Kulturelle Aneignung

„Indianer“ ist keine Verkleidung

Lesezeit:
3 minuten

2 September 2019

Titelbild: Tom Watkins/Unsplash

Bei Holi-Festen in Indien bewerfen sich Menschen verschiedenster Gesellschaftsschichten mit geweihten Farben. Wird dieser kulturelle Hintergrund bei Holi-Festivals hierzulande geachtet?

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2 September 2019
Eine Hamburger Kita appelliert an Eltern, ihre Kinder nicht in ethnifizierenden Kostümen zur Faschingsfeier zu schicken – und auch sonst finden sich derzeit viele Diskussionen um „kulturelle Aneignung“. Aber was steckt hinter dem Begriff? Ein Erklärungsversuch

Was ist das eigentlich, „kulturelle Aneignung“?

Der Begriff, auch gerne im Englischen Original „Cultural Appropriation“ verwendet, entstammt einer Bewegung, die eine konkrete Bereicherung an den Errungenschaften von Minderheiten durch die Bemächtigung kultureller Objekte aus anderen, dominanten Kulturen kritisiert.

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Etwas einfacher gesagt: Man nimmt sich ohne zu fragen etwas, das einem nicht gehört, und schöpft daraus eigenen Nutzen. Laut der US-Juraprofessorin Susan Scafidi ist kulturelle Aneignung demnach eine „unerlaubte Wegnahme geistigen Eigentums, traditionellen Wissens oder kultureller Artefakte“. Noch immer werden marginalisierte Gruppen, wie zum Beispiel Schwarze, aufgrund ihres Aussehens oder kultureller Bräuche ungerecht behandelt. Gleichzeitig bereichern sich dominante Gesellschaftsgruppen, vorwiegend Weiße, an eben diesen Symbolen fremder Kulturen – auch und weil sie keine Diskriminierung fürchten müssen. Jens Kastner verweist im Deutschlandfunk deshalb in der Frage der Definition von „kultureller Aneignung“ auf den Titel des Buches „Everything But The Burden“. Heißt: Man bedient sich an allem, übernimmt, imitiert, kopiert – ohne die Bürde (der Diskriminierung) tragen zu müssen.

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Aber wenn ich Symbole einer anderen Kultur benutze, dann will ich diese Kultur doch in der Regel feiern – und nicht irgendjemanden diskriminieren.

Kann sein. Einige machen in der Forschung und Begriffsklärung deswegen einen Unterschied zwischen „Cultural Appropriation“ und „Cultural Appreciation“ (kulturelle Anerkennung). Beschäftigt man sich umfassend mit einer Kultur, an der man Interesse hat, und begegnet dieser mit Respekt, kann man von Anerkennung sprechen. Kulturelle Aneignung ist also stark vom eigennützigen und rücksichtslosen Vorgehen einer ausgegrenzten Kultur geprägt. Bewirft man sich gegenseitig mit Farbpulver, nur um etliche Fotos davon für Instagram zu machen – oder kennt und achtet man den Hintergrund des heiligen Festes aus Indien, bei dem sich Menschen verschiedenster Gesellschaftsschichten mit geweihten (!) Farben bewerfen?

Wenn ich nun aber Kindern beispielsweise Indianerkostüme verbiete, verwehre ich ihnen dann nicht den Zugang zu besagter Kultur?

Wie gesagt: Nichts spricht dagegen, sich respektvoll und ernsthaft mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen. Aber das passiert nicht, indem man Stereotype und Klischees anhand von Kinderfaschingskostümen bedient und reproduziert. Beispiel „Indianer“: Zum einen verbittet sich inzwischen der Begriff, lieber sollte man sagen, um welchen Stamm es konkret geht. Macht aber niemand, weil man bewusst Stereotype bedienen will, die an der heutigen Lebenswirklichkeit der gemeinten indigenen Bevölkerung völlig vorbeigehen und diskriminieren – genau wie sogenannte „Indianerkostüme“. Es geht darum, aufmerksamer zu werden. Sich bewusst zu machen, welche Bedeutung und Wirkung „Verkleidungen“ haben, die auf andere Kulturen als die eigene anspielen. Gerade Kinder sollte man dafür sensibilisieren, dass es nicht richtig ist, sich wie Menschen zu verkleiden, die aufgrund ihres Aussehens diskriminiert oder ausgegrenzt werden.

Und die Erwachsenen sind schon sensibilisiert?

Im Gegenteil. Nicht nur die oben schon erwähnten „Holi“-Festivals oder Kinderkostüme sind dafür ein Beispiel, auch die vermeintlich woke (also sozial sensibilisierte) junge Zielgruppe hat noch einiges zu lernen. Das ist zumindest die Meinung der Autorin Hengameh Yaghoobifarah. In einem Beitrag für das Missy ­Magazin kritisiert sie die (erwachsenen) Besucher*innen des Fusion Festivals: „Neben den Dreadlocks trugen weiße Menschen Kimonos, Kegelhüte, Oberteile mit random chinesischen Zeichen, Bindis, Saris, Federkopfschmuck, Tunnel, Turbane, Sharwals oder einzelne Federn im Haar (gerne einfach ins verfilzte Haar gesteckt). Wie Karneval der Kulturen in Berlin, nur ohne Kulturen.“

Also dürfen Weiße Menschen keine Dreadlocks tragen?

Es ist zumindest sehr problematisch. Dreadlocks sind für viele Schwarze ein emanzipatorisches Symbol des Befreiungskampfes. Die Künstlerin und interkulturelle Mediatorin Yvonne Apiyo Brändle-Amolo formuliert es so: „Tragen wir Schwarzen einen Afrolook oder Dreadlocks, dann gilt die Frisur als ungepflegt. Sobald aber Kim Kardashian Cornrows trägt, ist es ein Riesentrend.“ Symbole wie Frisuren oder Kleidungsstücke einfach so zu übernehmen, weil sie modisch anmuten, ist gedankenlos – und entwertet deren kulturellen Inhalt. Davon können übrigens auch Lederhosen tragende Bayer*innen ein Lied singen.

Okay, wenn wir einmal bei konkreten Beispielen sind: Wie ist es denn dann mit Sushi?

Sich einfach nur eine Portion Sushi schmecken zu lassen, ist natürlich keine kulturelle Aneignung. Kritisch wird es aber beispielsweise dann, wenn etwa Weiße von Weißen lernen, wie man „indigenes Essen“ zubereitet. Mit der Aneignung kultureller Errungenschaften können Grenzen überschritten werden. Und das schneller als man denkt.

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Heißt das jetzt, kulturelle Aneignung ist Rassismus?

Wer als Weiße*r Dreadlocks trägt, ist noch kein*e Rassist*in. Dennoch können sich Schwarze durch diese Aneignung angegriffen fühlen. Wenn ich dann trotz des Wissens um die Problematik und ohne mich eingehend mit der betroffenen Kultur beschäftigt zu haben, Dreadlocks trage, zeige ich: Deine Meinung interessiert mich nicht. Ich setze mein Weißes Privileg durch. Ich reproduziere ein diskriminierendes, rassistisches System. Letztlich geht es darum, wie respekt- und rücksichtsvoll wir mit unseren Mitmenschen – mit allen – umgehen. Es geht um Bewusstsein. Darum, die eigenen Privilegien zu kennen. Darum, andere Kulturen als Kulturen wahrzunehmen und nicht nur als Trend.

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