Kolumne: Mein erstes Mal

Flüchtlinge zu Freunden

Lesezeit:
3 minuten

4 September 2018

Bis heute verabredet sich unsere Autorin mit zwei Flüchtlingen, die sie über „Start with a friend“ kennengelernt hat, ungefähr alle zwei Wochen – zum Kochen, Kickern, Partys feiern

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3 minuten

4 September 2018
Der Verein „Start with a Friend“ schafft Begegnungen zwischen Menschen verschiedener Kulturen. Unser Selbstversuch zeigt: Das führt zu neuen Freundschaften

Die meisten meiner Freunde habe ich durch die üblichen Zufälle gefunden – auf Partys, durch Bekannte oder bei der Arbeit. Letzten Sommer lief es anders: Da hat mir eine Hilfsorganisation für Geflüchtete neue Freunde vermittelt. Die Geschichte dieser Freundschaft beginnt an einem Sommerabend 2017. Meine Mitbewohnerin Gina und ich sitzen in einem Berliner Unicafé – bei einer Informationsveranstaltung von „Start with a Friend“. Der Vorschlag kam von Gina: Sie hatte ein paar Wochen zuvor in einer dieser sinnsuchenden Phasen, die uns in den 20ern immer mal wieder überkommen, nach dem Stichwort „hilfreiches Engagement“ gegoogelt.

Dabei fand sie den Verein, der auf Freundschaft als Integrationshilfe setzt. Das passte: Ich selbst hatte mir schon lange vorgenommen, den geflohenen Menschen in Deutschland zu helfen, aber habe es nie wirklich geschafft; die Zeit, in der Klamotten sortiert wurden, habe ich verpasst und Deutsch zu unterrichten war mir irgendwie zu viel Verantwortung. Aber eine Freundin für Geflohene werden? Das klang gut. Potenzielle neue Freunde aus Ländern wie Syrien oder dem Irak gibt es in Folge der eskalierenden Konflikte viele: Allein 2015 zählte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mehr als 440.000 Erstanträge auf Asyl.

Mit den zahlreichen Neuankömmlingen wurde auch das Engagement zu einer Massenbewegung. Trotzdem läuft die Integration oft schleppend – das liegt auch daran, dass die Geflohenen in den Deutschkursen und Flüchtlingsheimen meist ungewollt unter sich bleiben. Hier setzt „Start with a Friend“ an. An diesem Abend erklären uns zwei Studentinnen, die sich bei dem Verein engagieren, zunächst, wie das Konzept funktioniert. Es ist ganz einfach: Als „Local“ wird man einem Geflohenen als Tandempartner vermittelt und verabredet sich. Man kann etwas zusammen unternehmen oder auch helfen, Deutsch zu lernen.

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Engagement für Flüchtlinge als Massenbewegung

Wichtig ist, dass es nicht einen „Hilfsbedürftigen“ und einen „Retter“ gibt, sondern dass ein offenes Miteinander auf Augenhöhe zwischen Menschen und Kulturen entsteht. Nach der Einführungsrunde geht es direkt ans Matching: Die Studentinnen fragen die einzelnen Teilnehmer nach ihrem Leben, was sie gern unternehmen und sie interessiert – um für jeden passende Freunde zu finden. Wir fühlen uns wie bei einer Partnervermittlung. Unser Profil: Mitte 20, halbwegs ernstzunehmend berufstätig, nicht so viel Lust auf Sport. Danach sagen wir noch, dass wir gern eine Tandempartnerin hätten; einfach, weil wir ein bisschen Angst davor haben, dass das Projekt wirklich zum Dating wird. Im September kommt endlich eine E-Mail: Sie haben ein Match für uns! Ich bin ein bisschen aufgeregt.

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Ein kleiner Dämpfer: Statt einer Frau werden uns zwei junge Männer vermittelt – Luay, 22, und Yamen, 19. Zwei Brüder aus Syrien, die vor drei Wochen nach Deutschland gekommen sind. „Wir können uns ja trotzdem mal mit denen treffen und dann gucken wir einfach“, sagt Gina. Der folgende Dienstagabend, Bahnhof Hermannstraße. Gina und ich stehen in dem abendlichen Trubel und halten Ausschau: Luay hat auf Englisch geschrieben, dass die beiden zur Unterstützung noch ihren älteren Bruder Mo mitbringen.

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Heute verabreden wir uns ungefähr alle zwei Wochen

Wir entdecken die jungen Männer sofort. Mo fängt direkt an zu erzählen – in perfektem Deutsch. Wir sind etwas überrumpelt – auch von dem, was er erlebt hat. Gemeinsam mit einem vierten Bruder ist er vor anderthalb Jahren über die Balkanroute nach Deutschland gekommen. Er erzählt von einer Knarre am Kopf in einem Wald vor Österreich und nicht ausreichend Geld für den Schlepper. Solche Erlebnisse wollte Mo seinen kleineren Geschwistern ersparen – deswegen hat er über ein Jahr lang gekämpft, um Visa für Luay und den jüngsten Bruder Yamen zu bekommen, sodass sie jetzt mit dem Flugzeug einreisen durften. „Wir sind so froh, Mann!“, sagt er.

In einer gemütlichen Kneipe bestellen wir kurz darauf Alsterwasser und Mangosaft und drehen uns Zigaretten. Die drei Brüder haben lauter Fragen: „Was macht ihr hier in Berlin? Seid ihr ein Pärchen oder nur Freunde?“ Sie erzählen auch von ihren Plänen für die Zukunft. Die Brüder wollen unbedingt an die Uni und weiter studieren. Den ganzen Abend lang sprechen wir einen wilden Mix aus Deutsch und Englisch. Am Ende gehen wir beschwingt nach Hause – das Matching hat geklappt. Bis heute verabreden wir uns ungefähr alle zwei Wochen – zum Kochen, Kickern, Partys feiern. Inzwischen sind die Brüder „unsere Jungs“ und Teil unseres Berliner Freundeskreises. Wir reden über das Leben, Berlin oder die Liebe – und sprechen schon sechs Monate nach unserem ersten Treffen fast ausschließlich Deutsch. „Musterschüler“, lobt sich Luay immer selbst. Auch wir haben neben ein paar Fetzen Arabisch und der richtigen Technik für Rauchringe viel gelernt: zum Beispiel, dass Freundschaft nicht immer zufällig entstehen muss.

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