Die Modeindustrie im Umbruch

Von Fast zu Fair?

Lesezeit:
5 minuten

5 November 2019

TITELBILD: Christian Fregnan/Unsplash

Weniger Kleidung kaufen ein Weg zu mehr Nachhaltigkeit.

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5 November 2019
Zara, H&M und Zalando – sie alle stehen für die sogenannte Fast Fashion: billige, kurzlebige Massenmode. Doch das soll sich ändern. Die großen Player der Branche wollen nachhaltiger werden. Was ist dran an dem Versprechen?

Mikroplastik, Pestizide, moderne Sklaverei: Düster ist die Bilanz der weltweiten Modeindustrie. Laut Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) verantwortet die 2,5 Billionen schwere Branche rund zehn Prozent aller Kohlenstoff-Emissionen – mehr als internationaler Flugverkehr und Seeschifffahrt zusammen. Allein der Anbau von Baumwolle, obwohl er nur drei Prozent des weltweiten Ackerlands ausmacht, bedingt 24 Prozent aller Insektizide und elf Prozent aller Pestizide. Jedes Jahr schwemmt das Waschen von Textilien eine halbe Million Tonnen Mikroplastik in die Meere. Jacken, Schuhe und T-Shirts werden oft unter verheerenden Arbeitsbedingungen produziert. UNECE spricht daher von einer Ära der „Fast Fashion”: kurzlebige Trends und möglichst günstig hergestellte Mode.

Doch die Industrie gelobt Besserung. So sagt etwa Zalandos Co-CEO Ruben Ritter: „Die gesamte Modebranche steht vor großen Herausforderungen beim Thema Nachhaltigkeit und wir sind Teil des Problems. Zukünftig wollen wir ein Teil der Lösung sein.“ Ab sofort will sich Zalando der Klimaneutralität verpflichten: Bis 2023 soll beispielsweise Einwegplastik aus den eigenen Verpackungen verschwinden. Bereits jetzt seien mehr als 90 Prozent der Stromversorgung an allen Unternehmensstandorten auf erneuerbare Energien umgestellt worden. Weitere CO2-Emissionen sollen kompensiert werden. In dem Bereich gibt es viel aufzuholen: Im Jahr 2018 hatte der gesamte Zalando-Handel nach Berechnungen des Unternehmens rund 247.000 Tonnen Kohlendioxid verursacht – ein Fünftel mehr als im Vorjahr.

Ähnlich klang das im Juli bei Zara, der stärksten Marke des riesigen Textilkonzerns Inditex: Bis zum Jahr 2025 soll die gesamte Zara-Kollektion aus nachhaltigen, sprich ökologischen oder recycelten Materialien bestehen. Die anderen Inditex-Marken sollen folgen. Ebenfalls bis 2025 sollen 80 Prozent der Energie für die Zara-Zentrale, Fabriken und Läden aus erneuerbaren Quellen stammen.

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Arbeitsbedingungen müssen besser werden

Zusätzlich zu den ökologischen Fragen müssen auch die Arbeitsbedingungen bei der Herstellung in den Produktionsländern fairer werden. Auch Zalando kündigt das an und dürfte dabei besonders argwöhnisch beäugt werden, denn immer wieder sorgten die schlechten Arbeitsbedingungen auch in den europäischen Zalando-Warenlagern für Kritik.

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Bis 2023 sollen 20 Prozent des gesamten Zalando-Handelsvolumens mit nachhaltigeren Produkten erzielt werden. Das entspricht laut Co-CEO Ritter Waren im Wert von drei bis vier Milliarden Euro. 2019 sollen es bereits 260 Millionen Euro sein. Das wären zehn Mal mehr als noch vor zwei Jahren.

Und schon seit 2016 blitzt im Zalando-Shop ein kleines Kästchen mit grüner Schrift auf: „Nachhaltigkeit“ steht darauf. Doch Schuhe, Kleider und Hemden können sich damit bereits schmücken, wenn sie lediglich eines der Zalando eigenen Kriterien erfüllen. Dabei geht es um Sozial-, Umwelt- und Tierschutzstandards, die den „internationalen Standards der Fashion-Industrie angepasst“ seien. Manche Produkte sind außerdem durch Dritte zertifiziert, wie Fairtrade oder dem Global Organic Textile Standard.

Zalando verpflichtet sich also nicht grundsätzlich einem – oder mehreren – der bereits existierenden Siegel in dem Bereich. Diese Fülle an Zertifikaten – und die eigenen Maßstäbe von Konzernen wie Zalando – schaffen kaum Klarheit und sind ein Problem, das auch dadurch bedingt ist, dass nicht eindeutig definiert ist, was genau nachhaltige Kleidung ausmachen soll. 

100 Prozent nachhaltige Mode – eine Illusion?

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Dr. Monika Hauck forscht unter anderem zu Nachhaltigkeit und Innovation. Sie ist Leiterin des Entrepreneurship-Centers der privaten Business School WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar und Düsseldorf. Sie sagt: „Es gibt keine genaue Definition von nachhaltiger Mode.“ Außerdem könne niemand, auch nicht Vorreiter wie das Modelabel Armedangels, zu 100 Prozent garantieren, dass jeder einzelne Schritt der Produktion nachhaltig ist – angefangen von Menschenrechten bis hin zu ökologischer Verantwortung. Die Modeindustrie sei viel zu komplex, sagt Hauck. „Sehr vieles wird outgesourct. Je größer die Firmen, desto komplizierter ist es, das alles zu kontrollieren.“ Dennoch findet sie: Wenn sich jetzt auch die großen Player für Nachhaltigkeit einsetzen, sei das bereits „ein sehr positives Zeichen“. Es reiche nicht, wenn sich alleine kleine Start-ups mit innovativen Materialien und nachhaltigen Lieferketten beschäftigen. Nur mit Hilfe von Zalando und Co. könne sich in der Industrie tatsächlich etwas verändern.

Tatsächlich nutzen laut eigenen Angaben von Zalando 29,5 Millionen aktive Kunden die vor elf Jahren in Berlin gegründete Online-Plattform. Die Rechnung des umstrittenen Konzerns Rocket Internet, der das kleine Start-up Zalando damals mit viel Geld groß gemacht hat und mittlerweile als Investor ins Immobiliengeschäft eingestiegen ist, scheint aufzugehen. Im dritten Quartal 2019 verzeichnete Zalando mehr als eine Milliarde Seitenbesuche – ein Plus von 37,3 Prozent verglichen mit dem Vorjahr. Auch beim Umsatz legte der Konzern im Vergleich zu 2018 um 26,7 Prozent auf 1,5 Milliarden Euro zu und verzeichnete bei einem operativen Ertrag von 6,3 Millionen Euro unter dem Strich einen Verlust von 13,6 Milliarden Euro – weniger als im vorherigen Quartal, als es noch minus 41,7 Millionen Euro waren.

Nachhaltigkeit als profitable Strategie?

Wie passen die neue Nachhaltigkeits-Strategie und der weiterhin angestrebte Wachstum zusammen? „Es gibt eindeutig einen Zielkonflikt. Aber wir sind bereit, kurzfristige Abstriche bei Wachstum und Profitabilität zu machen“, sagt Zalando Co-CEO Ritter. Langfristig solle sich fair und ökologisch produzierte Ware jedoch lohnen: „Nur Unternehmen, die Nachhaltigkeit in ihre Geschäftsstrategie einbeziehen, werden für Kunden relevant bleiben.“ Zalando sieht in strategischer Nachhaltigkeit langfristig einen Wettbewerbsvorteil.

Laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey vom Oktober fordern die Kunden immer mehr glaubwürdige soziale und ökologische Nachhaltigkeit. Die Suchanfragen zu „nachhaltiger Mode“ hätten sich demnach zwischen 2017 und 2019 verdreifacht, bei Instagram unter dem Hashtag #SustainableFashion sogar verfünffacht.

Ein großes Problem bleiben die Retouren: Zalando-Kunden schicken europaweit jedes zweite Kleidungsstück zurück. Die Plattform will daher auf bessere Algorithmen bei der Kaufberatung setzen, um die Quote zu reduzieren und betont: 97 Prozent der Retouren werden wieder aufbereitet und weiterverkauft, knapp drei Prozent über die Rabattkanäle Zalando Lounge oder in den Outlets. Weniger als 0,05 Prozent der Waren werden laut Zalando vernichtet, unter anderem wegen Schimmels. Andere Firmen zerstören tonnenweise Kleidungsstücke. H&M verbrennt Überschüsse einer Massenproduktion und auch die Luxusmarke „Burberry” schreddert Klamotten von Millionenwert.

H&M-Chef graut vor weniger Konsum

H&M scheint Nachhaltigkeit ebenfalls als rein strategischen Vorteil zu sehen und erntete kürzlich viel Kritik dafür. Der Chef des Modekonzerns, Karl-Johan Persson, sagte in einem Interview mit Bloomberg: „Das Klimaproblem ist unglaublich wichtig, es ist eine riesige Bedrohung und wir müssen sie ernst nehmen.“ Doch Persson argumentierte, die Aktionen von Klimaaktivisten könnten „einen kleinen Einfluss auf die Umwelt, aber schreckliche gesellschaftliche Konsequenzen” haben. Auf keinen Fall dürfe weniger (Kleidung) konsumiert werden, denn in den Augen des H&M-Bosses kann nur wirtschaftliches Wachstum etwa zu mehr Jobs und besserer Gesundheitsversorgung führen. Statt Kaufverzicht sollten „ökologische Innovationen, erneuerbare Energien und verbesserte Materialien“ den Klimawandel bekämpfen.

Kritischer sieht das André Reichel, Professor für Nachhaltigkeit an der International School of Management in Stuttgart: Trotz aller Versuche, effizienter mit natürlichen Ressourcen umzugehen und nachhaltiger zu produzieren, steige unser CO2-Fußabdruck. Reichel plädiert daher dafür, Wachstum und Wertschöpfung nicht mehr nur rein anhand wirtschaftlicher Größen zu messen, sondern auch mit Blick auf ökologische und soziale Aspekte. Letztlich müssten wir weniger konsumieren. Bei einer Diskussionsrunde zu Zalandos Nachhaltigkeits-Strategie gab er dem Konzern jedoch Entwarnung: Weniger Konsum bedeute nicht zwangsläufig weniger Profit. „Wenn Kunden künftig weniger Kleidung kaufen, können die Unternehmen das zum Beispiel durch den Verkauf von teurerer Kleidung ausgleichen.“

Menschen müssen weniger kaufen, aber dafür bessere Qualität.
Wirtschaftswissenschaftlerin Dr. Monika Hauck

Auch Monika Hauck sagt: „Menschen müssen weniger kaufen, aber dafür bessere Qualität.“ Außerdem legt sie einen Fokus auf Secondhand. „Das ist eines der am schnellsten wachsenden Segmente der Bekleidungsindustrie, in das viel Venture Kapital fließt.“

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Bei Secondhand will auch Zalando künftig mitmischen: Mindestens 50 Millionen Modeprodukte sollen bis 2023 über die im Sommer eingeführte App „Wardrobe“ eine längere Lebensdauer bekommen. Dort können Kunden ihre Kleidungsstücke hochladen, um sie an andere oder Zalando selbst weiterzuverkaufen.

Zwischen 2000 und 2014 hat sich die weltweite Produktion von Kleidung verdoppelt. Für Hauck ist die Rechnung also recht simpel: „Wir haben zu viele Klamotten auf der Welt.“ Die entscheidende Lösung für das Problem: „Konsumenten müssen ihre Klamotten pflegen, reparieren und möglicherweise weiterverkaufen oder teilen.“ Am effektivsten und nachhaltigsten sei es, die tatsächlich schon existierenden Klamotten länger zu verwenden.

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