Mehrweg im Versandhandel
Eine Box statt tausendmal Müll
5 minuten
14 January 2020
TITELBILD: LIVINGPACKETS
Sicher macht die Mehrwegboxen nicht nur die Technik, die ständig nachverfolgt wird, sondern auch das widerstandsfähige Material Expandiertes Polypropylen (EPP).
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14 January 2020
„Es kann nicht sein, dass wir immer wieder Müll verschicken.” Der Gründer des Start-ups LivingPackets Alexander Cotte spricht schnell und empört. „Jedes Jahr werden weltweit 700 Millionen Bäume allein für Verpackungen im Onlineversand abgeholzt. Mit The Box wollen wir 70 bis 80 Prozent davon bis 2030 ersetzen.” Das ehrgeizige Ziel des 23-jährigen Gründers und seines Teams: Ihre hoch technisierte und mehrfach verwendbare Versandbox The Box soll weltweit Hunderte Millionen Verpackungen pro Jahr überflüssig machen.
18,7 Millionen Tonnen Verpackungsabfall landeten 2017 in Deutschland im Müll, drei Prozent mehr als im Jahr zuvor, wie Zahlen des Umweltbundesamts zeigen. Auch Papierverpackungen nehmen weiter zu. Im Jahr 2016 hat Deutschland laut Umweltbundesministerium pro Kopf umgerechnet 93 Kilogramm Papier-, Pappe- und Kartonageverpackungen verbraucht. Im Jahr 2000 waren es noch 20 Kilogramm weniger pro Person. Das liegt laut Umweltbundesamt vor allem daran, dass Online- und Versandhandel immer mehr Kartonagen, Versandtaschen und Packpapier nutzen. Denn die Anzahl der versendeten Pakete steigt: Im Jahr 2000 wurden 1,69 Milliarden Sendungen über Kurier-, Express- und Paketdienste versendet, 2017 waren es bereits 3,35 Milliarden. Laut Umweltbundesministerium stammen 29 Prozent der Rohstoffe zur Papierherstellung von Frischholz aus dem Wald, 71 Prozent machen Altpapierfasern aus. Der Versandhandel frisst also immer mehr Ressourcen. Und am Ende werfen wir nicht nur den Versandkarton weg, sondern auch das Füllmaterial, wie Luftpolster oder Packpapier.
Zwar entwickeln immer mehr Unternehmen Verpackungen aus alternativen Materialien, angefangen bei getrocknetem Heu, Hanf oder Stroh bis hin zu Pilzfasern oder dem Laub der Arekapalme. Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamts plädiert jedoch für andere Lösungen: „Um Umweltbelastungen durch Verpackungen deutlich zu verringern reicht es meist nicht, bei Einwegverpackungen nur andere Materialien zu verwenden.” Besser sei es hingegen, weniger Verpackungsmaterial einzusetzen, die Verpackungen weniger aufwendig und gleichzeitig recycelbar zu gestalten – und vorzugsweise Mehrwegverpackungen zu nutzen.
Mehrweg im Versandhandel: Umweltbundesamt sieht Trend
Das Umweltbundesamt stellt tatsächlich einen Trend zu Mehrweg-Transportverpackungen aus Kunststoff fest. Langjähriger Vorreiter in dem Bereich ist etwa der Onlineshop Memolife. Er bietet bereits seit zehn Jahren eigene Mehrweg-Kisten aus Recycling-Kunststoff für den Versand an. Das Material, Procyclen, wird aus Kunststoffabfällen hergestellt. Das soll laut Memolife die Treibhausgasemissionen bei der Produktion der Box um bis zu 30 Prozent reduzieren. Zurückschicken können Kunden die Memo Box innerhalb von 14 Tagen kostenfrei über einen Paketshop.
Das Start-up LivingPackets von Alexander Cotte will jetzt einen Schritt weitergehen: Die Boxen sind nicht nur mehrfach verwendbar, zusätzlich soll spezielle Technik den Versand transparenter und sicherer gestalten. Ein Team aus derzeit 50 Personen arbeitet seit drei Jahren an der neuen Versandbox. Mittlerweile stecken 37 Patente in The Box. In Frankreich laufen bereits die ersten Tests. Im Mai soll die Massenproduktion mit 10.000 bis 100.000 Stück starten, bis Ende des Jahres rechnet das Start-up mit einer halben Million Versandboxen. Gerade laufen Gespräche mit verschiedenen Kurierdienstleistern.
Mehrweg im Versandhandel: Hälfte der Gewinne will Start-up teilen
Für den Start der Massenproduktion setzt LivingPackets auf eine besondere Finanzierungsform: 50 Prozent aller künftigen Gewinne sollen mit all jenen geteilt werden, die zwischen 50 und 20.000 Euro investiert haben – und bis zu einem Fünffachen dieser Summe zurückbekommen sollen. Die Herstellung der Box kostet etwa das Hundertfache eines Papierkartons. Billiger soll es dadurch werden, dass die Box mehrfach wiederverwendet werden kann. Bis Ende 2020 solle der Preis für den Versand der Boxen bei rund zwei Euro liegen. Zum Vergleich: Ein Paket ähnlicher Größe kostet derzeit bei anderen Versanddienstleistern um die vier Euro.
„Egal was ich gemacht habe, es ging mir immer darum, ökologischen oder sozialen Impact zu haben”, sagt CEO Alexander Cotte. Mit 16 Jahren gründete er sein erstes Unternehmen, ein umweltfreundliches Modelabel. Nur drei Monate vor dem Abitur entschied er sich schließlich, die Schule abzubrechen. Seither gründete er sieben weitere Unternehmen, im Jahr 2016 LivingPackets.
Auf die Idee dazu brachte ihn das Erlebnis seines Cousins: „Er musste in Italien eine Prüfung schreiben und dafür brauchte er seinen Ausweis. Der war aber in Frankreich. Kein Service der Welt garantiert dir, dass sie etwas innerhalb eines Tages verschicken können. Da ist meine Tante zum Bahnhof gerannt und hat sich vor den Zug nach Mailand gestellt, um die Leute anzusprechen, ob sie den Ausweis für zehn Euro mitnehmen können”, erzählt Alexander Cotte. Das hat so gut geklappt, dass sich Alexander Cotte dachte: Das müsste doch auch professionell funktionieren.
Mit LivingPackets bot er an, internationale Sendungen am selben Tag zu liefern. Dafür transportierten Reisende, Fahrzeuge oder Flugzeuge, die freie Kapazitäten hatten, die Pakete. Aktuell pausiert das Projekt. Stattdessen konzentriert sich LivingPackets auf The Box. Denn dem Gründer wurde klar: Es geht nicht primär um die Geschwindigkeit, die meisten Menschen wollen vor allem einen sicheren, transparent nachvollziehbaren und nachhaltigen Versand.
Die grün-schwarzen Boxen bestehen aus dem widerstandsfähigen und recycelbaren Material Expandiertes Polypropylen (EPP). Dafür wird der thermoplastische Kunststoff Polypropylen physikalisch aufgeschäumt. Die innen liegende Technik halte es aus, wenn sie im Versandlager meterweit weit geworfen werde, sagt Alexander Cotte. Wenn eine Box dennoch beschädigt wird? „Dann generiert sie ein Label und schickt sich in die nächste Fabrik unserer Partner”, sagt der Gründer. Zunächst werde dort versucht, die Box zu reparieren. Nur wenn dies nicht möglich sei, würde das Material eingeschmolzen und eine neue Versandbox daraus produziert. Das Versprechen, die Box sei bis zu 1000 Mal einsetzbar, gelte daher vor allem für die Batterien. „Ansonsten ist die Box eigentlich unendlich wiederverwendbar, wie ein natürlicher Lebenszyklus“, sagt Alexander Cotte.
Mehrweg im Versandhandel: Eine Box beschriftet mit elektronischer Tinte
Die Box kann zu zwei verschiedenen Größen gefaltet werden: ein Liter oder 25 Liter. Beschriftet ist sie mit elektronischer Tinte. Innen befindet sich ein Netz, das auch kleine Ladung sicher an Ort und Stelle halten und Füllmaterial, häufig aus Plastik, ersetzen soll. Über eine dazugehörende App können künftige Kunden ihre Boxen versenden und verfolgen.
Die giftgrünen Punkte auf schwarzem Untergrund haben einen doppelten Zweck: Zunächst seien die Boxen komplett schwarz gewesen, erklärt Alexander Cotte. Doch darauf hätten die Scanner der Schweizer Post bei Testläufen die Etikettierung nicht identifizieren können. Die Punkte dienen als Referenz für das Display. Gleichzeitig sind sie eine Art Fingerabdruck der jeweiligen Box und können, falls die Technik ausfällt, dazu dienen, die jeweilige Box wiederzuerkennen.
Mehrweg im Versandhandel: Smarte Logistik soll Kurieren Zeit sparen
Nicht nur der Umwelt, auch den Menschen könnte eine solche smarte Versandbox helfen. Die Arbeitsbedingungen bei Paketdiensten sind prekär. Das weiß auch Alexander Cotte: „Es ist kein Geheimnis, dass die Zustellungsunternehmen an ihren Kapazitätsgrenzen angekommen sind. Die Paketboten müssen so viele Pakete abladen, dass sie gar nicht mehr zur Haustür gehen können, um es den Personen persönlich in die Hand zu geben. Die sind gestresst und unterbezahlt.”
Mit der Technik der Box könne die Lieferroute besser geplant werden – und damit nachhaltiger werden. Leerfahrten, also die leere Rückfahrt, nachdem ein Paket ausgeliefert wurde, sollen verringert werden. Dazu kommuniziere die Box mit den Logistiksystemen der Lieferdienst, optimiere deren Routen und soll außerdem planen, wo auf der Strecke direkt eine leere Box wieder eingesammelt werden könne. „Wir können den Kurierdiensten sagen: Hier liegt das Paket vier Stunden nur herum. Das ist schlecht, denn ein gutes Paket ist nur eines, das sich bewegt.”
Bessere Abläufe könnten den Paketbot*innen schließlich mehr Zeit geben. Auch verkürze die Box die morgendlichen ein bis zwei Stunden Zeit, um die Fahrzeuge zu beladen. Indem die Pakete in entsprechenden Farben leuchten, können sie schneller zugeordnet werden. Wenn der Zusteller*innen schließlich vor einem Haus stehe, wo das Paket angekommen sei, gebe es ein akustisches Signal. „Das gibt ihnen einen riesengroßen Zeitvorsprung.” Durch Mehrweg im Versandhandel hätten die Paketbot*innen „weitaus weniger Stress und mehr Zeit.”
Der Artikel entstand im Rahmen der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas. Mit einem Journalisten-Stipendium hatte die ausrichtende Consumer Technology Association (CTA) dazu eingeladen.