Zeit-Gedanken

Zeit als Machtinstrument

Lesezeit:
2 minuten

25 September 2018

Wir haben Heike Paul, Professorin für nordamerikanische Kulturwissenschaft von der Universität Erlangen-Nürnberg am Institut für Amerikanistik besucht und nach ihrer Sicht auf die Zeit gefragt

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25 September 2018
Was verstehen wir unter Zeit? Wir haben Forscher aus sechs Disziplinen nach ihrer Sicht auf die Zeit gefragt. Diesmal besuchen wir Heike Paul, Professorin für nordamerikanische Kulturwissenschaft, von der Universität Erlangen-Nürnberg am Institut für Amerikanistik

Der Blick auf die Forschung macht klar: Es greift zu kurz, Zeit vor allem als persönliches Effizienzproblem zu betrachten und händeringend nach Wegen aus Time-Stress zu fragen. Zeit also, den Blick zu erweitern. Wir haben Wissenschaftler gefragt: Was beschäftigt Sie am Phänomen der Zeit? Herausgekommen ist kein How-to in besserer Zeiteinteilung, sondern ein Streifzug durch die Wissenschaft, voller Anregungen. Eine Kulturwissenschaftlerin sollte uns verraten: Wie wird Zeit in unterschiedlichen Kulturen wahrgenommen?

Kulturwissenschaft
Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Amerikanistik

„Zeit ist eine grundlegende Dimension soziokultureller Ordnungen“, sagt Heike Paul, Professorin für nordamerikanische Kulturwissenschaft. Die Zeitvorstellungen einer Gesellschaft strukturieren das Zusammenleben, schaffen Normen des Miteinanders, – „eine beachtliche Kulturleistung“. Wie zeigt sich das Zeitverständnis einer Kultur? Es beginnt schon mit Sprache und Grammatik: So sind Kulturen, deren Sprache ein Futur II kennt („es wird passiert sein“) und oft verwendet, offener gegenüber Utopien. So wie die USA. „Die Vorstellung, dass in der Zukunft eine Utopie realisiert sein wird, nährt den Optimismus in der Gegenwart“, sagt Paul. Nicht zufällig entwickeln Narrative wie etwa Barack Obamas „Yes we can“ oder Martin Luther Kings „I have a dream“ eine so starke Wirkung.

Die Zeitvorstellung einer Kultur hängt dabei von ihrem Menschenbild ab. Kollektivistische Gesellschaften entwickeln ein zyklisches Zeitverständnis, individualistische ein lineares, das auf Fortschritt und Leistung fixiert ist. Ersteres basiert auf dem Zusammenhalt der Gruppe und stellt Zeit für Gemeinschaft in den Vordergrund. Das zweite setzt mehr auf Leistung und Fortschritt und räumt Wettbewerb und persönlichem Fortkommen viel Raum ein. „Aber selbst wenn wir das wissen, fällt es nicht leicht, die Zeitvorstellung in einer anderen Kultur zu verstehen“, sagt Paul. „Denn sie hängt vom Kontext ab.“

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Wer Macht hat, diktiert die Zeit

Sie erinnert sich noch gut an die Schilderungen des amerikanischen Zeitforschers Robert Levine in seinem Buch „Eine Landkarte der Zeit“. Levine hatte sich mit einem Kollegen an der Universität verabredet. Der einheimische Kollege kam eine Stunde zu spät. Aha, dachte der US-Professor, so funktioniert das hier und erschien tags drauf zu einer Wohnungsbesichtigung 60 Minuten später – die Wohnung war weg.

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Zeit ist immer auch ein Machtinstrument. Das fängt innerhalb einer Kultur an: Wer sich dem Zeitregime der prägenden Milieus nicht anpasst, wird stigmatisiert. Beispiel: der höhnische Begriff „Colored People Time“ in den USA. Er dient nur einem Zweck: Schwarze als immer zu spät und langsam zu diskreditieren. Auch zwischen Staaten und Ländern gibt es solche Mechanismen. Zum Beispiel, wenn indische Call-Center-Mitarbeiter amerikanische Kunden zu amerikanischen Tageszeiten bedienen müssen – obwohl in Indien Nacht ist. Wer die wirtschaftliche Macht hat, diktiert die Zeit.

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