Neues Jahr, neuer Sinn!
Der Trick mit dem Glück
6 minuten
10 March 2018
Titelbild: Tanja Heffner / Unsplash
Was braucht es wirklich zum Glücklichsein? Wir haben vier Forscher gefragt
6 minuten
10 March 2018
Ein sonniger Herbsttag in Berlin. Goldgelbe Blätter säumen die Trottoirs, der Himmel über der „School of Life“ im Stadtteil Mitte ist blau wie frisch gestrichen. Ihr Konzept stammt von dem britischen Philosophen Alain de Botton, vor acht Jahren gründete er die School of Life in London, um Menschen beizubringen, wie man „ein gutes und erfülltes Leben führt“. Wie finde ich eine sinnstiftende Arbeit, gute Beziehungen, mehr Ruhe und Zufriedenheit, ja, auch das Glück?
Eine Schule fürs glücklich sein – was müssen wir noch lernen?
Aber brauchen wir das? Eine Schule für ein gelungenes, glückliches Leben? Wir stehen doch gar nicht so schlecht da: Im aktuellen „World Happiness Report“ liegt die Lebenszufriedenheit in Deutschland auf Platz 16 unter 155 untersuchten Staaten – hinter Nachbarn wie der Schweiz und Österreich, aber vor Frankreich oder Großbritannien. Und laut dem soeben erschienenen nationalen Glücksatlas liegt das gefühlte Glück der Deutschen auf einer Skala von 0 bis 10 bei 7,11 Punkten. In Schulnoten wäre das eine 2. Nicht schlecht. Doch die Menschen wollen mehr. Klassenziel 1+. Seit Jahren boomt die Glücksforschung, in Deutschland und außerhalb. Allein die World Database of Happiness des niederländischen Soziologen Ruut Veenhoven nennt 11 500 Studien. Was also hat es mit dem Glück auf sich? Wie ist es zu erreichen? Kann man etwas konkret tun? Was muss der Mensch noch lernen? Wir haben bei vier Glücksforschern in Deutschland und den USA nachgefragt.
Den Berliner Ableger der Londoner School of Life gibt es seit April 2016, Martin Ebeling ist 2017 dort eingestiegen. Wie der Gründer Alain de Botton ist auch er Philosoph. Einfache Glücksrezepte mit Erfolgsgarantie gibt es nicht. Auch warnt Ebeling: „Lasst euch nicht vom Glücksdiktat in unserer Gesellschaft unterkriegen, das euch vormachen will: Selbst schuld, wenn ihr es nicht hinbekommt mit dem Glück.“ Doch sich einem zufriedenen Leben annähern, das geht nach Ebelings Einschätzung durchaus. Hilfreich hierfür: eine Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen von Philosophen. „Sie denken seit Jahrtausenden darüber nach, was uns glücklich macht.“
Das Glück lässt sich nicht jagen
So fragen die Skeptiker, ob wir nicht zu sehr an unseren konkreten Vorstellungen von Glück festpappen, ihnen nachjagen – und dadurch erst recht unglücklich werden. Weil wir uns nicht nur über jede kleine Enttäuschung als solche ärgern, sondern durch sie gleich unsere Vorstellung von einem glücklichen Leben insgesamt erschüttert sehen – und so gleich doppelt hadern. Besser: Locker lassen und sich nicht aufregen, wenn etwas nicht so ist, wie man es sich wünscht.
So sagen die Stoiker: Willst du glücklich sein, stelle dich auf Unglück ein. Ein Besinnungsmoment am Morgen: Was könnte heute schief gehen? Was würde das bedeuten? „Mit einer Art vorausschauendem Pessimismus“, so Ebeling, „ist man besser auf negative Ereignisse eingestellt und kann so entspannter reagieren.“
Mitgefühl macht glücklich
Der Blick auf die Philosophen ist es freilich nicht allein. „Es gibt viele Bausteine auf dem Weg zum Glück“, sagt Ebeling. Für einen wichtigen dieser Steine, eine Art Grundstein, hält der Dozent altruistische Handlungen und verweist auf die Ergebnisse der Glücksforschung. „Mitgefühl empfinden, emphatisch auf andere Menschen zugehen – das macht definitiv glücklicher.“ Und das lässt sich einüben, zum Beispiel durch Lesen. Ebeling: „Wer gute Literatur liest, in der die Charaktere und ihre inneren Konflikte psychologisch differenziert ausgearbeitet sind, schult sein Verständnis davon, was in anderen Menschen vorgeht.“ Oder durch Meditation: „Sie hilft, sich negativen Gedanken anderen gegenüber bewusst zu machen und so langsam eine wohlwollendere Haltung gegenüber anderen Menschen zu entwickeln.”
Wilhelm Schmid lebt und arbeitet ebenfalls in Berlin. Auch er ist Philosoph. Seine Bücher „Glück“ und „Gelassenheit“ sind allesamt Bestseller. Oft haben sie nur 100 Seiten. Das Format handlich-klein, ein perfektes Geschenk. Viele Jahre hat sich Schmid, wie er sagt, keine Gedanken über das Glück gemacht. Doch als Seelsorger in einem Krankenhaus beobachtete er zunehmend, wie sehr die Suche danach die Menschen umtreibt. Also begann auch er zu grübeln.
Schmid unterscheidet mehrere Glücke. Da ist das Zufallsglück. Ausbildung, Beruf, Wohnort, Partner – in jeder Biografie gibt es zufällige Momente, die das Leben in eine bestimmte Richtung bugsiert haben. Man kann das Zufallsglück fördern, indem man dem Zufall eine Chance gibt. Draußen in der Welt ist es leichter zu finden als in den eigenen vier Wänden.
Ein anderes Glück ist das Wohlfühlglück. Das hat der Mensch noch mehr in der Hand. Wenn er weiß, was ihm gefällt. Selbstverständlich ist das nicht. Immer wieder hat es Schmid „umgehauen“, wie viele Patienten, an deren Betten er saß, keine Antwort auf die Frage hatten: Was macht Sie glücklich? Schmid kann spontan gleich mehrere Dinge nennen. Den Espresso am Morgen, den er nicht zu Hause trinkt, sondern in einem Café. Donna Leon im Fernsehen, Donnerstagabend. Ausführlich mit einem Freund quatschen. Nach der Sauna ins eiskalte Tauchbecken gleiten.
Genetischer Glücksfixpunkt
Beiden Glücksvarianten ist gemein, dass sie nicht von Dauer sind. Der Espresso ist irgendwann getrunken, und ob die Zufallsliebe auch nach einem Jahr noch trägt – wer weiß. „Viele wollen das nicht akzeptieren“, sagt Schmid, sie wollen möglichst immer auf Wolke 7 schweben. Was natürllich nicht geht. Nach dem Rausch kommt der Kater. Aber ist das schlimm?
Schmid empfiehlt, „einen philosophischen Moment in sein Leben einzuflechten“. Darüber nachdenken, ob man dieses Wechselspiel nicht einfach akzeptieren kann. Trubel- Langweile. Erfolg – Miss- erfolg. Liebe – Hass. Geburt – Tod. Glück – Unglück. „Zu allem, was das Leben zu bieten hat, gibt es auch das Gegenteil.“ Für Schmid macht das den Reiz des Lebens aus, er nennt es „Glück der Fülle“. Sein Rat: Die guten Zeiten nicht einfach verstreichen lassen, weil zu bequem, zu unachtsam – sondern bewusst erleben, auskosten, damit man in schlechten Zeiten von den Erinnerungen zehren kann. Und Gründe hat, sich auf ein Danach zu freuen.
9000 Kilometer entfernt, in der Nähe von Los Angeles, sitzt Sonja Lyubomirsky an der University of California, Riverside. Auch ihre Bücher über das Glück verkaufen sich wie geschnitten Brot. Eine zentrale Erkenntnis: Die äußeren Umstände – wie Geld, Partner, Job – bestimmen gerade mal zu zehn Prozent darüber, ob wir uns glücklich fühlen oder nicht.
Weitere 50 Prozent sind erblich. Wir kommen mit einem Glücksfixpunkt zur Welt, einer Art Nullpunkt, zu dem wir nach großen Enttäuschungen oder Triumphen immer wieder zurückkehren. Diese Erkenntnis stammt aus der Zwillingsforschung; auch wenn eineiige Zwillinge ganz unterschiedlich aufwuchsen, unterschiedliche Erfahrungen machten und in völlig unterschiedlichen Lebensumständen lebten, unterschied sich ihr Glücksempfinden um maximal 50 Prozent. Lyubomirsky vergleicht Glück daher mit Körpergewicht: „Manche Menschen halten ihr Gewicht, ohne sich allzu sehr anstrengen zu müssen. Andere müssen extrem viel dafür tun. Für das Glück bedeutet diese Entdeckung, dass unser Fixpunkt – ob hoch oder niedrig – weitgehend festlegt, wie glücklich wir im Laufe unseres Lebens sein werden.“
Doch die entscheidende „großartige Nachricht“ ist für Lyubomirsky eine ganz andere: Die Forschungsergebnisse zeigen, dass wir 40 Prozent unseres Glücksempfindens mit unserem bewusstem alltäglichen Verhalten und unseren Gedanken beeinflussen können. Durch kleine, wirksame Strategien im Alltag. Mitunter klingen sie banal, doch, so Lyubomirsky, „viele Untersuchungen belegen, dass sie mit Einsatz und Engagement ausgeführt, äußerst wirkungsvoll sind.“ Lächeln; anderen eine Freude bereiten; verpassten Chancen nicht nachtrauern; jemandem vergeben; sich nicht mit anderen vergleichen: Status, Besitz, Aussehen. Danke sagen und dankbar sein. Lyubomirskys Rat: Tagebuch führen, jeden Morgen, und darin festhalten, was man schon alles hat.
Jede dieser „Glücksaktivitäten“ erzeugt angenehme Momente – und diese sind wesentlich effektiver als sich einmal ein dickes Auto oder handbemalte Badfliesen zu gönnen. Denn wir gewöhnen uns rasch an den neuen Jaguar oder die schicken Kacheln, „hedonistische Adaption“, nennt die Glücksforscherin das. Doch man muss das Rad des kleinen Glücks aktiv am Laufen halten. Wie das gelingt? Lyubomirsky: „Suchen Sie sich Abwechslung. Machen Sie sich positives Denken und Handeln zur Gewohnheit, vermeiden Sie Routinen.“
Dadurch entstehen positive Kreisläufe, so die Glücksforscherin: „Nach einer Stunde Ausdauertraining fühlen Sie sich gestärkt, was Ihre Kreativität weckt, was Ihnen neue Ideen gibt, was Ihr Gefühl der Zufriedenheit und des Engagements steigert, was Sie dankbarer und versöhnlicher macht.“
Geistmuskeltraining
Etwas weiter im Norden, im Silicon Valley, schlendert Emma Seppälä über den Stanford-Campus. Vor wenigen Jahren hätte sie sich wohl nicht so viel Zeit gelassen. Damals war die Stanford-Studentin wie die meisten hier mit Vollgas auf der Überholspur unterwegs. Bis sie eines Tages an der Gallenblase operiert werden musste. „Das war der Wendepunkt in meinem Leben“, sagt Seppälä. „Es war, als badete ich plötzlich in der Sonne.“ Das Essen schmeckte besser, sie schlief tief und fest, freute sich, einfach so. Nicht weil sie nicht arbeiten musste, sondern weil sie befreit war, wie sie sagt, von ihrem „inneren Zuchtmeister“. Denn immer gab es bislang etwas Wichtiges zu tun, das nicht warten konnte.
Seppälä fing an, sich mit dem Thema „Glück“ zu beschäftigen. Verschlang Studien aus Neurowissenschaften, Psychologie, Resilienz- und Achtsamkeitsforschung, sprach mit Kollegen, Studenten, Freunden – und erkannte: Unser Weg zu Erfolg und Glück ist komplett falsch. „Wir hängen der Vorstellung an, dass man sich Erfolg nur auf die harte Tour erarbeiten kann“, erzählt Seppälä. Stress, Anspannung, Leiden seien unvermeidbar, ja sogar nötig, um weiterzukommen. Die Krux: „Wir glauben, dass wir für all die Mühe belohnt werden – irgendwann einmal.“ Doch das ist falsch. Schon allein weil Menschen ganz schlecht darin sind, vorherzusagen, was sie später glücklich machen wird.
Mittlerweile leitet Seppälä in Stanford das Center for Compassion and Altruism Research and Education. Erfolg und Glück, so ist sie überzeugt, braucht man nicht voneinander zu trennen. Es geht beides – im Hier und Jetzt. Der Schlüssel dazu: ein ruhiger Geist, der nicht permanent zwischen heute, morgen und gestern hin- und herspringt, sondern sich auf das fokussieren kann, was gerade ist. Dieses Bewusstwerden ist essenziell, sagt Seppälä. „Denn wenn man merkt, dass man ganz woanders ist, kann man sich aktiv entscheiden: Lasse ich es zu oder steuere ich dagegen?“ Konzentriere ich mich auf das, was gerade passiert und bin glücklich damit? Oder schweife ich ab, verliere mich im Gedankengewirr? Je häufiger man diese Übung macht, desto einfacher geht es, sagt Seppälä. „Der Geist ist wie ein Muskel, man kann ihn trainieren.“
Seppälä konnte nicht nur an sich beobachten, dass es funktioniert. Sie hat in den vergangenen Jahren mit gestressten Studenten gearbeitet, mit traumatisierten Vergewaltigungsopfern, auch Veteranen aus Irak und Afghanistan. Alle hatten Angst, manche Selbstmordgedanken, nahmen Beruhigungsmittel, Antidepressiva. Doch mit der Zeit gelang es ihnen immer besser, sich auf eine Sache auszurichten und sie dann auch wahrzunehmen, zu genießen. Sie wurden dadurch nicht nur ruhiger und gelassener, sondern auch kreativer, produktiver – und glücklicher. Es lässt sich also durchaus lernen, das mit dem Glücklichsein. Zumindest zu einem gewissen Grad.