Fairphone-Chefin Eva Gouwens
„Kapitalismus kann eine enorme Kraft für Gutes sein”
4 minuten
10 December 2019
TITELBILD: FAIRPHONE
Auch das Fairphone 2 konnte man schon gut auseinanderbauen, mit dem Nachfolgemodell wollte das Unternehmen das noch vereinfachen.
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10 December 2019
Frau Gouwens, was würden Sie eher empfehlen: Ein gebrauchtes Smartphone zu kaufen oder das neue Fairphone?
Das ist eine schwierige Frage. Ich würde beides empfehlen. Natürlich bin ich nicht objektiv, weil ich für Fairphone arbeite. Weil ich liebe, was wir erreichen wollen und weil ich wirklich an die Bewegung, die dahinter steht, glaube. Aber ich glaube auch, dass es gut ist, ein gebrauchtes Smartphone zu kaufen.
Sie nennen ihr Smartphone „Fairphone“. Dennoch werden für die Produktion einige Ressourcen verbraucht, die wirklich wertvoll sind, und die meiste Arbeit wird in Länder des Globalen Südens outgesourced. Kann man ein Handy überhaupt fair nennen?
Ich denke der Begriff „fair“ macht gleich deutlich, was wir mit unserer Arbeit erreichen wollen. Nämlich die Industrie hinter Smartphones zu verändern. Wir behaupten nicht, dass wir einhundert Prozent faire Smartphones herstellen. Wir nennen das Fairphone 3 ein „faireres Handy“.
Was würden Sie sagen, ist der entscheidende Hebel für eine fairere Smartphone-Herstellung? Ist es das Konsument*innenverhalten, das Verhalten der Produzenten oder eher das Verhalten des Staates und somit die Gesetzgebung?
Was ich gelernt habe, ist, dass es dabei nicht um einen einzelnen Kernkomponenten geht. Wir müssen uns alle gemeinsam bewegen. Wenn mehr und mehr Menschen sich in dieselbe Richtung entwickeln, kann man tatsächlich schnell Veränderung bewirken. Dennoch sehe ich, dass die Hersteller von Produkten Schlüsselpositionen in dieser Entwicklung haben. Deshalb starteten wir mit Fairphone. Konsumenten können dann durch ihre Kaufwahl die Entwicklung mitlenken. Und die Regierung sollte gute Ausgangsbedingungen und Chancengerechtigkeit schaffen. Aber die Produzenten von Marken tragen auf jeden Fall eine sehr große Verantwortung.
Fairphone muss dabei mit vielen weiteren großen Firmen mithalten. Denken Sie, die anderen Unternehmen werden folgen?
Bis Fairphone auf demselben Level agiert wie andere große Unternehmen, haben wir noch einen langen Weg vor uns. Aber ich beziehe mich immer auf das Zitat von Anita Roddick, der Gründerin von The Body Shop: „Wenn du denkst, du bist zu klein, um Einfluss zu nehmen, versuche, mit einer Fliege im Zimmer einzuschlafen.“ Ich glaube aber auch, dass es viel schneller geht, wenn wir uns zusammentun. Wenn andere Unternehmen auch Verantwortung übernehmen und ihre Geschäftsmodelle ändern, dann glaube ich, kann es ganz schnell gehen.
Sehen Sie andere Smartphone-Unternehmen denn in eine nachhaltige Zukunft gehen?
Ja, es wird mehr und mehr auf dem ganzen Globus. Unsere Welt wird immer transparenter – Unternehmen fühlen sich deshalb mehr und mehr in der Pflicht, zu zeigen, was hinter der Wertschöpfungskette steckt. Nachhaltigkeit wird so auch bei den großen Elektronikunternehmen ein immer wichtigeres Thema. Meistens aber nicht aus einer intrinsischen Motivation heraus, sondern weil Verbraucher danach fragen. Sie übernehmen so nicht wirklich Verantwortung für Mensch und Erde.
Wie Bas van Abel, der Gründer von Fairphone, sagt, ist es schwierig, ein Handy zu produzieren und vor allem ein faires Handy – warum?
Weil ein Handy so komplex ist. Wir wollen zeigen, welche Komponenten alle dazugehören und wie die Lieferkette Schritt für Schritt funktioniert. Wenn du nicht weißt, was alles mit der Herstellung eines Produktes zusammenhängt, ist es einfach, die damit verbundenen Auswirkungen zu ignorieren. Wir wollen, dass sich viel ändert, arbeiten dazu mit verschiedensten Menschen zusammen und da ist es nicht immer einfach, diese zu überzeugen, anders zu handeln. Vor allem auch, weil wir gerade noch ein kleines Unternehmen sind und sie von unserer Zusammenarbeit nicht viel gewinnen können. Das ist oft schwierig aber auch immer spannend für uns.
Warum gibt es seit August mit dem Fairphone 3 ein neues Fairphone?
Natürlich ist das immer ein Dilemma, wenn man ein neues Smartphone produziert, sieht man sich das alte an und fragt sich, ob das überhaupt noch ein gutes Handy ist. Aber das Fairphone 2 war schon vier Jahre alt und ich denke, nach dieser Zeit kann man es sich leisten, ein neues Smartphone herauszubringen. Wir mussten auch die Software weiterentwickeln und die Möglichkeit erweitern, Teile auszutauschen.
Sie sind CEO von Fairphone. Was wünschen Sie sich für das Unternehmen?
Was ich mir wirklich wünsche, ist es, Einfluss auf die Industrie nehmen zu können. Dass wir mit mehr Menschen eine Veränderung erreichen können. Und das wünsche ich mir nicht nur, das machen wir auch bei Fairphone.
Den Kapitalismus unterstützen und gleichzeitig nachhaltig sein. Geht das?
Ich sehe viel Kraft im Kapitalismus. Das einzig Komische in unseren Köpfen ist es, zu denken, Ressourcen sind umsonst. Nach dem Motto: „Nutze es, es ist deins und mache damit, was auch immer du willst.“ Wenn wir unsere Denkart und gewisse Spielregeln im System ändern, kann Kapitalismus eine enorme Kraft für Gutes sein. Menschen können davon profitieren, wie unter anderem die Arbeiter in Mienen oder Industrien, die mehr Lohn erhalten. Ich glaube nicht daran, dass Kapitalismus und Nachhaltigkeit nie miteinander vereinbar sein können. Das Problem ist nur, dass wir etwas nutzen, wegwerfen und uns dann nie mehr darum kümmern. Das ist nicht nachhaltig.
Man kann also Vorteile für den sozialen Sektor schaffen. Dennoch müssen für Smartphones immer Ressourcen genutzt werden, die man zum Teil nicht wieder in den Kreislauf zurückführen kann.
Ja, aber wenn man zum Beispiel das Gold der Minen nimmt, gibt man dafür den Menschen, die dort arbeiten, einen Lebensunterhalt. Wir haben auf jeden Fall noch nicht alle Lösungen gefunden. Aber als Firma haben wir uns auch um den Elektromüll und vieles Weiteres gekümmert. Ich glaube, es ist eine Illusion zu denken, dass wir nur noch durch Recycling leben können. Aber wenn wir einige Regeln beachten, können wir nachhaltiger leben. Dazu gehört unsere Handys so lange es geht zu nutzen, dann ein Handy zu besitzen, in dem die Einzelteile wieder genutzt werden können und nicht alles zusammengeklebt wurde und insgesamt eine größeres Verständnis davon zu haben, was hinter Smartphones und deren Produktion steht. Wir müssen mehr Lösungen finden und Dinge hinterfragen. Es funktioniert nur Schritt für Schritt.
Wenn Sie sich eine ideale Welt vorstellen: Wie würden wir dort Handys nutzen?
Ich hätte gerne ein Handy, das mir ein Leben lang bleibt, es wäre vollkommen modular – alle Einzelteile könnten auseinandergenommen und wiederverwendet werden. Außerdem würde ich es häufig einfach mal weglegen.