Interview über Voltastics

„Ehrenamt ist so sexy, das sollte viel mehr Sichtbarkeit haben“

Lesezeit:
5 minuten

25 September 2019

Titelbild: Ilja Kagan
Mockups: Voltastics

Sebastian Sauer (l.) und Oliver Weyer wollen mit ihrer Plattform Voltastics für mehr Wertschätzung im Ehrenamt sorgen

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25 September 2019
Voltastics hat Großes vor: Das Social-Start-up will das Ehrenamt digitalisieren, für mehr Anerkennung und Sichtbarkeit sorgen – und so die Nachwuchsprobleme der Zivilgesellschaft lindern. Warum es dafür auch zwingend Unternehmen braucht, erklärt Mitgründer Oliver Weyer im Interview

Oliver, Voltastics soll das „Payback fürs Ehrenamt“ sein, so zumindest euer Versprechen zum Start im Sommer 2018. Wie seid ihr darauf gekommen?

Mein Mitgründer Sebastian Sauer und ich kommen aus der Privatwirtschaft und sind ehrenamtlich aktiv. Ich war 15 Jahre lang bei den Pfadfindern, zuletzt haben wir über betterplace.org Organisationen beraten, wie die ihr Online-Fundraising besser aufstellen können. Wir kennen also beide Welten. Wir haben gesehen, dass es im Ehrenamt vor allem drei große Baustellen gibt: mangelnde Sichtbarkeit, wodurch junge Engagierte fehlen sowie die Digitalisierung. Wir hatten schon mit mehr als 100 Organisationen und anderen Ehrenamtlern gesprochen, Studien ausgewertet und wollten uns den Problemen in einem sozialen Lean-Start-up widmen. Wir haben dann irgendwann einmal alles zusammengeschrieben – und daraus ist dann die Idee zu Voltastics entstanden.Wir haben dann eine Förderung durch das Social Impact Lab in Duisburg bekommen, dort konnten wir unsere Idee in eine Struktur gießen, samt Pitchdeck und einer genaueren, schärferen Definition unseres Produkts.

Was ihr dann wie gesagt mit „Payback fürs Ehrenamt“ überschrieben habt. Was hat es damit auf sich?

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Das war unser erster, recht provokanter Werbespruch. Uns geht es einfach um mehr Wertschätzung fürs Ehrenamt. Anerkennung und Sichtbarkeit fehlen. Unser System soll so funktionieren, dass ich in meiner App oder eben auf der Plattform mein Ehrenamt eintrage, mit Startdatum, Organisation und Stundenzahl, die ich aktiv bin. In einem weiteren Schritt bestätigt die jeweilige Organisation das. Das ist die Basis für ein Dankeschön. Wir vermeiden den Begriff „Belohnung“, weil das stark monetär konnotiert ist, worum es uns – und den Ehrenamtlern – gar nicht geht.

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Wie sehen diese „Dankeschöns“ aus?

Das kann eine persönliche E-Mail der Oberbürgermeisterin sein, der ein Gutschein für die örtliche Therme anhängt. Oder Sportartikelhersteller können gezielt sagen, wir geben allen, die wirklich viel im Jahr aktiv sind im Bereich Sport, also das ganze Trainerpersonal in den Fußballvereinen zum Beispiel, einen Gutschein. Wir testen da derzeit viel. Es geht nicht darum, das Ehrenamt auf die Minute genau zu tracken oder Unternehmen irgendwelche Daten zu verkaufen. Wir wollen vernetzen und versuchen dafür, Cluster zu bilden. Das beinhaltet aktuell auch ein Level-System, also je stärker das Engagement, desto höher das Level, desto höher beispielsweise eventuelle Rabatte bei Partnern. Aber das ersetzt die intrinsische Motivation nicht, die die treibende Kraft hinter dem Ehrenamt bleibt.

Habt ihr schon Erfahrungswerte, was besser ankommt: Die persönliche E-Mail oder doch der Gutschein?

Wir haben momentan nur eine Alpha-Version, mit der wir viel rumprobieren. Was wir definitiv sagen können, auch aus unseren Vorgesprächen: Die bessere Sichtbarkeit, beispielsweise über den digitalen Ehrenamtsnachweis, ist sehr wichtig und kommt gut an …

So stellen sich die Gründer die erste Version ihrer Plattform Voltastics vor – inklusive Stunden-Tracker und digitaler Abzeichen

Ein Ehrenamtsnachweis?

Ja, so etwas gibt es jetzt schon in praktisch jedem Bundesland – auf Papier. Da stehen dann Zeiträume, Aufgaben oder Kompetenzen drauf. Brauche ich diesen Nachweis beispielsweise spontan für eine Bewerbung, wird es schwierig, weil er derzeit komplett analog erstellt wird. Wir wollen diesen Ehrenamtsnachweis digitalisieren. Das ist prinzipiell kein Problem, braucht aber eben die digitale Vernetzung zwischen Organisationen, Städten, Ehrenamtlern und Unternehmen.

Wieso holt ihr ausdrücklich Firmen mit ins Boot?

Der nächste Schritt für uns ist dann die Sache mit der Freistellung beim Arbeitgeber, weil auch das primär der Sichtbarkeit zugutekommt. Es gibt da schon einiges im Bereich Corporate Volunteering. Aber das beschränkt sich meist auf einzelne „Social Days“, wo ich an einem Tag freigestellt werde, um ehrenamtlich aktiv sein zu können. Großzügige Unternehmen geben auch mal drei Tage im Jahr. Aus unserer Sicht benachteiligt das genau die Leute, die jede Woche aktiv sind. Wir wollen die Prozesse dafür sauber automatisieren. Oft arbeiten die Firmen da noch mit irgendwelchen Excel-Tabellen, wodurch der Aufwand für die Angestellten unnötig hoch ist. Dabei gibt es schon Lösungen und etablierte Prozesse, auf die wir aufbauen können, beispielsweise beim THW oder DRK. Je einfacher das funktioniert, desto mehr und besser können die Menschen ihr Ehrenamt ausführen. Anders gesagt: Wo das ehrenamtliche Engagement vor 20 Jahren noch bei durchschnittlich dreieinhalb Stunden pro Woche lag, sind es heute kaum mehr zwei. Wenn man es schafft, da nur eine halbe Stunde draufzupacken, indem man einfach die Rahmenbedingungen verbessert, wäre da schon einiges gewonnen.

Aber ich entscheide mich für mein Ehrenamt ja in meiner Freizeit, also bewusst außerhalb des Unternehmens.

Sicher, einige wollen das strikt getrennt haben und wollen ihrem Arbeitgeber bewusst nicht sagen, wo sie wie ehrenamtlich aktiv sind. Das hängt auch vom Engagement ab. Fußballtrainer haben damit in der Regel weniger ein Problem. Menschen, die in der Sterbehilfe engagiert sind, wollen diese Teilöffentlichkeit vermutlich eher weniger. Generell geht der Trend aber eher zu mehr Offenheit, auf beiden Seiten. Viele wollen die Sichtbarkeit ihres Ehrenamts beim Arbeitgeber, Stichwort Freistellungen. Gerade jüngere Angestellte verlangen von ihrem Unternehmen außerdem, gesellschaftlich engagiert zu sein. Also sind die Firmen – auch mit Blick auf ihre Nachhaltigkeitsberichte – ebenso an einer Verzahnung mit dem Ehrenamt ihrer Angestellten interessiert. Sie müssen die emotionale Bindung ihrer Angestellten erhöhen, anders geht es im Kampf um Talente gar nicht mehr.

Ich habe heute so viele Möglichkeiten, mich zu beschäftigen, da verliert das Ehrenamt an Relevanz.
Oliver Weyer, Voltastics

Ist das nicht eine Art Ökonomisierung der Zivilgesellschaft: Wenn ich als Unternehmen das Ehrenamt meiner Angestellten fördere, weil ich mir davon einen wirtschaftlichen Vorteil verspreche? Darum geht es doch letztlich, wenn man von zufriedeneren Mitarbeitenden redet, weil sie produktiver oder seltener krank sind.

Wir sehen es eher als Win-win-Situation. Unternehmen haben – unserer Meinung nach – immer eine soziale Verantwortung. Die Menschen haben glaube ich ein gutes Gespür dafür, wann die eigene Firma das dann ernst meint und wann es nur Greenwashing ist. Hinzu kommt: Das Ehrenamt steht vor Problemen. Eines ist die Digitalisierung, ein weiteres ist aber auch das gestiegene Freizeitangebot. Ich habe heute so viele Möglichkeiten, mich zu beschäftigen, da verliert das Ehrenamt an Relevanz. Wenn sich die Organisationen darauf nicht einstellen, wird es einige in ein paar Jahren vielleicht gar nicht mehr geben. Der gesellschaftliche Schaden wäre immens.

Schadet so ein Belohnungssystem nicht dem Ehrenamt, wo die Motivation genau daher rührt, dass ich dafür keine Gegenleistung erwarte?

Ehrenamt ist intrinsisch motiviert und soll das auch bleiben. Uns geht es nicht darum, einen neuen Niedriglohnsektor zu schaffen oder das Ehrenamt zu monetarisieren. Aber gerade in den jüngeren Generationen sind diese inneren Motivationen ganz anders gelagert, außerdem bewegen sie sich viel im Digitalen, auf Social Media. Und für uns ist Ehrenamt so interessant und sexy, dass das viel mehr Sichtbarkeit im sozialen Umfeld und in der Öffentlichkeit haben sollte. Die eigene Community, das eigene Umfeld daran teilhaben zu lassen, das wollen wir zum Beispiel erleichtern. Der erste und wichtigste Schritt sind für uns die Vernetzung und die Sichtbarkeit. Das ist das, worauf wir uns derzeit konzentrieren. Was die Dankeschöns angeht: Da hängt es tatsächlich stark vom Segment ab. Menschen, die eher im Sozialen ehrenamtlich aktiv sind, tun sich schwer mit Gutscheinen und Ähnlichem. Das sieht in Sportvereinen ganz anders aus, wo Sponsoring durch Unternehmen seit Jahrzehnten völlig üblich und etabliert ist. Gerade weil das so unterschiedlich ist, setzen wir auf eine Whitelabel-Lösung.

Das heißt?

Das heißt, die Organisationen können selbst entscheiden, welche Bereiche sie für ihre Ehrenamtler freischalten. Also ob sie nur den digitalen Ehrenamtsnachweis ermöglichen oder eben auch mit Unternehmen für ein Dankeschön kooperieren. Wir haben da noch keine endgültige Blaupause. Wir wollen das möglichst iterativ, in ständiger Absprache mit den Zielgruppen aufbauen.

Was braucht es denn eurer Meinung nach noch, um das Ehrenamt in Deutschland zu stärken?

Mehr Projekte, die sich mit der Schnittstelle von Ehrenamt und Digitalisierung beschäftigen – und dass man dann über Experimente, Gespräche, kleine Projekte schaut, was passt, was funktioniert und nützt allen. Es gibt inzwischen großartige Projekte, die helfen, das passende Ehrenamt zu finden und Interessierte mit Organisationen zusammenbringen, beispielsweise von betterplace, Vostel oder GoVolunteer. Der nächste Schritt muss dann sein, diese Beziehung zu zu managen und zu pflegen. Dafür braucht es digitale Komponenten. Es sollte aber nicht darum gehen, das Ehrenamt vollständig zu digitalisieren. Letztlich bleibt es ein Offline-Thema, wo es um persönliches, direktes Engagement geht.

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Und von wem muss diese Innovationskraft kommen?

Von allen. Die Wohlfahrtsverbände müssen sich stärker für Innovationen und Digitales öffnen, der Staat muss stärker unterstützen und bessere Rahmenbedingungen geben. Hier in NRW soll das jetzt beispielsweise mit einer Förderung passieren, für genau solche Projekte, die Digitalisierung und Ehrenamt zusammenbringen. Genauso müssen aber Unternehmen mit an Bord geholt werden, die sind schließlich ebenso integraler Bestandteil unserer Gesellschaft. Und am Ende stehen wir als Bürger*innen in der Verantwortung, gerade die jungen Generationen.

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