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Give Directly: Gutes Geld

Lesezeit:
9 minuten

7 March 2018

Titelbild: Kirsten Milhahn

Give Directly: ein monatlicher Geldtransfer via SMS

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7 March 2018
Im November 2016 hat eines der größten Experimente weltweit zum Thema Grundeinkommen begonnen: Die US-Organisation Give Directly zahlt an 17.000 Menschen im dörflichen Kenia eine monatliche Summe – jahrelang und ohne Bedingungen. Mit dem aus Spenden finanzierten Projekt will die Organisation testen, ob Geldtransfers die bessere Entwicklungshilfe sind

Als der Dorfvorsteher sie zu einer Versammlung unter den Akazienbäumen einlud, reagierte Norah Odhiambo skeptisch. Im September 2016 war das, über dem nahen Viktoriasee türmten sich Gewitterwolken. Die 34-jährige Kenianerin legte ihre Machete zur Seite, mit der sie für wenige Schillinge Tageslohn Sträucher vom Feld ihres Nachbarn rodete. Eine neue Hilfsorganisation möchte sich vorstellen, sagte der Vorsteher, sie heiße „Give Directly“. Sie komme doch auch zum Treffen? Doch Odhiambo dachte nur: „Schon wieder eine Hilfsorganisation?“

Eine von vielen Hilfsorganisationen

Give Directly war in dem Moment nur eine weitere der vielen Organisationen, die sich im Laufe der Jahre in ihrem Dorf im Westen Kenias vorgestellt hatten. Odhiambo hatte schon viel Hilfe kommen, aber vor allem wieder gehen sehen. Ihr Dorf liegt in der Region Bondo am Ostufer des Viktoriasees. Bondo gehört zu den ärmsten Gegenden Kenias. Fast alle Dörfer dort bestehen aus kaum mehr als einer verstreuten Ansammlung von Lehmhütten. Es gibt weder Strom noch Wasseranschluss und falls die Bewohner überhaupt Arbeit finden, dann als Viehhirte, Fischer oder Feldarbeiter. Knapp die Hälfte der Einwohner, so zeigen Statistiken der kenianischen Regierung, lebt in Bondo von weniger als zwei Euro am Tag. Und damit nach Definition der Weltbank unterhalb der absoluten Armutsgrenze.

Staaten wie Hilfsorganisationen aus der ganzen Welt versuchen daher seit Jahrzehnten, die Region zu entwickeln. Zahlreiche Projekte sollen den Lebensstandard der Einwohner verbessern. Deutsche trieben deshalb Brunnenschächte in den rostroten, trockenen Erdboden, US-amerikanische Jugendliche mauerten Schulen in die tiefgrünen Wälder der Region. Briten brachten Lebensmittel, Decken und Medikamente in die miserabel ausgestatteten Krankenstationen.

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Hilfe, die wirklich ankommt

Keine schlechte Sache, findet Odhiambo, keinesfalls sei sie undankbar. Doch häufig fegten Monate später Unwetter die Dächer wieder von den Schulen, gingen Wasserpumpen kaputt und niemand wusste sie zu reparieren oder Medikamente bekämpften zwar die Symptome, aber nicht die Ursachen der Krankheiten. Für manche Einwohner in Bondo, sagt sie, mag sich das Leben verbessert haben. Nur eben nicht für die Armen.

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Trotz aller Skepsis setzte sie sich am frühen Abend im vergangenen Jahr in den Schatten der Bäume auf den Platz ihres Dorfes, dessen Name auf Wunsch von Give Directly nicht genannt werden soll – der Alltag der Bewohner soll geschützt werden.

Ein Jahr später rodet sie nur noch selten fremde Felder. Sondern bestellt ihr eigenes. Hinter einem aus Ästen zusammengenagelten Ziegenstall wiegt ein halber Hektar Mais im Wind, auf dem neu gebauten Lehmhaus funkelt ein neues Wellblechdach. Innen thronen ein Sofa und Sessel auf dem nackten, trockenen Erdboden, ebenfalls neu, und Ehemann Erick arbeitet nach dem Kauf zweier Netze wieder als Fischer auf dem nahegelegenen Viktoriasee. Alles, sagt Odhiambo, dank Give Directly.

Grundeinkommen für alle Bewohner

„Als die Mitarbeiter ihre Idee vorstellten, dachte ich nur: Kann das wirklich sein?“, sagt Norah. Denn die Idee klang so einfach wie abenteuerlich: Alle 300 Einwohner des Dorfes sollten Geld erhalten. Ohne Vorgaben, ohne Bedingungen, jeden Monat, einfach so. Umgerechnet 22 Dollar und dies für die nächsten zwölf Jahre. Odhiambo lacht immer noch auf, wenn sie davon erzählt. In ihrem Dorf, so sagten die Mitarbeiter der NGO, solle ihr Pilotprojekt beginnen: ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden erwachsenen Dorfbewohner. Mindestens fünf andere Länder führen ähnliche Versuche durch. Ob in Finnland, Deutschland oder den USA: Die bedingungslose Auszahlung von einem Basissatz Geld soll dort perspektivisch eine Antwort geben auf eine zunehmende soziale Ungleichheit. Doch vor allem darauf, wie die Mitglieder einer Gesellschaft, in der mittelfristig eine große Zahl von Arbeitsplätzen durch Roboter und Künstliche Intelligenz ersetzt werden, ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen.

Geldtransfer via SMS

Give Directly hingegen versucht mit dem Grundeinkommen nicht die Probleme von postindustriellen Gesellschaften zu lösen, sondern die Armut in Entwicklungsländern zu bekämpfen. Nur sechs Wochen, nachdem die Give-Directly-Mitarbeiter ihre Ideen vorgestellt hatten, begann das Experiment. An jedem Mo- natsanfang ackert seitdem eine Nachricht auf den Handys von Odhiambo und den anderen Dorfbewohnern auf und informiert über den Eingang von 2250 Schilling, abzuholen beim nächsten Mpesa-Stand. So heißt das Programm für mobile Geldtransfers in Kenia. Jeder Handybesitzer kann damit auch ohne festes Bankkonto per SMS Geld in so gut wie jeden Winkel Kenias verschicken, wo die Schillinge in den mintgrün gestrichenen Mpesa- Stationen abgeholt werden können.

Praktisch für die Kenianer und die technologische Grundlage für Give Directly. Denn mit Mpesa vergrößert sich nicht nur der Aktionsradius der Organisation, sondern sinkt vor allem der Streuverlust: Wo Geld nicht durch zu viele Hände gehen muss, sondern direkt gesendet werden kann, gelangt es ohne große Nebenkosten und vor allem ohne Möglichkeiten der Korruption in die Hände der Empfänger wie Odhiambo.

„Wir haben die Freiheit, das Geld nach eigenen Vorstellungen auszugeben. Niemand gibt uns vor, was wir uns kaufen, wie viel wir sparen. Das ist der Unterschied“, sagt sie. Wenn andere Hilfsorganisationen hingegen nicht gleich mit Zement, Schulbüchern oder Reissäcken in die Dörfer Kenias kamen, sondern ebenfalls Geld auszahlten, war dies nämlich an Bedingungen geknüpft. „Sie meinten: Ihr müsst so und so viel Schilling von der Summe für das Schulgeld ausgeben. Oder für vitaminreiches Essen. Oder euch impfen lassen.“

Freiheit und Unabhängigkeit

Zwar sollte so gesichert werden, dass Geld nicht missbraucht wird. Der Ansatz sorgte aber auch dafür, dass nach den Pflichtausgaben nicht genug übrig blieb für andere, ebenso wichtige Leistungen. Leistungen, deren Notwendigkeit der Empfänger vor Ort besser einschätzen kann als eine fremde NGO. So bedeutsam ein verpflichtender Kontrollbesuch im Krankenhaus sein mag, der Kauf von neuem Saatgut kann für den Einzelnen vor Ort noch wichtiger sein. Wie das Grundeinkommen genutzt wird, bleibt jedem selbst überlassen. Fast zumindest, denn für dreierlei darf es nicht ausgegeben werden: Alkohol, Zigaretten und Glücksspiel.

Wie in anderen Ländern, die mit einem bedingungslosenGrundeinkommen experimentieren, zeigen begleitende Untersuchungen auch in Kenia, dass bedingungslos bereit gestelltes Geld in den allerwenigsten Fällen verschwendet, sondern strategisch genutzt wird. Auch Odhiambo und ihr Ehemann konnten in ihrem Leben noch nie monatlich mit einer Summe von 22 Dollar rechnen. Doch sie wussten sofort, wie sie ihr neues Einkommen investieren wollen. Von Feiern oder Faulheit, so wie es viele Kritiker des Grundeinkommen befürchten, ist in Bondo jedenfalls nichts zu sehen.

Die ausgezahlte Summe orientiert sich an Statistiken der Weltbank und der kenianischen Regierung. 22 Dollar, so viel benötige durchschnittlich jeder erwachsene Kenianer für seine monatliche Versorgung. Auch Norah und Erick Odhiambo war schnell klar, dass die Summe nur für ihre Grundbedürfnisse reicht. Aber keinesfalls, um sich zurückzulehnen. Dennoch: das Geld ist für Norah eine Rückenstärkung. „Wir können nun unserer wirklichen Arbeit nachgehen, anstatt uns Sorgen zu machen, ob wir mit einfachen Tagesjobs genug für die nächste Woche verdienen. Wenn du weißt, dass nach einem anstrengenden Tag genug Essen zu Hause wartet, beruhigt dich das.“

Aus der Abschlussarbeit wird eine NGO

Seit 2011 führt Give Directly seinen Kampf gegen Armut. Mittlerweile auch in Uganda und Ruanda, doch Kenia war der Beginn für die vier US-amerikanischen Gründer. Die Wirtschafts-studenten der Eliteuniversitäten MIT und Harvard wollten ursprünglich nur die Frage ihrer Abschlussarbeiten an der Realität messen: Vermindern Geldtransfers die Not in Entwicklungsländern? Doch vor Ort merkten sie, wie erfolgreich dieses Instrument tatsächlich funktioniert.

Aus den Studenten wurden in nur zwei Jahren Vorsitzende und Präsidenten ihrer eigenen NGO. Ihre Methode, Spendengelder schnell, ohne Umwege und per Handy an die Empfänger weiterzuleiten, verschaffte ihnen ein Netzwerk von Spendern, das bis zu Google und Facebook reicht. Und genau die Millionen US-Dollar, die seitdem nach Ostafrika fließen. Heute waren oder sind über 50 000 Haushalte in Kenia Empfänger der Zahlungen von Give Directly. Nimmt man die Projekte in Uganda hinzu, zahlte Give Directly bislang 56 Millionen US-Dollar an die Empfänger. Das bedingungslose Grundeinkommen stellt dabei nur den neuesten und größten Versuch der NGO mit Geldzahlungen dar. Geschätzte Kosten hierfür: 30 Millionen Dollar, von denen 26 Millionen bereits durch Fundraising gesichert seien.

Zuvor waren einmalige, aber dafür größere Pauschalbeträge die Waffe der Wahl, sogenannte Lumpsums. Ein Betrag in Höhe von 1000 Dollar wurde an die Zielgruppe „besonders arm“ weitergeleitet. Auch sie konnten über das Geld frei verfügen. Bargeld soll in beiden Fällen den Empfängern Möglichkeiten, aber vor allem Souveränität geben – um selbst zu entscheiden, was sie am nötigsten brauchen.

Geldtransfers als Standard der humanitären Hilfe

Nicht nur Give Directly sieht in Geldtransfers die beste Möglichkeit zur Hilfe. Seit 2016 UN-Generalsekretär Ban Ki Moon auf dem UN-Nothilfegipfel dazu aufrief, Bargeldzahlungen zum „bevorzugten und Standardprogramm“ der humanitären Hilfe zu machen, ist die Idee endgültig wieder auf der Agenda angekommen. Von Welthungerhilfe bis zur Weltbank sollen in Zukunft einfache Bargeldzahlungen fertig bringen, woran die klassische Entwicklungshilfe 50 Jahre lang mehr oder weniger gescheitert ist: Menschen nachhaltig aus der Armut zu hieven.

Selbst afrikanische Ökonomen wie Dambisa Moyo aus Sambia oder James Shikwati aus Kenia finden den Grund für die Rückständigkeit vieler afrikanischer Staaten in der gezahlten Entwicklungshilfe selbst. Weltweit, so schätzt die OECD, flossen über 140 Milliarden Euro in die Entwicklungsländer der Welt – allein im Jahr 2016. Genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln, weil neben staatlicher Hilfe auch private Organisationen auf dem Gebiet tätig sind. Dennoch: Statt wirtschaftlichem Wachstum und besseren Lebensbedingungen für die Bevölkerung haben die Hilfsleistungen vielmehr neue Abhängigkeiten entstehen lassen. Und vor allem die Konten korrupter Politiker gefüllt.

An korrupten Händen vorbei

Dazu ziehen viele Hilfseinrichtungen ihre Existenzberechtigung aus dem Fortbestand von Armut und sind Teil einer regelrechten Hilfsindustrie geworden, die mit Spendengeldern die notwendigen Büros, Lagerhallen oder Transportmittel zahlt. Aber eben auch die eigenen Arbeitsplätze erhält. Geld hinge- gen, ob bar oder als Gutschein, soll diese Fallstricke umgehen. Gutscheine brauchen keine Lagerhallen für Getreidesäcke und Bargeld muss nicht mit großem logistischen Aufwand per Wagenkolonne transportiert werden. Es reist digital, effizient und vor allem: an korrupten Händen vorbei.

„Nicht zuletzt durch neue Techniken wie Mpesa erreichen wir eine Effizienz von über 90 Prozent bei unseren Geldzahlungen“, sagt Caroline Teti. Dazu sorge der Beinahe-Wegfall an logistischen Herausforderungen für eine Senkung der operativen Kosten. Kurz: Von 100 gespendeten Dollar sollen bei Give Directly 91 Dollar in den Taschen der Empfänger landen. Teti ist die „External Relations Managerin“ von Give Directly in Kenia und kümmert sich um die Beziehungen zu den Politikern des Landes, zu Spendern wie zu Empfängern der Geldzahlungen.

Berichte über Erfolge wie auch Probleme landen damit zwangsläufig auf dem schmalen Holzschreibtisch der 39-Jährigen im Regionalbüro von Give Directly, das nicht mehr als eine angemietete Etage in einem leicht heruntergekommenen Hotel in der Kleinstadt Bondo ist. Teti koordiniert mit vierzehn weiteren Mitarbeitern in dem langgezogenen Raum voller wackeliger Holzregale, Akten und Computern die nächsten Einsätze.

17.000 Teilnehmer

Seit Mitte November erhalten weitere Dörfer ebenfalls ein bedingungsloses Grundeinkommen – insgesamt 17.000 erwachsene Teilnehmer in 124 Dörfern. In 40 Dörfern werden wie bei den Odhiambos für zwölf Jahre 22 Dollar monatlich ausgezahlt, während in 80 anderen zwar dieselbe Summe ankommen wird, jedoch nur für zwei Jahre. Damit will Give Directly nicht nur Armut bekämpfen, sondern startet zugleich den größten Feldversuch zum Thema Grund- einkommen – begleitet von Wissenschaftlern, um die Auswirkungen dieses Experiments zu erforschen.

Bereits in zwei Jahren sollen die ersten Ergebnisse vorliegen und Teti formuliert einen klaren Anspruch: „Wir wollen mit unseren Cash-Transfer-Programmen die Diskussion um die Entwicklungshilfe beeinflussen. Und zwar so weit, dass Geldtransfer zur Standardsprache wird.“ Teti studierte Wirtschaftliche Entwicklung im verschneiten Schweden und arbeitete vor Give Directly vierzehn Jahre für andere NGOs in Kenia; sie hat somit einen genauen Einblick in die unterschiedlichen Arbeits- weisen der Entwicklungshilfe.

Bargeld öffnet die Augen

Teti spricht von einem „Käfig der Armut“, der mit den Geldzahlungen endlich durchbrochen werden kann. Für sie steht fest: „Armut macht passiv und die Leute akzeptieren ihre Situation als ihr Schicksal. Doch die Leute hören nicht auf zu denken, nur weil sie arm sind. Sie wollen Veränderung, schlagen aber mit dem Kopf gegen die Wand, weil sie nicht wissen wie sie ihre
Ziele erreichen können.“ Für Teti ist die Lösung einfach: Geld. „Diesen Leuten Bares zu geben, öffnet ihnen die Augen. Und wir geben ihnen die Gelegenheit, diese neuen Möglichkeiten zu realisieren.“ Wissen sei vorhanden, so Teti, denn fast jedes Kind gehe in Kenia mittlerweile zur Schule, viele Erwachsene lernen einen Beruf. Das Problem ist nur: „Wissen ohne Geld bringt den Leuten nicht viel. Denn kaum jemand hatte hier einen Cent, um zu investieren“, sagt Teti. Bis Give Directly in den Westen Kenias kam.

Nicht überall wird die Hilfe angenommen

Doch nicht überall ist diese Hilfe willkommen. In manchen Dörfern, sagt Teti, stand am Ende der Glaube zwischen ihrer NGO und dem Geld. Besonders im Gebiet um Homa Bay, einer Bucht am Ostufer des Viktoriasees. Diese Dörfer seien nicht nur bitterarm, sondern auch tiefgläubig – Evangelikale, Freikirchen, allesamt bibeltreu. „Sie dachten, wir seien eine Sekte. Wie die Illuminaten“, sagt Teti, „geschickt vom Teufel, um mit dem Geld ihr Blut und ihre Kinder zu kaufen. Wir sprachen mit den Priestern und Dorfvorstehern, doch keine Chance. Also zogen wir weiter.“
Und kamen nicht zurück. Give Directly bietet nur einmal seine Geldzahlungen und Teti gibt an, dass nur 3,4 Prozent der angefragten Dörfer die Zahlungen der NGO ablehnen.

Give Directly als Erfolgsstory also? Tatsächlich scheint es, dass Bargeldzahlungen viele Probleme der klassischen Entwicklungshilfe umgehen, sei es in puncto Korruption, Effizienz oder Souveränität der Empfänger. Gerade für Spender, denen daran gelegen ist, dass möglichst viel von ihrem eingezahlten Geld bei denen ankommt, die Hilfe benötigen, sind die schlanken Strukturen per Bargeld und Handyüberweisungen ein Plus.

Weniger Stress durch mehr Geld

Andererseits finden Journalisten den Weg in die Dörfer der Teilnehmer nur in Begleitung von Give-Directly-Mitarbeitern. Auch die Interviewpartner werden von der Organisation ausgewählt. Präsentiert werden also die Erfolgsgeschichten wie die der Odhiambos. Und ob sich die Situation von Odhiambo und ihrem Ehe- mann wirklich dauerhaft verbessert oder ihnen das Grundeinkommen nur eine Atempause verschafft, muss die Zukunft erst noch zeigen. Give Directly selbst betont, dass die Geldüberweisungen ein Experiment seien.

NGOs wie Give Directly nutzen zudem auch Strukturen, die sie selbst nicht geschaffen haben. Dass Kenia heute ein Wirtschaftswachstum von über fünf Prozent jährlich aufweist, eine geringe Analphabetenrate und relativ gefestigte politische Strukturen hat, ist nicht zuletzt auch Ergebnis einer jahrelangen, mühseligen Entwicklungsarbeit durch die EU oder die USA. Und nur wegen dieses stabilen Rahmens kann sich die NGO auf die gezielte Hilfe für Einzelne fokussieren. Aber mit Erfolg.

Zukunftspläne werden möglich

Bereits die begleitenden Untersuchungen bei den Empfängern der Einmalzahlungen zeigten einen Rückgang des Stresshormons Cortisol, eine Verbesserung der Ernährung sowie einen Anstieg an Besitz und Investitionen von über 20 Prozent. In Tetis Worten: „Unsere Empfänger bekommen durch das Geld innere Ruhe. Der Zusammenhalt in den Familien steigt und die Eltern können regelmäßig das Schulgeld für ihre Kinder bezahlen. Auch die Fälle häuslicher Gewalt nehmen ab – weil die Leute Pläne für ihre Zukunft machen können.“

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Das Grundeinkommen soll diese Ergebnisse erweitern und verbessern. Nicht allein Einzelpersonen, sondern ebenso die Entwicklung ganzer Dörfer steht nun im Mittelpunkt des Interesses. Wie entwickelt sich eine Gemeinschaft, wenn alle Einwohner wissen, dass für einen langen Zeitraum für das Nötigste gesorgt ist? Planen Empfänger eines Grundeinkommens anders, weil ihr Risiko geringer ist, ihre Investitionen durch zum Beispiel eine mögliche Missernte zu verlieren?

Mehr Sicherheit und Selbstvertrauen

Bei den Odhiambos jedenfalls lässt sich bereits jetzt feststellen, dass zumindest Sicherheit und Selbstvertrauen in dem Maße wachsen, wie ihr Stress, Geld verdienen zu müssen, sinkt. Auch sie planen den Kauf von Vieh als Grundkapital und sind sicher, dass nach zwölf Jahren Grundeinkommen ihr Leben besser sein wird. Odhiambo sieht sich selbst als bestes Beispiel, dass ein Grundeinkommen vieles bewirken kann, aber keinesfalls faul mache. Die Zeit der Sorgen jedenfalls sei vorbei. Odhiambo verabschiedet ihren Mann, der per Fahrrad zur nächsten Mpesa- Station fährt – sein Handy vibrierte mit der Nachricht von Give Directly: 2250 Schilling befinden sich wieder auf seinem Konto. Wie jeden Monat. Für die nächsten zwölf Jahre.

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