Wege aus der Obdachlosigkeit
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Berlin Kreuzberg, Wrangelstraße. Der Weg zur Notunterkunft für wohnungslose Familien führt durch eine lange Einfahrt, vorbei an Sportplatz, Fahrradstellplätzen und Mülleimern. Zwei Treppen hoch, hinter der Eingangstür Flure in türkis und gelb und neun Zimmer. Drei Kids toben durch die Gänge, ein Fernseher läuft.
Viola Schröder ist ein wenig geschafft an diesem windigen Januarmorgen 2018. Wenige Monate nach der Eröffnung der Diakonieeinrichtung am neuen Standort ist häufig Presse zu Besuch. Fast täglich klingeln Bezirksamt und Beratungsstellen durch, die eine Bleibe für Familien ohne Obdach suchen. Andere kommen auf eigene Faust, weil sie nicht länger bei Freunden auf der Couch oder in der Stadtmission bleiben können. Dreißig Menschen sind das hier derzeit. Deutsche, rumänische, bulgarische, afrikanische Familien. Schröder nimmt einen Schluck Kaffee. Der Blick aus dem Sechzigerjahre-Haus reicht bis zu den bodentiefen Glaswänden des Neubaus vis-àvis.
Die Gentrifizierung ist längst auch in Kreuzberg angekommen. Wie in vielen Vierteln der Stadt, den urbanen Zentren überall im Land. „Seit drei, vier Jahren hat sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt extrem zugespitzt“, sagt Schröder. Der Druck auf die Mieter wächst. Gerade wer von Hartz IV lebt oder sehr wenig verdient, kommt schnell unter die Räder. Zweimal die Miete nicht gezahlt oder das Jobcenter hat vergessen zu überweisen – schon liegt die Kündigung auf dem Tisch.
Zunehmend Familien in regulären Notunterkünften
Schröder: „Früher konnte man in solchen Fällen fast immer verhandeln, heute wollen die Vermieter möglichst schnell teurer vermieten.“ Auch wenn die Miete über den Höchstsatz steigt, bis zu dem das Jobcenter zu zahlen bereit ist, müssen die Familien ihre Koffer packen. Vom Alltagsgeld aus dem Hartz-IV-Topf die Differenz selbst zahlen? Verboten. Und eine günstigere Wohnung für vier, fünf Menschen finden? „Fast ausgeschlossen“, sagt Schröder. Kein Wunder, dass zunehmend Familien in die regulären Notunterkünfte drängen. Stadtmission, Obdachlosenheim. Schröder: „Aber für Kinder sind die Zustände dort völlig indiskutabel.“
Die Wrangelstraße steht deshalb nur Familien offen. Sie können jederzeit kommen, zur Not auch nachts, auch ohne Pass und Papiere. Drei Wochen dürfen sie höchstens bleiben, 19 Tage ist der Schnitt. Zeit, um runterzukommen, sich neu zu sortieren, die Zukunft anzugehen. Es gibt drei Mahlzeiten am Tag, heißen Tee und Obstsalat für zwischendurch, ein Spielzimmer für die Kinder und Integrationslotsen, die mit den Kids spielen, Hausaufgaben und Ausflüge machen. Für die Eltern eine wichtige Entlastung. Denn der „psychische Druck ist riesig“, sagt Schröder. „Verlieren wir nach der Wohnung auch die Kinder?“ Das Jugendamt sitzt den Eltern schnell im Nacken. Oft sind sie völlig hilflos.
Wie jene Frau aus Lichtenberg, die von der Zwangsräumung so überrumpelt war, dass sie nur mit ihrer Handtasche über der Schulter die Wohnung verließ. Die Kinder brachte sie direkt von der Schule zum Spielplatz vor der Notunterkunft. „Ich muss kurz etwas erledigen.“ Unter Schock saß die Frau dann bei Viola Schröder im Büro. „Ich habe es meinen Kindern noch nicht gesagt und weiß nicht wie.“
Schröder weiß, wie sehr Eltern dann aus dem Gleichgewicht sind. „Wir müssen die Situation meist erst einmal gemeinsam ordnen.“ Was ist da eigentlich passiert? Welche Mahnungen, Gerichtsbescheide, Briefe vom Jobcenter wurden nicht geöffnet? Welche Ämter können helfen, welche Papiere brauchen die Eltern dafür? Das Notunterkunft-Team berät, plant Amtsbesuche, telefoniert in der Stadt herum nach freien Plätzen in städtischen Wohnheimen für Familien. Es dauert immer länger. Und eine Wohnung finden? „Seit es die Unterkunft gibt, ist uns das noch nie gelungen.“