Ernährung

Ist Insekten essen ethisch okay?

Lesezeit:
3 minuten

1 May 2018

Titelbild: Christoph Meinersmann / Pixabay

Ja, auch bei uns können Insekten inzwischen leichter auf dem Teller zum Essen landen

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1 May 2018
Je mehr sie auch hierzulande auf den Speiseplan kommen, desto mehr muss man sich auch mit den ethischen Aspekten von Insekten als Lebensmittel auseinandersetzen: Ist es vertretbar, diese Art von Tieren zu töten und zu essen? Und wie problematisch ist die „Massentierhaltung“

Das neue Jahr bringt immer eine große Reihe Änderungen mit sich. Der 1.1. ist einfach ein wunderbarer Stichtag. Der 1.1.2018 ist das besonders für alle, die auf Insekten stehen: Denn seit diesem Jahr soll es mit einer überarbeiteten EU-Verordnung einfacher werden, Insekten und Lebensmittel, die aus diesen hergestellt werden, zu handeln.

Es wird wohl noch etwas dauern, bis knusprige Heuschrecken wie Pommes angeboten werden, geschweige denn gegessen. Anders sieht es aber mit Burgern, Riegeln und anderen Lebensmitteln aus, die aus Insekten hergestellt werden. Die Ekel-Hürde ist hier schlicht geringer und Tofu hat sich inzwischen auch in gewissem Maß auf deutschen Tellern etabliert.

Da stellt sich natürlich die Frage: Darf ich auch als Vegetarier oder Veganer Insekten essen, wenn ich vor allem aus Tierschutzgründen auf tierische Lebensmittel verzichte? Und ist deren „Massentierhaltung“ nicht genauso schlimm wie bei Schweinen, Kühen oder Hühnern?

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Wir haben uns bei verschiedenen Organisationen, Experten und Wirtschaftsvertretern zu genau diesen Fragen umgehört. Und auch, wenn wir gerne überraschen würden: Das Feld ist bestellt. Peta, Greenpeace, der Vegetarierbund (Vebu) und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) sprechen sich alle dagegen aus, Insekten als Teil einer vegetarischen oder gar veganen Ernährung zu sehen – mal mehr, mal weniger bestimmt.

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Greenpeace liefert eine knackige Definition für „vegetarisch“ und „vegan“, die im Kern auch der von DGE und Vebu entspricht: „Der Vegetarier isst nichts von toten Tieren und der Veganer isst überhaupt nichts von Tieren.“ Hinzu kommt bei den Umweltschützern: „Unser Ansatz ist es, bis 2050 den Fleischkonsum und die Produktion um 50 Prozent zu reduzieren. Es geht hier nicht um Substitution, sondern ganz klar um weniger aber dafür besser.“

Etwas emotionaler geht es gesetzmäßig bei Peta zu. Deren 2. Vorsitzender, Harald Ullmann, sagt: Insekten des Essens willen zu töten, „obwohl wir wissen, dass sogar die kleinsten Lebewesen denken, Schmerzen fühlen und intelligente Entscheidungen treffen können“, sei ethisch nicht vertretbar.

Auch bei Insekten: Ernährung ist individuell

Genauso erwartbar sind die Antworten von denen, die Insekten zu Lebensmitteln machen und damit ihr Geld verdienen (wollen): Beim Start-up Swarm Protein, das Proteinriegel auf Wurm- und Heuschreckenbasis herstellt, ist man sich anscheinend der etwas wackligen Position bewusst und liefert eine Antwort, die mit Verweisen nur so gespickt ist.

Die Gründer Christopher Zeppenfeld und Timo Bäcker starten ganz grundsätzlich in die Diskussion: „Fragt man Vegetarier, was ‚vegetarisch‘ bedeutet, bekommt man oft zu hören, dass es der Verzicht auf Fleisch sei. Nimmt man diese Definition wörtlich, so sind Insekten mit einer vegetarischen Ernährung direkt vereinbar.“ Denn: Fleisch stamme eben nur von warmblütigen Tieren, Insekten seien wechselwarm.

Diese Rechnung sei aber mehr ein Augenzwinkern, um deutlich zu machen, dass es durchaus unterschiedliche Formen von Vegetarismus gebe. Selbst der Vebu unterscheide „zwischen Ovo-Lakto-Vegetariern (Eier und Milch erlaubt), Lakto-Vegetariern (Milch erlaubt) und Ovo-Vegetariern (Eier erlaubt). Warum also nicht auch Ento-Vegetarier oder Insektarier?“

In eine ähnliche Richtung schlägt auch Katharina Unger von Livin Farms, die mit Hive eine Insekten-Aufzuchtstation für die eigenen vier Wände anbieten: Die Entscheidung, was man esse – also letztlich auch, was man als „vegetarisch“ oder „vegan“ definiere – sei eine individuelle. Beide Unternehmen verweisen auch auf persönliche Erfahrungen mit Kunden, die sich als Vegetarier sehen, aber mit dem Essen von Insekten kein Problem haben.

Aber natürlich spiele der ethische Aspekt bei vielen eine entscheidende Rolle. Allerdings verstünden wir derzeit noch zu wenig über Bewusstseins-, Emotions- oder Schmerzempfinden bei Insekten, als dass sich daraus eindeutige Schlüsse für die Massentierhaltung ziehen ließen. So verlieren die Sechsbeiner auch mal Flügel, Arme oder ganze Köpfe – und würden trotzdem weiterleben und sich sogar problemlos fortpflanzen.

Wahrheit liegt in der Mitte

Wir haben es bei diesem Thema nicht ganz so mit Überraschungen, deswegen finden wir die Wahrheit wie immer in der Mitte, in der Form von Thomas Schmitt. Er ist Insektenforscher und Direktor des Senckenberg Deutschen Entomologischen Instituts in Müncheberg.

Seine Meinung zu Vegetariern, die Insekten essen, ist klar: „Wer Insekten isst, ist definitiv kein Vegetarier.“ Zwar sei es natürlich eine persönliche Entscheidung und letztlich eine Frage der Auslegung, „aber man muss sich bewusst machen: man tötet Tiere.“

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Ansonsten stimmt Schmitts Einschätzung in großen Teilen aber mit der von Livin Farms überein, weniger mit der von beispielsweise Peta: Natürlich bekämen die Tiere mit, wenn ihnen etwas passiert. „Ein Schmerz- oder Leidempfinden, wie man das von Säugetieren kennt, haben sie definitiv nicht.“ Wir könnten uns nicht in die Tiere hineinversetzen. Ob das, was im Nervensystem von Insekten passiert, mit unserem Verständnis von einer Emotion wie Schmerz konform geht, sei daher momentan unmöglich zu beantworten.

Da Würmer und Heuschrecken auch in der Natur sehr oft in großen Zahlen auf engem Raum zusammenleben, ist die Massentierhaltung bei Insekten laut Schmitt auch „ethisch zumindest unproblematischer als bei Schweinen, Kühen oder Hühnern“. Allerdings sollte man auch hier kritisch sein, wenn es um die Gesundheit geht, und sei es nur aus menschlichen Eigeninteressen: „Auch Insekten können von Pilzen, Viren oder Bakterien befallen werden.“ Hinzu kommt, so Schmitt: „Wenn man solche Erkrankungen dann mit chemischen Mitteln behandeln muss, hat das natürlich Auswirkungen auf die Qualität der Insekten als Lebensmittel. Das ist besonders problematisch, da die Lebensdauer der Tiere nur sehr kurz ist.“

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