Arbeitskampf in Bangladesch

Macht durch die eigene Kaufkraft

Lesezeit:
7 minuten

18 December 2017
Die beiden Gewerkschafterinnen Kalpona und Mim Akter über den Alltag in Bangladeschs Fabriken, die Fortschritte seit Rana Plaza – und die Macht der Konsumenten

Wie kam es, dass ihr angefangen habt, in der Bekleidungsindustrie zu arbeiten?

Kalpona Akter: Ich habe angefangen zu arbeiten als ich zwölf war. Ich war die älteste von fünf Geschwistern und mein Vater war derjenige, der das Haupteinkommen in der Familie erwirtschaftet hat. Als er krank wurde, ist dann am Anfang meine Mutter arbeiten gegangen, aber wir hatten eine kleine Schwester, die noch ein Baby war und sie musste zuhause bleiben, um sich um meine Geschwister und meinen kranken Vater zu kümmern. Darum sind dann mein zehnjähriger Bruder und ich in die Fabrik gegangen, um das Essen für sieben Leute auf den Tisch zu bringen und die Behandlungskosten zu zahlen. Ich habe 16 bis 18 Stunden am Tag gearbeitet, was damals üblich war, schlimme Beschimpfungen und Schläge waren an der Tagesordnung, der Lohn war viel zu niedrig und die Sicherheit in der Fabrik katastrophal.

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Mim Akter: Als ich angefangen habe, in der Fabrik zu arbeiten, wusste ich nichts über meine Rechte. Auch meine Kolleginnen hatten keine Ahnung, was die Fabrikbesitzer und das Management von uns verlangen konnten und was nicht. Wir haben aber immer wieder gemerkt, dass es sehr schwierig ist, wenn einzelne von uns versucht haben sich zu beschweren. Das Management hat die Leute entlassen oder schikaniert. Darum haben wir uns irgendwann gedacht, wir müssen uns zusammentun, um uns gegenseitig zu unterstützen. Gemeinsam können wir uns besser wehren. Deshalb haben wir versucht, eine Fabrikgewerkschaft zu gründen. Wenn du in Bangladesch eine Fabrikgewerkschaft gründen willst, müssen 30 Prozent der Belegschaft mit an Bord sein. Das ist schon sehr viel, um anzufangen. Dann musst du die Liste mit den Namen an die Regierung schicken und die schickt dann Inspektoren zur Fabrik um das zu prüfen. Das heißt, die Regierung informiert das Fabrikmanagement darüber und die Arbeiterinnen werden vor ihrem Chef gefragt: „Und du willst dich also gewerkschaftlich organisieren?“ Viele trauen sich dann nicht, das zuzugeben, weil sie Angst vor Entlassung oder Schikane haben. Mich haben sie auch versucht unter Druck zu setzen. Mich hat ständig jemand verfolgt, sie haben sogar eine Person dazu abbestellt, mich auf Toilette zu begleiten, damit ich auf dem Weg nicht mit anderen Arbeiterinnen sprechen kann. Außerdem haben sie versucht, die Leute gegeneinander aufzubringen und den Arbeiterinnen erzählt, dass wir versuchen würden, die Fabrik schließen zu lassen und dass alle wegen uns ihre Jobs verlieren würden. Als wir auch dann nicht damit aufgehört haben, uns zu wehren, wurden wir von unseren Vorgesetzten zusammengeschlagen und am Ende haben sie uns einfach entlassen.

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Wie sieht der Tagesablauf einer Arbeiterin aus?

Mim: Ich stehe um 05:30 Uhr auf; mache das Frühstück für meine kleine Tochter und koche Mittagessen vor für meinen Mann und mich. Dann mache ich meine Tochter für den Tag fertig, füttere sie und bereite ihr Essen für den restlichen Tag zu. Wenn ich mich selber fertiggemacht habe, bringe ich meine Tochter zur Nachbarin, die – während wir arbeiten– auf sie aufpasst. Oft schaffe ich es nicht mehr selber zu frühstücken, bevor ich zum Bus muss. Ich brauche rund 30 Minuten zur Arbeit und um Punkt acht muss ich an der Maschine stehen. Ich arbeite dann bis 14 Uhr ohne Pause. In der Pause von 14 bis 15 Uhr esse ich schnell was, damit ich danach noch Zeit habe, ein wenig zu schlafen. Ich bin jeden Tag so müde, dass ich sonst gar nicht bis zum Ende durchhalte. Zwischen 15 und 20 Uhr gibt es wieder keine Pause. Meistens arbeite ich elf Stunden, manchmal aber auch länger, sodass ich selten vor 22 Uhr zuhause bin. Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, schläft meine Tochter meist schon. Wenn nicht, spiele ich noch eine halbe Stunde mit ihr, füttere sie und bringe sie ins Bett. Ich koche dann das Abendessen für mich und meinen Mann, wir essen und gehen meistens gegen zwölf Uhr nachts schlafen. Am nächsten Tag ist es das gleiche, sechs Tage die Woche.

Was verdient eine Arbeiterin im Monat?

Mim: In unserer Fabrik wird der Mindestlohn gezahlt, also 5300 Taka, was ungefähr 55 Euro sind. Das ist der Lohn für neue Mitarbeiterinnen. Ich arbeite schon lange in der Fabrik und habe eine Position als Senior Operator, darum bekomme ich mehr. Im Monat kriege ich 7800 Taka, das sind circa 80 Euro. Da ich jeden Tag Überstunden mache, komme ich am Ende des Monats auf knapp 100 Euro im Monat. Dieser Lohn reicht nicht zum Überleben. Ich gebe rund die Hälfte für Miete aus und nochmal ungefähr 1200 Taka für Verkehrsmittel. Den Rest gebe ich für Essen aus. Es ist ein Glück, dass mein Mann auch arbeitet und trotzdem haben wir am Ende des Monats nichts übrig. Wie viele Leute in Bangladesch unterstützen wir außerdem unsere Eltern finanziell, weil die keine Rente bekommen. Das macht es zusätzlich schwierig. Wenn einer von uns krank wird, bekommen wir keinen Lohn. Das heißt entweder hungern wir oder wir nehmen einen Kredit auf.

Gibt es immer noch Kinderarbeit in der Bekleidungsindustrie?

Kalpona: Nein, in den formellen Bekleidungsfabriken gibt es praktisch keine Kinderarbeit mehr, aber wenn Du wirklich tief in die Lieferkette schaust, findest Du Kinderarbeit bei den Subunternehmern, beispielsweise an den Rändern der Stadt, in solchen Stadtteilen, die schwer erreichbar sind oder wo niemand eine Fabrik erwartet. Also in der offiziellen exportorientierten Industrie findet man keine Kinderarbeit, aber auf der anderen Seite findest Du die Mütter von Kinderarbeitern in den Bekleidungsfabriken. Kinderarbeit ist im formellen Sektor illegal, aber wenn man sich die Landwirtschaft, die Gastronomie, Einkaufszentren oder Gartenarbeit anschaut, oder auch Heimarbeit, da arbeiten sehr viele Kinder. Und diese Kinder sind sehr häufig die Kinder von Fabrikarbeiterinnen, weil diese nicht genug verdienen, um ihre Kinder zur Schule zu schicken.

Mim, du hast selber eine Tochter. Wie funktioniert das Leben als Schwangere und als Mutter in der Fabrik?

Mim: Als ich schwanger war, habe ich bis zum siebten Monat gearbeitet. Ich bin nach dem bezahlten Mutterschutz dann direkt zur Fabrik zurückgekehrt, weil ich keine Wahl hatte und das Geld brauchte. Meine Tochter war da zwei Monate alt. Nach drei Tagen in der Fabrik ohne mein Kind habe ich mich sehr schlecht gefühlt und meiner Tochter ging es auch nicht gut. Ich musste nochmal sieben Tage unbezahlten Urlaub nehmen, bis es uns besser ging. Denn wir haben keine Kinderbetreuungseinrichtung in unserer Fabrik, obwohl das gesetzlich vorgeschrieben ist, darum kann ich meine Tochter nicht dorthin mitbringen. Wir versuchen als Gewerkschaft eine Kinderbetreuung in der Fabrik durchzusetzen. Das wäre viel besser, wenn ich meine Tochter in den Pausen sehen könnte, das würde vieles für uns erleichtern.

Wie haben sich die Arbeitsbedingungen in Bangladesch nach Rana Plaza verbessert?

Kalpona: Die Rana Plaza Katastrophe 2013 hat einen Impuls für positive Veränderungen im Bereich der gewerkschaftlichen Organisierung gegeben. Vor Rana Plaza gab es in nur 25 Fabriken der Bekleidungsindustrie überhaupt eine Fabrikgewerkschaft und das bei fast 5000 Fabriken im Land. Wenn man sich die Neuregistrierungen von Fabrikgewerkschaften zwischen 2012 und 2017 anschaut, hat es 500 neu registrierte Gewerkschaften gegeben. Das ist fantastisch. Aber wenn man sich anschaut, welche Gewerkschaften tatsächlich funktionieren, welche es geschafft haben einen Tarifvertrag mit dem Management der Fabrik auszuhandeln, zeigt sich, dass es weniger als 50 sind. Es wurde also trotz dieser Zahl – 500 neue Fabriken – keine gesunde Umwelt für gewerkschaftliche Arbeit geschaffen. Während es in 2013 und 2014 noch besser lief, ist es in den letzten Jahren immer schwieriger geworden, Gewerkschaften zu gründen, was sich auch in den Zahlen widerspiegelt. Vor allem die Zahl gelber Gewerkschaften, also solcher Gewerkschaften, die entweder vom Management direkt eingesetzt werden oder der Chefetage sehr nahe stehen, steigt in den letzten Jahren rapide an.

Was ist der Bangladesch Accord?

Kalpona: Nach Rana Plaza haben sich die Einkäufer, also die westlichen Markenunternehmen, die in Bangladesch produzieren lassen, dazu bereit erklärt, mehr Verantwortung für die Produktion zu übernehmen. Sie haben ein Abkommen unterzeichnet, den sogenannten Bangladesch Accord für Brandschutz und Gebäudesicherheit. Das heißt, jedes Unternehmen, das dieses gesetzlich bindende Abkommen unterzeichnet, muss in Bezug auf Gebäudesicherheit mit dem Accord zusammenarbeiten und sich aktiv für eine Verbesserung der Sicherheit in den Fabriken einsetzen. Bis 2013 sind durchschnittlich 200 Arbeiterinnen und Arbeiter bei Bränden oder Fabrikeinstürzen gestorben, jedes Jahr! Aber in 2016 waren es null Todesfälle. Dieses Abkommen ist für uns ein unglaublicher Durchbruch: ein gesetzlich bindendes Abkommen zwischen Markenunternehmen und Gewerkschaften, das die Stimmen der Arbeiterinnen und Arbeiter bei jedem Schritt im Prozess miteinbezieht, das hat wirklich was verändert.

Erwartet ihr eine signifikante Verbesserung aufgrund von Accord II?

Kalpona: Während Accord I sich auf Sicherheitsfragen beschränkt hat, enthält die Verlängerung des Abkommens Neuerungen hinsichtlich der Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern. Damit will Accord II zum Beispiel das Recht der Arbeiterinnen stärken, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Das heißt, wenn die Rechte von Arbeiterinnen verletzt werden, wenn Arbeiterinnen schikaniert werden, weil sie sich gewerkschaftlich organisieren wollen, dann haben sie in Zukunft die Möglichkeit, sich an den Accord zu wenden. Der Accord I hat fantastische Arbeit bei der Sanierung von Gebäuden und der Verbesserung der Sicherheit geleistet. Wenn etwas Ähnliches für Arbeitsrechte gelten würde, könnte der Accord II Wunder bewirken. Also wir hoffen wirklich darauf, dass noch mehr Unternehmen das Abkommen unterzeichnen, vor allem die großen internationalen Marken.

Aber bereits jetzt hilft der Accord beispielsweise bei der Entlassung von Gewerkschafterinnen. Wie seid ihr dagegen vorgegangen?

Mim: Meine Kolleginnen und ich haben Kurse bei den Gewerkschaften besucht und gelernt, welche Rechte wir haben. Wir haben auch gelernt, welche Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden müssen, damit es in einer Fabrik nicht zu Feuer oder Gebäudeeinstürzen kommt. Nachdem wir das gelernt hatten, ist uns aufgefallen, dass in unserer Fabrik viel zu viele schwere Maschinen und Materialien pro Etage aufbewahrt wurden. Wenn jemand zur Inspektion kam, wurden die Materialien weggeräumt und gleich danach einfach wieder zurückgebracht. Wir haben das beim Accord gemeldet und um eine unangekündigte Inspektion gebeten. Das Fabrikmanagement hat das rausgefunden und kurz darauf mich und acht meiner Kolleginnen unter polizeilicher Aufsicht dazu gezwungen, Kündigungsschreiben zu unterzeichnen. Wir haben uns beim Accord beschwert und einen Antrag gestellt, diesen Fall zu bearbeiten. Der Accord hat das Management, das einkaufende Unternehmen und uns einbezogen und zwischen uns vermittelt. Accord hat schließlich festgestellt, dass unsere Sicherheitsbedenken berechtigt waren und gemeinsam mit dem Unternehmen dafür gesorgt, dass wir unsere Jobs zurückbekamen mit voller Kompensationszahlung. Das ganze hat neun Monate gedauert.

Was können Menschen hier tun, um die Situation in Bangladesch zu verbessern?

Kalpona: Die Konsumentinnen und Konsumenten in westlichen Ländern können sehr viel tun. Meistens wissen sie nicht sehr viel über die Kleidung, die sie kaufen, viele sind eher glücklich über das Preisschild. Deswegen ist das Wichtigste: Stellt mehr Fragen! Fragt nicht nur, was ein Kleidungsstück kostet. Wenn ihr im Laden seid, fragt nach: Welcher Mensch hat meine Kleidung gemacht, wieviel wurde dieser Person im Monat gezahlt? Ist das ein menschenwürdiger Lohn zum Leben? Dürfen die Menschen sich gewerkschaftlich organisieren? Ist die Fabrik ein sicherer Ort oder sind hunderte Arbeiterinnen dabei gestorben? Das macht tatsächlich einen Unterschied, denn als Konsument und Konsumentin hat man die Macht durch die eigene Kaufkraft. Den Markenunternehmen und Einzelhändlern sind die Konsumenten und Konsumentinnen wirklich wichtig, denn nur ihr bringt ihnen Profit.

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Welche Kleidung wird in Bangladesch hergestellt und was wäre ein angemessener Preis dafür?

Kalpona: In Bangladesch machen wir T-Shirts, Hosen, Jacken, Unterwäsche, fast alles. Wir wissen aber nicht, was die Fabrikbesitzer von den Markenunternehmen dafür bekommen. Die Fabrikbesitzer argumentieren immer, dass sie nicht genug Geld von den westlichen Unternehmen bekommen, um die Arbeiterinnen und Arbeiter ordentlich zu bezahlen. Deswegen ist es sehr schwierig, einen angemessenen Preis dafür zu benennen. Aber das Workers Rights Consortium, eine amerikanische NGO, hat dazu eine Studie durchgeführt und festgestellt, dass wenn einkaufende Unternehmen nur 50 Cents auf jedes Kleidungsstück draufschlagen würden, würden sich die Gehälter verdreifachen. Natürlich müssten diese 50 Cents auch direkt an die Arbeiterinnen gehen, dafür müssten wir natürlich einen Mechanismus finden. So würde ein sehr kleiner Aufschlag einen riesigen Unterschied für die Menschen in Bangladesch machen.

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