Gewalt gegen Frauen
Wie Femizide verhindert werden können
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25 November 2019
TITELBILD: MICHELLE DING/UNSPLASH
Auch Aktivistinnen wie hier am Internationalen Frauentag in Kuala Lumpur, Malaysia, kämpfen gegen Gewalt an Frauen.
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25 November 2019
Ein Frauenmord, jeden dritten Tag. 122 Frauen wurden 2018 in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Jede dritte Frau macht außerdem mindestens einmal in ihrem Leben Erfahrungen mit Gewalt, also rund 12 Millionen Frauen. Mehr als ein Mal pro Stunde wird statistisch gesehen eine Frau in Deutschland durch ihren Partner gefährlich körperlich verletzt.
Am „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“ veröffentlichte Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) die aktuellen und erneut gestiegenen Zahlen des Bundeskriminalamts (BKA) zur Partnerschaftsgewalt für das Jahr 2018. „Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig. Die neuen Zahlen des BKA sind nach wie vor schockierend. Sie zeigen, dass wir alle in unserem direkten Umfeld Frauen kennen, die betroffen sind: Es kann die Freundin sein, die Kollegin, die Nachbarin oder die eigene Schwester.”
Im Jahr 2018 waren 114.393 Frauen betroffen, aber auch 26.362 Männer. Insgesamt wurden 140.755 Menschen in Deutschland Opfer versuchter und vollendeter Gewalt, entsprechend waren 81,3 Prozent der Opfer weiblich, 18,7 Prozent männlich. Die Statistik erfasst unterschiedliche Formen von Gewalt, die von Bedrohung und Stalking bis hin zu Zwangsprostitution und Mord reichen. Opfer von Vergewaltigungen, sexuellen Übergriffen und sexueller Nötigung in Partnerschaften waren mit 98,4 Prozent fast ausschließlich weiblich. Bei Mord und Totschlag etwa 77 Prozent. Doch die Zahlen bilden nur Straftaten ab, die tatsächlich angezeigt werden – die Dunkelziffer liegt weit höher.
Weltweit gibt es immer mehr Femizide
Auch die globale Kampagne „One Billion Rising“, die sich für ein Ende der Gewalt gegen Frauen und Mädchen und für Gleichstellung einsetzt, veröffentlicht fortlaufend Femizid-Zahlen in einer interaktiven Karte anhand von Opfer-Meldungen der Polizei. Demnach wurden in Deutschland mit Stand 25. November im aktuellen Jahr bereits 116 Frauen von ihrem (Ex-)Partner getötet, sowie 46 weitere Frauen zum Teil schwer verletzt. Auch 15 Kinder wurden getötet. Männer erfasst die Zählung nicht.
Doch nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit steigen sogenannte Femizide, also vorsätzliche Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts, wie es etwa die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert. Die WHO stellt dabei fest: Vor allem Männer begehen Femizide, weibliche Familienmitglieder können jedoch auch daran beteiligt sein. Femizide werden vor allem von Partnern oder ehemaligen Partnern begangen – oft im Zusammenhang etwa mit Misshandlungen, sexualisierter Gewalt, Unterdrückung oder einem Ungleichgewicht von Macht und Ressourcen.
Gewalt ist jedoch kein Problem, das nur spezifische Gruppen betrifft. Familienministerin Giffey betonte: „Diese Gewalt geht durch alle sozialen Schichten und alle ethnischen Gruppen.” Auch die Studie „Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen” aus dem Jahr 2009 zeigt, dass Gewalt gegen Frauen in allen sozialen Milieus stattfindet und auch Frauen in mittleren und hohen Bildungs- und Sozialschichten Gewalterfahrungen machen. Risikofaktoren sind jedoch zum Beispiel Trennung oder Trennungsabsichten sowie gewaltsame Kindheitserfahrungen.
Die Ansätze, gegen das Problem vorzugehen, sind vielfältig. So startete das Familienministerium gerade zusammen mit 13 Partnerorganisationen aus dem Bereich die Initiative „Stärker als Gewalt”. Dadurch sollen von Gewalt Betroffene ermutigt werden, sich Unterstützung zu holen und entsprechende Hilfsangebote bekannt gemacht werden.
Femizide verhindern: Täterarbeit als wichtiger Baustein
Ein wichtiger Ansatz ist dabei die Präventionsarbeit, um Gewalt zu verhindern. So hat etwa die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V., ein interinstitutioneller, interkultureller Dachverband, der ebenfalls Teil der Initiative des Familienministeriums ist, verbindliche Leitlinien zur Täterarbeit festgelegt. Der Schwerpunkt in der Täterarbeit richtet sich dabei vor allem auf häusliche Gewalt durch Männer gegen ehemalige und aktuelle Partnerinnen. Jedoch betont der Verband, dass auch andere Zielgruppen von Gewalt betroffen sein können, sei es in gleichgeschlechtlichen Beziehungen oder durch Frauen gegen Partner oder Ex-Partner.
Auch die Berliner Beratungsstelle „Beratung für Männer-gegen Gewalt“ des Landesverbands der Volkssolidarität e.V. ist Teil des Dachverbands. Dort werden Einzelberatungen sowie soziale Trainingskurse für freiwillig teilnehmende Männer sowie im Rahmen von Bewährungsstrafen über 26 Wochen angeboten. Dort sollen Männer unter anderem lernen, wie sie mit Stress und Aggressionen besser umgehen können, gewaltfrei zu streiten und gleichberechtigte Partnerschaften zu leben. Es geht, so schreibt die Beratungsstelle, darum, dass ein Täter die volle Verantwortung für sein Handeln übernimmt: „Er hat gewalttätiges Verhalten gelernt. Doch ebenso kann er sich gewaltfreies Handeln aneignen.”
Eine Partnerorganisation der Initiative des Familienministeriums ist das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“. Dorthin können sich seit 2013 Opfer wenden, um sich in 17 Sprachen über Unterstützungs- und Hilfsangebote zu informieren und sich vermitteln zu lassen. Immer mehr Frauen, aber auch Menschen aus ihrem sozialen Umfeld, nutzen das Angebot. Im Jahr 2018 zählte das Hilfetelefon 42.000 Beratungskontakte, zwölf Prozent mehr als im Jahr zuvor. In rund zwei Dritteln der Fälle wendeten sich die Frauen wegen sogenannter häuslicher Gewalt an die Stelle. Leiterin Petra Söchting sagte bei der Vorstellung der aktuellen BKA-Zahlen: „Wenn Frauen anrufen, können sie sicher sein, dass das, was wir hier besprechen unter uns bleibt. Es geht darum zu schauen: Ist die Frau bereit, dass wir gemeinsam die Polizei einschalten. Welche Schritte die Frauen gehen, entscheiden alleine sie.” Wichtig sei außerdem, den Frauen klar zu machen: „Was passiert ist, ist Gewalt. Sie müssen sich nicht dafür schämen und sind auf keinen Fall schuld daran, was passiert ist.”
In den Frauenhäusern fehlen 13.000 Plätze
Um Frauen besser vor Gewalt zu schützen, will der Bund von 2020 bis 2023 insgesamt 120 Millionen Euro in den Ausbau von Beratungsstellen und Frauenhäusern investieren. Denn deutschlandweit gibt es aktuell nur 350 Frauenhäuser. „Aber die haben einfach nicht ausreichende Kapazitäten. wir haben knapp 7.000 Plätze, bräuchten aber rund 20.000”, sagt Familienministerin Giffey. Es gehe jedoch nicht nur um mehr Plätze, sondern auch um die Art des Angebots.
Das zeigt ein Blick auf die Altersstruktur der Opfer, die großteils zwischen 25 und 50 Jahre alt sind, vor allem jedoch zwischen 30 und 40. Und auch Frauen in diesem Alter, die etwa Söhne im Teenageralter haben, müssen gemeinsam mit ihren Kindern geschützt werden können. Das führe zu einem Problem: „Ein Junge, der mit 14 oder 16 in der Pubertät ist, ist kein klassischer Bewohner eines Frauenhauses.” Entsprechend brauche es mehr Kapazitäten. Langfristig plädierte Giffey auch für einen Rechtsanspruch auf einen Platz im Frauenhaus. Noch könne dieser wegen der fehlenden Plätze nicht erfüllt werden.
Härteres strafrechtliches Vorgehen gegen Femizide
Für Diskussion sorgt immer wieder auch das Strafrecht. Seit Januar unterzeichneten mehr als 70.000 Menschen die Petition „Stoppt das Töten von Frauen #saveXX“. Deren Initiatorin, Kristina Wolff, fordert unter anderem härteres strafrechtliches Vorgehen gegen Femizide, umfassenden Schutz für gefährdete Menschen und Falldaten bundesweit zu erfassen, auszuwerten und zu publizieren, denn die bisherigen Daten reichten nicht aus.
Im Familienministerium ist nicht die Rede von Femiziden. Ministerin Giffey begründet dies damit, dass „Partnerschaftsgewalt darüber hinaus geht und es vielschichtige Gründe haben kann, warum es zu so einer Tat kommt”. Unter anderem die Linkspartei fordert hingegen einen eigenen Straftatbestand Femizid.
Auch Leonie Steinl, Vorsitzende der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes, kritisiert: „Trennungstötungen werden oft nicht als Mord aus niedrigen Beweggründen, sondern als Totschlag eingestuft.” Dabei seien Tötungen wegen einer beabsichtigten oder erfolgten Trennung „der Standardfall männlicher Tötungsdelikte in Beziehungen”. „Manchmal habe ich den Eindruck, dass es einigen Menschen schwer fällt, eine Trennungstötung auch als Femizid zu verstehen. Dabei geht es immer um dasselbe: Es geht um geschlechtsbezogene Tötungen, also Tötungen von Frauen, weil sie Frauen sind.” Steinl fordert: „Das Gesetz muss gewährleisten, dass Trennungstötungen nicht milder bestraft werden, weil es sich um Taten in einer Partnerschaft handelt. Vielmehr sollte unter bestimmten Umständen auch eine Strafschärfung möglich sein.”
Tatsächlich gilt in Deutschland seit Februar 2018 die sogenannte Istanbul-Konvention, das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt”. Darin steht, dass es als für das Strafmaß erschwerend berücksichtigt werden kann, wenn Taten an Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen verübt werden.
Steinl plädiert zudem für einen „gesellschaftlichen Bewusstseinswandel”, um das Ausmaß von häuslicher Gewalt zu erkennen. „Exemplarisch finde ich da die mediale Berichterstattung. Da werden für Trennungstötungen immer noch Begriffe verwendet wie ,Familientragödie’ oder ,Eifersuchtsdrama’.” Dadurch bekomme das Opfer eine Art Mitschuld, die Tat werde relativiert. „Besonders problematisch werden solche Euphemismen, wenn sie mit einer Schuldumkehr verknüpft werden. So wird insbesondere die vermeintliche Untreue von Frauen immer wieder im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Gewalttaten gegen Frauen thematisiert.” Problematisch sei dies außerdem, weil „die Tat aus der gesellschaftlichen Sphäre ins Private verwiesen” wird und „die Begriffe den strukturellen Charakter der Fälle negieren”.
Auf das Problem machen am „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen” auch Aktivistinnen mit weltweiten Protesten aufmerksam. So rief etwa in Berlin das Bündnis internationalistischer Feminist*innen Berlin unter dem Slogan „Genug ist genug – Wir leben Widerstand” zur Demo auf.
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen” ist 24 Stunden täglich unter der Telefonnummer 08000 116 016 und online unter http://www.hilfetelefon.de/ über den Termin- und Sofort-Chat sowie per E-Mail erreichbar.