadt rund zehn Zentimeter höher als vor 30 Jahren.

Die bisher größte Küstenöffnung Europas

Städte am Mittelmeer, wie das französische Nizza oder das griechische Levkas, verzeichnen sogar schon rund 20 bis 30 Zentimeter gestiegene Pegel. Mit dem Klimawandel wird das Meer in Zukunft noch schneller ansteigen. Nach Daten des Weltklimarates IPCC zwischen 20 und 80 Zentimetern bis zum Jahr 2100 – die Prognosen variieren stark.

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Die Folge wird sein: Gerade Menschen in dünn besiedelten und weniger geschützten Gegenden Europas müssen langfristig umgesiedelt werden. So wie in Medmerry, südwestlich von London, das seine ständig zerstörten Deiche aufgegeben und stattdessen dem Meerwasser inlandig 500 Hektar zum Überschwemmen überlassen hat. Die Umweltbehörde der wenig bewohnten Gegend hat sich entschieden, lieber dem Druck des Meeres nachzugeben und eine neue Überflutungszone zu schaffen, als Geld in höhere Deiche zu investieren. Es ist die bisher größte Küstenöffnung Europas.

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Insgesamt beobachtet die EEA auf ihren europäischen Karten, dass urbane Gegenden besser geschützt sind als ländliche. Das ist nur verständlich. „Welche Regierung möchte schon Hamburg oder London aufgeben?“, sagt EEA-Experte Füssel.

An der Nordsee wurde für steigende Meeresspiegel vorgesorgt

Die Menschen an der Nordsee sind starken Tidenhub gewohnt, sie kennen Springfluten und Stürme und haben vorgesorgt. „Insgesamt ist Europa besser für den Meeresspiegelanstieg gewappnet als die meisten anderen Weltregionen“, sagt Füssel. Dort, wo das Meer seine Kräfte ausgespielt hat, wurden massiv Deiche gebaut, wie 1953 nach der verheerenden Sturmflut an der Nordseeküste.

Es gibt die europäische Umweltagentur, jedes Land hat eigene Hochwasserschutzpläne, es gibt Küsteninstitute und Länder wie die Niederlande, die seit jeher gegen drohende Überschwemmungen Deiche bauen und Sand vorspülen. Aber Klimaforscher sind sich einig: All dies ist zu wenig, um die 200 Millionen Menschen zu schützen, die laut Eurostat in Küstennähe leben.

Das britische Forschungsinstitut CSIR hat Messgeräte an 180 europäischen Häfen aufgestellt, so viele gibt es auf keinem anderen Kontinent. CORRECTIV hat die Daten ausgewertet. Das Fazit: An den meisten Messpunkten steigt der Meeresspiegel. In Skandinavien sinkt er, weil sich dort die Landmassen seit der letzten Eiszeit heben.

Wobei: Das Meer steigt unterschiedlich stark an, selbst in Städten, die nah beieinander liegen. In der südspanischen Stadt Tarifa st das Meer heute 30 Zentimeter höher als vor 30 Jahren, im 150 Kilometer landaufwärts gelegenen Malaga sind es nur sechs Zentimeter.

In Brest in der Bretagne ist der Pegel um 16 Zentimeter gestiegen, im benachbarten Roscoff nur um rund 10 Zentimeter. Dies bedeutet: Lokale Winde und Wasserströmungen können die Meereshöhe an der Küste direkt beeinflussen.

In Skandinavien steigt die Landmasse

Während im norddänischen Hanstholm der Pegel seit 1985 um sechs Zentimeter stieg, nahm er im direkt gegenüberliegenden westschwedischen Smögen um 18 Zentimeter ab. An den skandinavischen Küsten steigt die Landmasse schneller als das Meer. Manche Häfen liegen buchstäblich auf dem Trockenen. In der westfinnischen Stadt Vaasa hat das Land nach unseren Daten um fast zehn Zentimeter zugenommen, in der nordnorwegischen Stadt Bodø sogar um 25 Zentimeter. Die Erklärung: „Die nordeuropäischen Länder erleben seit der letzten Eiszeit eine Landhebung: Die früher von kilometerdicken Eispanzern zusammengepresste Erdkruste dehnt sich nach deren Schmelzen auch heute noch aus“, sagt EEA-Experte Füssel.

Die allermeisten Küstenbewohner in Europa werden sich auf steigende Meeresspiegel einstellen müssen. Um die Küsten zu schützen, können Deiche und Wehre das Wasser und die Wellen bremsen, Sand kann aus tieferen Ebenen an den Strand gebaggert werden, um eine Erosion bei Hochwasser zu verhindern. In Deutschland beispielsweise werden die Deiche in den nächsten Jahrzehnten um 70 Zentimeter erhöht.

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Aber nicht alle Küsten und auch nicht alle Bewohner können in Sicherheit gebracht werden. So wie in Medmerry. „Niemand stellt heute mehr infrage, dass sich der Meeresspiegel ändert“, sagt Detlef Stammer, Direktor des Instituts für Erdsystemforschung an der Hamburger Universität. Aber wie es in Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Portugal konkret weitergehen werde, sei dennoch unsicher. Das Klima sei zu chaotisch. „Wir müssen akzeptieren, dass eine relative Unsicherheit bestehen bleiben wird“, sagt Stemmer.

Wassermassen sind träger als Luft. Selbst wenn die Menschheit von heute auf morgen keine klimaschädlichen Gase mehr ausstoßen würde, stiege das Wasser noch jahrhundertelang an. Deswegen kann heute niemand sagen, wie die Küsten langfristig aussehen werden – auch nicht im so minutiös vorausplanenden Europa.

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