Raumpioniere

Landlust statt Landflucht

Lesezeit:
3 minuten

9 February 2018

Titelbild: Edu Grande / unsplash

Der Blick ins Grüne, die Weite, die frische Luft – das Landleben hat viele Vorteile

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9 February 2018
Besonders im Osten von Deutschland sind viele Dörfer in den abgeschiedenen, ländlichen Gegenden in ihrer Existenz bedroht: Die jungen Leute wandern in die Ballungsräume ab und kleine Ortschaften sterben aus. Die „Raumpioniere“ starten eine Gegenbewegung zur Landflucht

Oberlausitz – ein abgelegenes Gebiet an der östlichen Grenze von Deutschland mit Hügeln auf der einen Seite, großen Teichgebieten auf der anderen und den Bergen in der Mitte. Hätte man der Berlinerin Arielle Kohlschmitt früher erzählt, dass sie, als geborenes Großstadtkind einmal in so einer ländlichen Gegend wohnen würde, hätte sie es nicht glauben können. Doch mittlerweile ist sie seit mehreren Jahren glücklich in ihrem 100-Seelen-Dorf Klein Priesbus, betreibt gemeinsam mit ihrem Mann eine Kreativagentur, gibt Yoga-Kurse und genießt das Landleben in vollen Zügen.

Arielle Kohlschmitt ist eine Raumpionierin. Sie ist freiwillig in eine Gegend gegangen, aus der andere junge Menschen fliehen, sobald sich die erste Gelegenheit ergibt: Auf der Suche nach Studien – und Arbeitsplätzen, vielleicht auch nach Abenteuern ziehen sie in die lebendigen, pulsierenden Großstädte.

Dörfer sind vom Aussterben bedroht

Alterung und Abwanderung sorgen dafür, dass Deutschlands Dörfer sich zunehmend leeren. Gerade der Osten ist stark von dem Phänomen der Landflucht betroffen. Bis zu fünf Prozent ihrer Anwohner haben einige ostdeutsche Gemeinden in den Jahren zwischen 2003 und 2008 verloren, berichtet das Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung. „Entlegene ländliche Gebiete trocknen demographisch aus“, heißt es in ihrem Bericht Die Zukunft der Dörfer.

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Doch Kohlschmitt erkannte die Vorzüge des Landlebens: die frische Luft, die Weite, die Entschleunigung und nicht zuletzt die günstigen Mieten. Nach ihrem Umzug im Jahr 2009 findet sie sich in Klein Priesbus umgeben von leerstehenden, billigen Häusern wieder. Gleichzeitig nimmt sie wahr, dass immer mehr Städter den gleichen Hauch von Landlust verspüren, der sie in die Lausitz gelockt hat.

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Bald beschließt sie, dass sie ihnen helfen will, den gleichen Schritt zu wagen – raus aus der Stadt, in jene Landgebiete, die sie selber lieben gelernt hat. Denn Platz für Neue gibt es in Oberlausitz genug. Und in Zeiten des Internets, wo digitale Nomaden um die ganze Welt tingeln und immer mehr Jobs ortsungebunden sind, sollte auch die Frage des Arbeitsplatz niemandem im Weg stehen.

Die Idee wächst in ihrem Kopf heran und sie veröffentlicht erste Blogbeiträge zu ihren Gedanken bevor sie 2015 ein offizielles Konzept für die Plattform „Raumpioniere“ entwirft. Auf der Webseite finden sich heute zahlreiche Porträts von Leuten, die dem Ruf vom Land gefolgt sind und im Gebiet Lausitz ihr Glück gefunden haben – etwa als Selbstversorger, Café-Besitzer oder selbstständige Künstler. Ihre Geschichten sollen Zuzugswilligen als Inspiration dienen und sie in ihrem Vorhaben ermutigen.

Denn neben allen Vorteilen die das Landleben zu bieten hat, löst die Vorstellung „raus“ zu ziehen oft auch Ängste und Bedenken aus: Wie steht es um die Infrastruktur – um freie Kitaplätze und das kulturelle Angebot? Und was ist mit der ländlichen Kleinkariertheit, den verbohrten Ansichten und fragwürdigen politischen Einstellungen? Lassen sich unter den Landbewohnern überhaupt Gleichgesinnte finden?

Ist das Landleben wirklich das Richtige für mich?

Fragen wie diese beantworten Kohlschmitt und ihr Mann telefonisch, per Email oder vor Ort. Der kostenlose Beratungsservice ist neben der Online-Plattform, auf der Geschichten geteilt werden, Teil des Projekts Raumpioniere. Falls die persönliche Erfahrungen der beiden für eine umfassende Beratung einmal nicht ausreicht, vermitteln sie an größere Netzwerk weiter, wie zum Beispiel an Horizonta, wo preiswerte Häuser und Grundstücke zu finden sind oder an kulturelle Einrichtungen wie das Sächsische Zentrum für Kultur-und Kreativwirtschaft.

2017 wurden die Raumpioniere finanziell von der Demografierichtlinie des Freistaat Sachsen unterstützt. Im Moment erhalten sie keine Förderung – doch das hält Kohlschmitt nicht davon ab, weiter ihre Energie und ihre Zeit in das Herzensprojekt zu stecken.

In Zukunft wollen Kohlschmitt und ihr Mann auch Veranstaltungen organisieren. Abseits vom Internet soll es einen Ort geben, an dem Raumpioniere und alle, die zu solchen werden wollen, sich austauschen können – einen Ort zum Kontakte knüpfen. So soll das Netzwerk weiter wachsen, damit Oberlausitz bald noch mehr neue Bewohner empfangen kann: Familien, die ihre Kinder im Grünen großziehen wollen ältere Leute, die sich nach Ruhe sehnen, aber auch junge Alleinstehende.

„Die meisten, die sich unsere Beratung wünschen sind weiblich und kommen aus Dresden oder Berlin und kennen noch mehr Frauen, die aufs Land wollen. Sie suchen nach Mut“, erzählt Kohlschmidt.

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Einige von ihnen wagen den Absprung, so wie Nele vom Mambasia Hof. Überfordert von der Reizüberflutung der Großstadt und gelangweilt von ihrem Büro-Job kehrte sie dem Stadtleben den Rücken und erfüllte sich mit dem Kauf ihres eigenen Hofs einen langjährigen Traum. Auf der Seite der Raumpioniere erzählt sie von den Gründen für ihre Entscheidung und von ihren Plänen: Sie will sich zunehmend mit Permakultur beschäftigen, Ferienwohnungen vermieten, vielleicht zur Selbstversorgerin werden.

Neue Ideen und Perspektiven kommen für die aussterbenden Landgebiete genau richtig. Deswegen sieht Kohlschmidt das Projekt Raumpioniere auch als eine politische Bewegung an – eine Bewegung auf’s Land, wo junge, kreative Köpfe dringend gebraucht werden. Denn gegen verkrustete Ansichten kann ein wenig frischer Wind aus der Stadt nicht schaden.

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