Ökonom Tilman Santarius im Interview

„Zuckerberg ruiniert unseren Planeten“

Lesezeit:
7 minuten

17 July 2018
Wir nutzen digitale Technik überall und rund um die Uhr – aber nicht, um unser Leben grüner zu machen, mahnt Ökonom und Soziologe Tilman Santarius

Herr Santarius, meine Familie und ich kaufen online ein, haben statt Fernseher, Musikanlage und DVD-Player nur noch einen einzigen Laptop und unser Smartphone erspart uns unnötige Wege. Dürfen wir uns als Vorbilder des grünen Lifestyles sehen?

Wenn das Smartphone viele andere elektronische Geräte ersetzt, dann ist das ökologisch gesehen erst mal gut. Wenn Sie aber heute den Dauerbetrieb der Smartphones beobachten, dann dürfte der eben beschriebene Effekt wieder kleiner werden. Wir gucken Filme heute nicht nur abends auf dem Sofa, sondern jetzt auch in der U-­Bahn. Auf private Haushalte bezogen sehe ich keine Res­sourceneinsparungen. Insgesamt ver­brauchen wir eher mehr als zu analogen Zeiten.

Unsere Gewohnheiten sind schuld.

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Von Schuld würde ich nicht sprechen. Die Bedürfnisse einer Gesellschaft ent­wickeln sich mit den technischen Mög­lichkeiten weiter. Hätte man vor 20 Jah­ren gefragt, ob man ein Smartphone braucht, hätte niemand ja gesagt. Ande­res Beispiel: Online­-Shopping. Es gibt Studien, die belegen, dass es schon des­halb zu einem Mehrkonsum kommt, weil es eben wahnsinnig bequem ist, vom Sofa aus einzukaufen. Und billiger ist es außerdem.

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Wir konsumieren mehr aufgrund der gewonnenen Zeit und des gesparten Gelds?

Ja. Das nennt man Rebound­-Effekt: Geringere Kosten und gesparte Zeit sind letztlich Effizienzsteigerungen, und die ermöglichen uns, die Nachfrage zu stei­gern. Auf Unternehmensseite führen Effizienzsteigerungen zum Wachstum beim Output, und auch das frisst die Ein­spareffekte wieder auf.

Ein Teufelskreis.

Kein Unternehmen, das im Wettbewerb steht, wird sagen: Dank unserer effizien­teren Produktion können wir schon um elf Uhr vormittags das Licht ausmachen und alle nach Hause gehen.

Heißt im Umkehrschluss: Würden die privaten Haushalte und die Unternehmen heute so konsumieren und wirtschaften, wie sie es 1990 getan haben, wäre der Klimawandel kein Thema.

Das ist jetzt sehr zugespitzt, aber es gäbe auf jeden Fall einen großen Einspareffekt, den wir heute eben nicht haben.

Wir bekommen alle zwei Jahre ein Handy frei Haus, obwohl das alte noch voll funktionstüchtig ist. Werden wir zum Konsum gezwungen?

Kommt drauf an. Wenn ich ein Smart­phone nur haben will, weil es einfach toll aussieht, kann ich mich dem entzie­hen. Wenn Geräte aber altern und da­durch nicht mehr funktional sind, wird es schwierig. Neulich wollte ich mich mit einigen meiner Kollegen vernetzen, aber mein Handy hat die Software nicht mehr unterstützt.

Also mussten Sie mit einem neuen Gerät aufrüsten. Kann man sich überhaupt nicht gegen solchen Konsum wehren?

Wenn es darum geht, jedem Trend hin­terher zu hecheln, dann können Sie na­türlich sagen: Da mache ich nicht mit. In anderen Bereichen ist das schon schwieriger. Nehmen wir mal Whatsapp. Es ist für viele Menschen kaum noch vorstell­bar, wie man ohne den Messenger aus­kommen kann. Da habe ich für mich nur die radikale Lösung gefunden, von vorn­herein darauf zu verzichten.

Das Bundesarbeitsministerium sagt, mit dem digitalen Fortschritt sei ein Rückgang der CO2-Emissionen verbunden. Anfang diesen Jahres hat die Bundesregierung die Klimaziele aus dem Koalitionsvertrag gestrichen, weil sie nicht mehr realistisch sind. Wie passt das zusammen?

Zunächst muss man sagen, dass die Wirt­schaft im Vergleich zu den Bereichen Wohnen und privater Konsum sowie Verkehr am besten abschneidet, was die Verringerung der Emissionen angeht.

Woran liegt das?

Das liegt vor allem daran, dass die Wirt­schaft leichter politisch reguliert werden kann. Politiker scheuen sich eben davor, dem Wähler Vorschriften in seinem pri­vaten Bereich zu machen. Bei der Wirt­schaft haben sich die Umweltstandards positiv ausgewirkt, was erstmal zu einer Reduktion der Emissionen geführt hat. Gleichzeitig hat aber die damit verbundene Energie- und Ressourceneffizienz dazu ge­führt, dass insgesamt mehr produziert wird und die Einspareffekte verpuffen.

Gilt das auch für den Verkehr?

Ja, leider. Die gefahrenen Kilometer neh­men zu und damit auch die Emissionen.

Was ist mit den großen Lösungen, die immer propagiert werden, wie etwa die flächendeckende digitale Verkehrssteuerung für effizientere Ströme?

Wir nutzen mittlerweile digitale Assistenz­systeme im Auto, Navigationsgeräte zum Beispiel, die uns helfen, optimale Routen zu finden und Staus zu umfahren. Fracht- und Handelsunternehmen betreiben di­gital optimierte Just­-in-­Time-­Logistik für ihre LKW­-Routen. Und in Süddeutschland gibt es ein von der Bundesregierung initi­iertes Testfeld Digitale Autobahn, wo die Verkehrsträger untereinander kommuni­zieren und einen effizienten Verkehrsfluss erzielen. Theoretisch eignet sich das alles schon, um den Spritverbrauch zu senken und Abgase zu reduzieren. Aber weil der Verkehr dabei billiger, flüssiger und attrak­tiver wird, werden letztlich mehr Autos auf die Straßen kommen. Und der öffentliche Nahverkehr wird an Zulauf einbüßen. Eine solche Digitalisierung kann nicht im Sinne einer ökologischen Verkehrswende sein.

Wenn wir nicht grundsätzlich die Art und Weise verändern, wie wir konsumieren, arbeiten und uns fortbewegen, dann wird das nichts mehr mit der Klimawende, richtig?

Das Ding ist doch: Viele Menschen ändern ständig ihren Konsum, aber nicht zwingend in Richtung Nachhaltigkeit. Die Wirtschaft denkt sich laufend neue Produkte aus und weckt Konsumbedürfnisse, von denen wir bis vor Kurzem nicht wussten, dass wir sie jemals haben werden. Deshalb gehe ich persönlich davon aus, dass Digitalisierung ohne klare Gestaltung und Steuerung zu einem Mehr an Ressourcenverbrauch und Emissionen führen wird.

Es gibt Unternehmen, die einen Unterschied machen wollen, aber deren Bedeutung oft marginal bleibt: Das „Fairphone“ zum Beispiel hat kaum einen Marktanteil, ethische und ökologische Banken kommen nach wie vor nicht gegen die konventionellen Geldhäuser an. Wie soll da ein Turnaround funktionieren?

Wir müssen gestalten. Und weil wir das können, sehe ich es nicht so pessimistisch. Ökologische und soziale Innovationen ha­ben oft in Nischen begonnen. Es muss Vor­reiter geben, die oft selber das Geschäfts­modell gar nicht so weit optimiert haben, dass es mainstreamfähig wird. Ich kann mir zwar auch nicht vorstellen, dass Tim Cook morgen verkündet, Apple produziere ab sofort nur noch Fairphones. Aber wenn andere Anbieter ihre Geräte wie das Fair­phone modularer und reparierbarer anbie­ten und damit eine Vorbildfunktion ent­steht, werden die Mainstream­-Konzerne das irgendwann übernehmen müssen.

Gibt es ein Beispiel für Ihre Theorie?

Denken Sie an die ökologische Landwirt­schaft. Da gab es in den 70er-Jahren die ers­ten Bioläden, aber zunächst nur in Groß­städten. Dank des politischen Willens in Form des deutschen Bio-Siegels 2001 fin­den wir Biolebensmittel heute in fast je­dem Supermarkt.

Wo sehe ich in der digitalen Wirtschaft zwischen Google, Facebook und Snapchat so eine Erfolgsgeschichte?

Da fällt mir zum Beispiel Mozilla ein. Ein gemeinnütziges Unternehmen, das mit Firefox einen alternativen Browser ent­wickelt hat, der nicht im großen Stil Da­ten der Nutzer vermarktet und sich trotz­ dem am Markt behauptet.

Ich fasse mal zusammen: Die digitale Infrastruktur, die wir täglich nutzen, führt dazu, dass wir ein Mehr an Ressourcen verbrauchen und es keinen ökologischen Einspareffekt gibt.

Dazu kommen noch die Probleme mit dem Datenschutz.

Das hat aber keinen ökologischen Effekt.

Oh doch. Die Internet­-Giganten schrei­ben deshalb schwarze Zahlen, weil ihr Geschäftsmodell auf zielgenauer Online­-Werbung basiert. Google und Facebook haben sich letztes Jahr die Hälfte der ins­gesamt 270 Milliarden US-­Dollar Werbe­einnahmen geteilt. Durch den mangelnden Datenschutz wird letztlich eine laufende Konsumsteigerung provoziert, weil die Konzerne genau über die Vorlieben der Nutzer und ihrer Freunde Bescheid wis­sen. Da werden personalisiert Bedürfnisse geweckt, die niemand vorher hatte. Aber unser Konsumniveau ist ja leider schon zu hoch! Deswegen untergräbt Mark Zucker­berg mit seinem Geschäftsmodell nicht nur die Demokratie, sondern ruiniert auch unseren Planeten.

Ich sehe nicht, dass Konsumenten wirklich ihre Macht nutzen, dagegen anzugehen.

Denken Sie an „Google Glass“, die Daten­brille, die am Ende nicht auf den Markt kam, weil hier eine Grenze des Daten­schutzes überschritten wurde. Das ist ein Beispiel für Konsumentensouveränität.

Heißt aber auch, die Technik muss schon sehr übergriffig sein, damit die Vermarktungschancen gen null sinken.

Ich glaube sogar, es wird sich irgendwann eine Datenbrille durchsetzen. Das ist aber gar nicht das größte Problem. Viel gefähr­licher als die Technik an sich ist doch der gedankenlose Umgang damit. Wir müss­ten schon in der Schule lernen, mit digi­taler Technik kritisch umzugehen. Es ist gut zu wissen, wie man Apps installiert oder wie man programmiert, aber es ist mindestens genauso wichtig, auch ein Bewusstsein dafür vermittelt zu bekom­men, was Datenschutz, aber auch Res­sourcenverbrauch angeht. Wir brauchen ein Schulfach, das einen kritischen Um­gang mit Digitalisierung lehrt. Da passiert an den Schulen viel zu wenig, und da ist auch die Politik gefragt.

Und was kann ich selber tun gegen all die Entwicklungen, die Sie hier aufgezeigt haben?

Bei jedem Neukauf gut überlegen und stattdessen öfter teilen, etwa in der Haus­gemeinschaft oder über Sharing­-Commu­nitys im Netz. Wer in der Stadt wohnt, kann heute viel leichter Carsharing nutzen oder, noch besser, sich ein Rad leihen und sein privates Auto abschaffen. Auch im Bereich Datenschutz kann man viel machen. Aufhören mit Google zu surfen, sondern „Startpage“ nutzen oder „Ecosia“ als alternative Suchmaschinen. Außer­ dem empfehle ich, grüne Apps zu instal­lieren, die einem helfen können, nachhal­tiger zu leben. Es gibt zum Beispiel von Greenpeace eine neue „Challenge­-App“, den „Tastyvist“, die einem auf spielerische und unterhaltsame Weise tägliche Aufgaben aufs Smartphone schickt, um den eigenen Fleischkonsum zu überden­ken. Perfekt für Menschen, die sich vor­ genommen haben, etwas in ihrem Leben in diese Richtung zu ändern.

Das gilt für den Einzelnen. Was sind die großen gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen im Zuge der Digitalisierung?

Es ist absehbar, dass durch die Digitali­sierung in vielen Bereichen Arbeitsplätze wegrationalisiert werden. Die Frage ist, wie können wir das sozial auffangen? Es gibt Studien, die gehen von 40 oder 50 Prozent weniger Jobs in den nächsten Jahrzehnten aus. Aber selbst, wenn nur zehn Prozent der Jobs durch Roboter wegfallen, wäre das bereits ein großes soziales Problem. Auch wenn man die Jobs gegenrechnen muss, die durch Digitalisierung neu entstehen, wie Systemprogrammierer oder Software­-Ent­wickler, wird nicht mehr genügend Arbeit für alle zu Verfügung stehen. Hier kommen wir von der ökologischen zur sozialen He­rausforderung der Nachhaltigkeit, die wir in unserem Buch „Smarte grüne Welt“ ad­ressieren. Aber beides bedingt sich. Denn wer seinen Job verliert oder weniger Ein­kommen zur Verfügung hat, der wird wie­derum weniger bereit sein, in seinem All­tag in die ökologische Transformation zu investieren.

Wie kann man da gegensteuern?

Im 19. Jahrhundert waren billige Arbeits­kräfte der Treibstoff für die Industriali­sierung. Das führte dazu, dass der Faktor Arbeit besteuert wurde, um Gemeinwohl­aktivitäten zu finanzieren. Im 21. Jahr­hundert müssen wir den Zusammenhang neu denken: Wir sollten nun Daten und die Digitalisierungsgewinne in den Bereichen besteuern, in denen menschliche Arbeit durch Algorithmen und Roboter ersetzt wird. Mit diesen Mitteln können wir öffentliche Ausgaben finanzieren und personennahe Dienstleistungen, also die „Care­-Economy“ ausbauen. Wir sollten die Früchte des technologischen Fortschritts im Sinne des Gemeinwohls ernten und da einsetzen, wo Roboter auch auf längere Sicht keine Akzeptanz finden werden, zum Beispiel in Krankenhäusern, Schulen oder Altenheimen.

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Ihr Appell richtet sich an die Politik.

Ja. Aber auch an die Zivilgesellschaft. Die muss Druck ausüben auf Wirtschaft und Politik, eine Antwort auf die Frage zu ge­ben, wie wir die Digitalisierung nachhaltig gestalten können. Im November 2018 veranstaltet mein Team in Zusammenar­beit mit vielen anderen Organisationen aus der umwelt­- und der netzpolitischen Szene in Berlin einen großen Kongress, um Forderungen für die politische Gestal­tung einer nachhaltigeren Digitalisierung zu entwickeln. Derzeit beschränkt sich Digitalpolitik noch auf den Breitbandaus­bau und auf Tablets in allen Schulen. Bis­her haben wir noch keine öffentliche Dis­kussion darüber, wie eine transformative Digitalpolitik aussehen kann. In unserem Buch machen wir da den allerersten Auf­schlag. Wenn wir eine Digitalpolitik wol­len, die dem Gemeinwohl und der Umwelt dient, müssen wir das auch endlich ganz klar adressieren.

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