Kolumne: Mein erstes Mal
Hinter den Kulissen der Demokratie
3 minuten
18 December 2017
Politik wird nicht im Bundestag gemacht, sondern an den Wahlurnen
3 minuten
18 December 2017
Wo warst Du, als – wieder einmal – Nazis in das deutsche Parlament eingezogen sind? Ich kann sagen: Ich habe dabei geholfen. Nicht, weil ich ein weißer Hetero-Mann aus Sachsen bin – sondern weil ich Wahlhelfer war.
Ich bin der Meinung, dass Politik nicht im Bundestag gemacht wird, sondern – hallo, Demokratie! – an den Wahlurnen. Was gibt es für einen überzeugten Demokraten Besseres, als einen Blick ins Innerste dieses Mechanismus zu bekommen? Also bewarb ich mich freiwillig als Wahlhelfer – und wurde prompt genommen. Denn Helfer sind Mangelware. Wer will schon Stimmzettel sortieren, wenn man sich auch auf dem heimischen Sofa über die Elefantenrunde im Fernsehen aufregen kann?
Zugegeben, ich hatte etwas Angst davor. Denn ein Blick hinter die Kulissen stärkt meist nicht unbedingt das Vertrauen in Institutionen. Doch so sehr mich das Wahlergebnis schockiert, kann ich nun sagen: Mein Vertrauen in die Demokratie ist so stark wie nie.
Zumindest die Wahlhelfer sind pünktlich
Dabei startet der Wahltag alles andere als reibungslos: Sieben Uhr, wir Wahlhelfer sind alle pünktlich – vor verschlossener Tür. Und verriegelt bleibt sie auch noch über eine Stunde. Die Wahlvorstände telefonieren und telefonieren, die Nervosität steigt. Einer ist so besorgt um die Rechtmäßigkeit der Wahl, dass er vorschlägt, die Polizei zu rufen, damit sie die Tür aufbricht. Wir Beisitzer nehmen es mit Humor.
Als ein Mann in Handwerker-Montur dann endlich kommt und aufschließt, darf er sich einiges anhören. Dass er gar nicht der schuldige Hausmeister ist, der offensichtlich verschlafen hat, bekommt in dem Moment kaum noch jemand mit. Ein Mittfünfziger in übergroßer Lederjacke ruft, diese unpünktliche Eröffnung sei „Sabotage“. Er ist dann einer der ersten im Wahllokal.
Um 8.30 Uhr kann es endlich mit der Wahl losgehen, und ich darf erst einmal nach Hause – und zur Spätschicht wiederkommen. Das heißt ab 13 Uhr fünf Stunden lang Striche machen. Ich zähle stupide, wie viele ihr Kreuz gesetzt haben und passe auf, dass wirklich nur Wahlzettel in die Urne wandern. Auch wenn ich nicht weiß, wie viele es bemerken: Nach jeder Stimmabgabe sage ich ein einfaches, aufrechtes „Danke“. Umgekehrt kann ich am Abend an einer Hand abzählen, von wem es hieß „Danke für Ihr Engagement“. Aber die wenigen Male bleiben in Erinnerung: der gepflegte Familienvater mit runder Hornbrille wirft es noch so hinterher. Die ältere Frau mit Gehstock sagt, sie hätte das ja selbst schon mal gemacht. Genauso offen und ehrlich ist das „Danke“ von dem Mann mit Bauch, Bart und Hoodie, der exakt so in einer Talkshow von RTL 2 auftauchen könnte. Sie alle treffen sich hier an der Wahlurne. Und fast alle sind furchtbar nett.
Ein großes Familienfest
Es gleicht einem Familienfest: Es ist irgendwie erhebend zu sehen, wie sie alle friedlich zusammenkommen, Arzt hinter Arbeitslosem, Bäcker neben Vermieter, Familie nach Großstadt-Göre, die glatt ihren Rucksack in der Wahlkabine stehen lässt. Trotzdem weiß man, dass der nette Onkel nicht so nette politische Ansichten hat. Aber man grüßt sich, hält Smalltalk und lächelt die Differenzen für diesen Augenblick weg. Schönen Sonntag noch!
Nachdem der Letzte sein Kreuz gesetzt hat, beginnt für uns die eigentliche Arbeit: das Auszählen. Fast 900 Stimmzettel entfalten, zählen, wieder zählen, sortieren, zählen, neu sortieren, zählen … und dann hoffen, dass alles aufgeht. Gegen 21.30 Uhr melden wir unsere Ergebnisse an das Wahlamt, mit einer traumhaft niedrigen Fehlertoleranz. Die Kollegen nebenan müssen noch eine halbe Nachtschicht einlegen, weil einige Zahlen so nicht stimmen können.
Ich komme endlich dazu, die Hochrechnungen zu checken und freue mich dann in einer warmen Wanne zu entspannen. Doch so anstrengend so ein Tag auch ist, ich rate allen: Macht das. Meldet Euch als Wahlhelfer. Egal, wie unbedeutend die Wahl erscheint. Denn Wahlen sind nicht nur das Königsrecht unserer Demokratie. Wer dem System einmal beim Arbeiten zusieht, stärkt das eigene Vertrauen in die Demokratie. Ich kann mich voller Überzeugung hinstellen und sagen: Hier, in meinem Wahllokal, gab es keine Mauscheleien oder Manipulationen, unsere Wahlen sind allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim und das ist sehr gut so. Unsere Demokratie steht auf festen Füßen. Ja, sie produziert Fehler. Aber sie setzt auch alles daran, sie zu vermeiden und wiedergutzumachen.