Mode und Identität

Ich bin, was ich trage

Lesezeit:
3 minuten

4 July 2018
Daniel Fischer forscht an der Leuphana Universität Lüneburg über Konsumkultur und nachhaltiges Konsumverhalten. Ein Gespräch über die Bedeutung von Mode in der Gesellschaft und die Chancen von Green Fashion, sich zu etablieren

Herr Fischer, Mode ist heute meist zum Wegkonsumieren gemacht. Früher war sie langlebig. Was ist passiert?

Die Gesellschaft hat sich stark verändert. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit legten die Obrigkeiten fest, wer was zu tragen hat. Sogar die Zahl der Kleidungsstücke war vorgeschrieben: Zweimal Berufskleidung, ein Sonntagsstaat für den Kirchgang, eine Ausstattung zur Pflege des Brauchtums. Die Menschen definierten sich über die Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse, zu einer Familie, zur Kirche, zu einem Berufsstand. Noch im 18. Jahrhundert war Kleidung Chiffre für diese Zugehörigkeit. Mit der Moderne hat sich das gewandelt …

… sie brachte die Individualisierung …

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… und entkoppelte den Einzelnen zunehmend von der Schicht. Das soziale Leben ließ sich nicht mehr so einfach mit äußerlich erkennbaren Kategorien beschreiben. Wer bin ich, wo gehöre ich hin – das wurde zunehmend durch Bildung oder Einkommen definiert. Soziale Bindungen wurden vielfältiger, die Menschen teilten immer weniger Erfahrungsräume. 1900 sprach der Soziologe Georg Simmel vom „fragmentierten Subjekt“. Den Menschen wurde nicht mehr qua Geburt eine gesellschaftliche Identität zugewiesen, sie mussten sie selbst schaffen.

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Sie wurden also freier?

Schon, aber es entstanden damit auch neue Zwänge. Man musste Ausdrucksformen finden, um sich seiner Identität zu vergewissern. Ein Weg war der Konsum. Er wurde zum Mittel, um Status und Zugehörigkeit auszudrücken. Kleidung entwickelte sich dabei schnell zu einem maßgeblichen Vehikel. Mit ihr konnte man sein Ich und seine soziale Rolle nach innen und außen sichtbar machen. Deshalb ist Konsum, insbesondere von Mode, heute so aufgeladen. Wir dürfen ja nicht vergessen: Sich seiner Identität immer wieder zu vergewissern gehört zu dem, was Anthropologen ein „universelles Grundbedürfnis“ nennen. Es ist ebenso wichtig wie das Bedürfnis nach Freiheit, Partizipation oder Kreativität. Nicht die Bedürfnisse ändern sich also, sondern die Art und Weise wie wir sie in verschiedenen Kulturen und Zeiten befriedigen.

Heute müssen wir dafür nicht mal viel zahlen.

Wie die meisten Konsumgüter nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Kleidung rasant billiger. Ein kapitalistisches Wirtschaftssystem profitiert vom Verbrauch, Unternehmen treiben die Wegwerfkultur voran. Entsprechend wandelt sich der gesellschaftliche Umgang mit Kleidung: Früher wurden Trachten, Familienkleider oder Uniformen vererbt, sie waren Zeichen für Wert und Wohlstand der Familien. Heute ist es unüblich geworden, sie weiterzugeben oder zu reparieren. Und natürlich versteht das Marketing es meisterhaft, Verlockungen aufzubauen. Denken Sie nur an Erlebnisshopping. Wir treffen heute mehr adhoc-Entscheidungen als je zuvor.

Sind wir auf Materielles fixiert?

Im Gegenteil. Wir sind keinesfalls materieller als frühere Generationen. Was uns an Mode interessiert, ist ihr – wie der Soziologe Wolfgang Ullrich sagt – „Fiktionswert“. Mode als Versprechen. Wenn ich bei meinem Städtetrip Outdoor-Kleidung von Jack Wolfskin trage, als sei ich auf einem Himalaya-Trekking, erzähle ich mit meiner Kleidung eine Geschichte über mich: Schaut, wenn ich wollte, könnte ich jederzeit ins Auto springen und 1000 Kilometer gen Norden auf einen Abenteuertrip gehen. Mit dem Konsum dieser Kleidung versichern wir uns gerade jener Werte, die uns heute wichtiger sind denn je: die Freiheit sich auszuleben, die Welt zu entdecken, kreativ zu sein.

Auch der Wert Nachhaltigkeit rückt seit einigen Jahren in den Vordergrund, die Kritik an der Modebranche wächst.

Sicher kommt etwas in Gang. Allerdings ist kritisches Bewusstsein hier noch recht gering ausgeprägt. Unsere Studien zeigen: Jugendliche etwa betrachten Konsum als eine „nicht natürliche Selbstverständlichkeit“, Mithalten-können zählt. Und irgendwas, sagen Jugendliche, muss man ja schließlich anziehen. Bei Erwachsenen ist es nicht viel anders.

Die Green-Fashion-Bewegung bietet Alternativen, doch noch ist sie eine Nische. Warum?

Es ist der Branche bisher kaum gelungen, Motiv-Allianzen zu bilden. Sie darf nicht nur die Überzeugten im Blick haben. Sicher brauchen wir mehr Aufklärung. Wer weiß, was das Austrocknen des Aralsees mit der Produktion seiner Jeans zu tun hat, wird eher umdenken. Trotzdem interessiert sich nicht jeder für die Lieferkette in Indien oder die Lebensbedingungen der Fabrikarbeiter in Bangladesch. Deshalb müssen die Macher viel mehr fragen: Welchen Zusatznutzen hat mein Angebot für unterschiedliche Zielgruppen? Was könnte die Leute reizen?

Welche Motive könnten das sein?

Man kann das Kreativitäts-Bedürfnis ansprechen wie es die Upcyling- Bewegung bereits tut. Oder die Verarbeitung innovativer Materialien bei Sneakers betonen, das finden tech-affine Kundengruppen spannend. Oder neue Ideen für die langfristige Nutzung von Kleidung vorantreiben, indem man sie mit Zugehörigkeit und Eventerlebnis verbindet, etwa mit Kleidertauschpartys. Oder die Idee der Kreislaufwirtschaft in der Mode anschaulich machen. Wirkungsvoll sind auch prominente Vorbilder …

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Wie der Rapper Max Herre, der für Footwear von Ekn wirbt …

… und so eine neue Klientel mobilisiert. Wenn Green Fashion mit einem Methoden-Mix die Kunden anspricht, hat sie eine Chance, raus aus der Nische zu kommen.

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