Ab an die Tonne

So funktioniert Containern

Lesezeit:
6 minuten

22 December 2015

Titelbild: Jilbert Ebrahimi / UNSPLASH

Containern, oder auch Mülltauchen oder Dumpster Diving genannt, bezeichnet die Mitnahme von entsorgten Lebensmittel aus Abfallcontainern.

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22 December 2015
Labberige Paprika, Wurst und Käse nahe am Mindeshaltbarkeitsdatum – tonnenweise landen noch verzehrbare Lebensmittel in den Abfallcontainern der Supermärkte. Der Student Tobias Pastoors ernährt sich von dem Überfluss im Müll

Zwei Monate lang war der Kölner Journalistenschüler und VWL-Student Tobias Pastoors Praktikant bei enorm. Über das Thema Essen kamen wir gleich mit ihm ins Gespräch, denn der 23-Jährige kam mit Tüten voller Croissants oder Brötchen ins Büro – Lebensmittel, die er bei einer Bäckerei abgeholt und so vor der Mülltonne gerettet hatte. Er erzählte von großen Mengen an Obst, Gemüse oder Fleisch, die Supermärkte im Abfall verschwinden lassen. Essen, das man noch gut verzehren kann, sagt er. So wie die 400 Riegel Duplo, die Tobias beim Containern in einer Supermarktmülltonne fand – und von denen auch ein Teil in unserer Teeküche landete.

Tobias, du sagst, dass du in den acht Wochen bei enorm gerade mal 50 Euro für Lebensmittel ausgegeben hast. Stimmt das?

Ja. Von containerten Lebensmitteln kann ich mich fast komplett ernähren.

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Du warst fremd in Hamburg, aber hattest schon am ersten Tag gerettete Lebensmittel im Kühlschrank.

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Ich bin Mitglied der Online-Plattform Foodsharing. Schon von Köln aus habe ich mich in die Hamburger Gruppe eingetragen. Bei Foodsharing holt man das Essen nicht aus der Tonne, sondern direkt beim Supermarkt ab. Einige Märkte machen da mit, weil sie nichts wegwerfen wollen.

Wie sah dein Speiseplan in den ersten Tagen aus?

Ich hatte ganz viel Brot, Paprika und Salat. Sonst allerdings auch nichts.

Schnell fandest du auch Supermärkte in deiner Nähe, in deren Mülltonnen man Essen findet. Wie sieht es in so einer Tonne aus, liegt alles durcheinander – von Fleisch, Eiern bis hin zu Brot?

Die Märkte werfen regalweise weg. Also erst alles aus der Fleischtheke, darüber das Obst und Gemüse und obendrauf landet das Brot. Die Tonnen sind leider recht hoch, und Supermärkte, die wissen, dass sich jemand das Essen holt, verstecken das Gute gerne ganz unten. Das faulige Zeug kippen sie oben drauf. Dann muss ich umschichten, um an die Ware auf dem Boden zu kommen. Auf jeden Fall muss es hinterher möglichst wieder so aussehen wie vorher.

Gibt es Tonnen, in die du selbst mit Handschuhen nicht reinfassen magst?

Nö (er lacht). Ich suche mir dann einen Stock und schiebe das Matschige beiseite. Einmal habe ich eine Tonne aufgemacht und mir kam eine Ratte entgegen. Das fand ich dann aber auch wieder lustig, weil es ja genau das Bild ist, das sich viele vom Containern machen. In solchen Tonnen ist aber auch nichts Gutes mehr drin, das korreliert ja miteinander. Wenn eine Ratte herauskommt, ist der Inhalt so unhygienisch, das man loses Gemüse auf keinen Fall mehr essen kann.

Die meisten Waren sind aber in Plastik verpackt, oder?

Ja, das ist der einzige Moment, in dem ich mich über Plastik freue. Selbst Obst und Gemüse steckt in Plastikpackungen, wobei die oft Luftlöcher haben – und das kann auch ziemlich eklig werden, wenn Schmutz eindringt.

Wenn du mit einem vollen Rucksack nach Hause kommst, wie geht es dann weiter?

Teil zwei der Arbeit beginnt. Ich fülle ein Spülbecken mit heißem Essigwasser. Da schleuse ich alles einmal durch. Einfach, um das Essen ein bisschen sauberer zu bekommen, bevor es in den Kühlschrank kommt. Ich habe ein Fach, in das ich die Sachen bevorzugt hineinstelle – und das ich auch regelmäßig mit Essigreiniger putze. Eier kommen bei mir erst einmal ins Wasserbad. Wenn sie schwimmen, kann man sie nicht mehr essen.

Steckst du viel Zeit ins Kochen und Verarbeiten?

Klar. Es sei denn, man nimmt nur wenig mit. Das mache ich aber nur, wenn ich genau weiß, dass nach mir noch jemand zu einer Tonne kommt. Sonst packe ich alles ein und suche dann Abnehmer. Ich hatte einmal 60 Kilo Gouda, die kann ich auch über Wochen nicht alleine essen. Da ist eine Facebook-Gruppe super. Dort haben sich sehr schnell Leute gemeldet. Ich lade auch oft meine Freunde zum spontanen Essen ein. Einmal hab ich zehn Kilo Salami gerettet, die haben wir knusprig gegrillt und Stockbrot dazu gebacken.

Essen deine Freunde gern bei dir?

Sie finden Containern voll super. Viele sind auch bei Foodsharing aktiv. Alle wollten auch mal mit mir mitgehen. Einem hat es allerdings danach nicht mehr so gut bei mir geschmeckt. Er hatte sich das Ganze wohl hygienischer vorgestellt.

Hattest du schon mal eine Lebensmittelvergiftung?

Ich habe einmal Frischei-Waffeln gefunden und sie gegessen. Nach der vierten habe ich bemerkt, dass da so ein feiner Schimmelsaum in den Ritzen hing. Daraufhin habe ich sie so gut es ging wieder aus meinem Körper befördert. Trotzdem war mir den ganzen Tag über nicht so wohl im Magen. Aber das hat auch mit der Psyche zu tun.

Verschlossene Mülltonnen zu öffnen, damit bewegt man sich im illegalen Bereich. Wie weit gehst du?

Bei einer Tonne musste ich immer erst über einen Zaun klettern – aber da gab es eben so gute Sachen. Bei vielen Märkten kommt man gar nicht an den Abfall heran, oft sieht man die Mülltonnen nicht einmal, weil sie im Gebäude stehen. Wenn sie draußen sind, ist oft ein Käfig drumherum oder sie haben einen Verschluss. Da ist ein Dreikant- Steckschlüssel sehr hilfreich.

Wem gehört Abfall? Immer noch dem, der ihn entsorgt hat?

Ich glaube, auch wenn man etwas wegwirft, besitzt man es rein rechtlich noch. In manchen Fällen, je nach Vertrag mit einem Entsorger, gehört der Tonneninhalt aber auch schon der Abfallwirtschaft.

Kommerziellen Anbietern wie Re-Food, der Energie aus Speiseresten gewinnt, sind Containerer doch sicher ein Dorn im Auge.

Die ärgern wir vermutlich, weil sie wegen uns weniger oft zum Abholen kommen können. Aber bei den riesigen Mengen entsorgter Lebensmittel dürften sie das Containern kaum spüren.

Die offizielle Linie von Supermärkten lautet ja: Wir wollen nicht, dass jemand aus unserer Mülltonne isst, weil das gesundheitsschädlich sein kann.

Das müssen sie wahrscheinlich sagen, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein. Was in der Tonne liegt, wird formell zum Lebensmittel der Kategorie 3 und ist für den menschlichen Verzehr nicht mehr geeignet.

Ist das eine Schutzbehauptung?

Teilweise ja – eine Paprika etwa hat kein Verfallsdatum, man wirft sie nur weg, weil sie nicht mehr so knackig ist. Selbst nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums kann man viele Lebensmittel noch gut essen. Das „Zu verbrauchen bis“-Datum bei Fleisch nehme ich dagegen wesentlich ernster.

Spürst du, dass Supermärkte inzwischen bewusster mit dem Thema Lebensmittelverschwendung umgehen?

Nein. Bei vielen kann man quasi mit einer festen Ausbeute rechnen. Es gibt Märkte, die so schlecht planen, dass gewisse Dinge immer im Müll landen. Sogar Lebensmittel wie Chips oder Schokolade, die ein langes Mindesthaltbarkeitsdatum haben. Richtig kalkulierbar ist es bei Brot. Das kommt jeden Abend weg.

Du hast erzählt, dass dir manche Mitarbeiter eine Kiste mit den Resten neben die Tonne stellen, damit du nicht im Müll suchen musst.

Ja, aber das ist sehr selten. Das gibt es eher bei Bio-Supermärkten oder Händlern, die bei Foodsharing registriert sind. Bei anderen Märkten habe ich schon erlebt, dass sie Farbe über das aussortierte Brot kippen oder absichtlich die Packungen zerstoßen, damit sie niemand mehr aus der Tonne holt.

Du hast in München, Berlin, Hamburg und Köln containert. Wie unterschiedlich läuft das in diesen Städten?

Der Hauptunterschied sind die Gründe, warum Menschen containern. Im Prinzip gibt es zwei dominante Punkte: Entweder fehlt einem das Geld oder man kämpft aus Überzeugung gegen Lebensmittelvernichtung. Ein dritter Grund ist – das trifft in Berlin oft zu – dass Containern hip ist. In München gibt es viele Leute, die aus ethischen Gründen containern. In Köln gehen viele aus Armut an die Tonnen. Damit ich ihnen nichts wegnehme, gehe ich dort erst spät abends los.

In München durftest du die containerten Sachen aus Hygienegründen nicht in den WG-Kühlschrank legen.

Stimmt. Aber der entscheidende Unterschied zu Köln ist, dass ich mich in München daran gewöhnen musste, vieles in den Tonnen liegen zu lassen. Einfach, weil es schwer war, hinterher genügend Abnehmer zu finden – es sei denn, man findet einen guten Käse. In Köln kenne ich Familien, die vom Containern leben.

Wann hast du dein erstes Essen aus der Tonne geholt?

Mit siebzehn. Ich fand das total spannend. Auch, weil es etwas Verbotenes ist, nachts mit der Taschenlampe an fremde Mülltonnen zu gehen. Jetzt bin ich 23 und mit ein paar Unterbrechungen dabei geblieben. Aber ich lebe nur während meiner Praktika in anderen Städten ausschließlich von gerettetem Essen. In Köln wohne ich noch bei meinen Eltern und esse oft bei ihnen mit. Meine Mutter verkocht aber auch die Sachen, die ich mitbringe.

Eigentlich bist du Veganer. Aber du nimmst auch Wurst und Fleisch mit.

Ich versuche es an Leute zu verteilen, die sich auch Fleisch kaufen. Wenn es jedoch sofort weg muss, esse ich es. Aber ich habe mich in den vergangenen Jahren ein bisschen gewandelt. Früher habe ich wirklich alles in mich reingestopft, was ich gefunden habe. Ich habe morgens, mittags, abends Fleisch gegessen, wenn ich fünf Kilo Schnitzel gefunden habe. Heute lasse ich Fleisch, das förmlich nach Antibiotika riecht, auch in der Tonne. Ich habe eingesehen, dass ich nicht den kompletten Überfluss aufessen kann.

Was für die meisten Menschen sehr wichtig ist, nämlich nach Lust und Laune zu entscheiden, was sie essen möchten, gibst du zum größten Teil auf. Wie schwer fällt dir das?

Ich finde das oft sogar entlastend. Wenn ich zu Hause sitze und mich frage, was ich mir denn jetzt zu essen machen soll, denke ich oft: Ach, gehst du einfach containern. Das ersetzt die eigene Inspiration.

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Wofür hast Du hier in Hamburg die 50 Euro für Lebensmittel ausgegeben?

Einmal war ich mit euch mittags essen. Und dann hab ich mir noch Senf, Nudeln, Reiswaffeln, Essig und Öl gekauft. Das findet man selten im Müll.

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