Nachhaltige Finanzen
Platzt bald die Kohlenstoffblase?
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15 September 2018
Titelbild: Yosh Ginsu/Unsplash
Die Kohlenstoffblase nimmt bedrohliche Ausmaße an – platzt sie, könnte das den Finanzmarkt in eine verheerende Krise stürzen
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15 September 2018
Mehr als 3500 Polizisten, ein mehrwöchiger Einsatz und unzählige Aktivisten, die sich aus ganz Deutschland aufmachen. Der Hambacher Forst ist in den letzten Jahren zu einem Symbol für eine verfehlte Klimapolitik geworden. Klimaschützer besetzen den Wald seit 2012, seitdem kann der Energieriese RWE – dem das Gebiet offiziell gehört – nicht roden, um an die darunterliegende Kohle zu kommen. Das soll sich jetzt ändern.
Mithilfe von Politik und Polizei will RWE sein Recht nun endgültig durchsetzen und lässt die Camps im Wald räumen, damit ab Oktober die ersten Bäume fallen können. Offiziell sollen damit Brandschutzbestimmungen durchgesetzt werden, wie NRW-Landesbauministerin Ina Scharrenbach (CDU) feststellte. Abgesehen davon, dass sich selbst Polizeigewerkschaften und gefühlt ganz Deutschland außer RWE gegen die Rodung stellen – zumindest solange die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission noch tagt: Dieses Festhalten an fossilen Brennstoffen ist natürlich schädlich für das Klima – mittel- bis langfristig aber auch für die Wirtschaft, besonders die Finanzmärkte.
Kohlenstoffblase: fossile Brennträger überbewertet
Die Problematik ist relativ schnell erklärt: Fossile Energieerzeugung war über Jahrzehnte ein profitables Geschäft. Erneuerbare Energien werden aber immer billiger, gleichzeitig setzen das Pariser Klimaschutzabkommen und das gestiegene Bewusstsein für die Klimakrise die alten Energieriesen unter Druck. Unternehmen, die also in fossile Brennstoffe investiert haben, sind demnach überbewertet.
Die britische „Carbon Tracker Initiative“ hat dafür den Begriff der „Kohlenstoffblase“ (carbon bubble) etabliert, schon 2013, zwei Jahre vor Paris. Mehr noch: Der betreffende Bericht mit dem Namen „Wasted capital and Stranded Assets“ hat das Vokabular und wie wir über die finanziellen Risiken von fossilen Energieträgern reden, grundlegend verändert, wie auch der Guardian bemerkt.
Beispielsweise mit dem Begriff „unburnable carbon“: Will die Menschheit die menschengemachte Erderwärmung unter zwei Grad halten, so Carbon Tracker, dürften 60 bis 80 Prozent der derzeit bekannten Vorkommen von Kohle, Öl und Gas, die sich bereits in der Hand von Unternehmen befinden, gar nicht verbrannt werden. Was die Vorkommen, die als Vermögenswerte in den Bilanzen der Konzerne geführt werden, wertlos macht.
„Gestrandete Vermögenswerte“ werden zum Problem
Auch dafür hat Carbon Tracker einen Begriff gefunden und geprägt: „stranded assets“, also „gestrandete Vermögenswerte“. Darunter fallen auch Investments in Kohlekraftwerke, die etwa mit fortschreitender Energiewende unrentabel und nicht die anfangs versprochenen Renditen einfahren können.
Wie groß das Problem tatsächlich ist, hat jüngst eine Gruppe aus US-amerikanischen Ökonomen und Politikwissenschaftlern berechnet. Ihren Simulationen zufolge könnte bis 2035 allein der technische Fortschritt einen Großteil der fossilen Vermögenswerte wertlos machen.
Nimmt man dann noch den Klimaschutz mit verschärften Gesetzen und Regulierungen mit in die Betrachtungen, könnte eine Blase von einer bis vier Billionen US-Dollar platzen. Zum Vergleich: Während der Finanzkrise mussten US-amerikanische und europäische Banken zwischen 2007 und 2010 etwa drei Billionen Dollar abschreiben. In der Folge kam es bekanntlich zu einer weltweiten Wirtschaftskrise. Ähnliche Auswirkungen stehen beim Platzen der Kohlenstoffblase zu befürchten.
Gefahr bei bestehenden und geplanten Investments
Dabei bereiten zum einen natürlich die bestehenden Investments Sorgen. Beispielsweise kommt derzeit einiges an Bewegung in den CO2-Emissionshandel. Lange als zahnloser Tiger verschmäht, haben sich die Preise für die Zertifikate innerhalb eines Jahres etwa vervierfacht. Zwar werden auch Spekulationen dafür verantwortlich gemacht, doch die EU will die Zertifikate im kommenden Jahrzehnt deutlich verknappen. Spätestens dann verteuert sich natürlich vor allem der Betrieb von CO2-intensiven Anlagen wie Kohlekraftwerken auch dauerhaft. Die müssen zudem mit einer hohen, dauerhaften Auslastung laufen, um überhaupt rentabel zu arbeiten.
Eine Analyse des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Bundestag kam deswegen schon 2012 zu dem Ergebnis: „Die Wirtschaftlichkeit von Kraftwerksneubauten mit hohen Kapitalkosten“ – wie eben Kohlekraftwerke – „wird sich ohne weitere Eingriffe in den Markt im Vergleich zu Kraftwerken mit niedrigeren Kapitalkosten verschlechtern.“ Zwar sind hierzulande so gut wie keine neuen Kohlenmeiler geplant, doch global sieht das ganz anders aus. So warnen das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in einer gemeinsamen Studie, dass der vermeintliche Untergang der Kohle womöglich zu früh ausgerufen worden sei.
Kohlenstoffblase als globales Problem
„Zwar hat China jüngst weniger auf Kohle gesetzt und vielleicht sogar den Höhepunkt seiner CO2-Emissionen überschritten“, sagt Ottmar Edenhofer, Chefökonom des PIK. „Doch der Untergang der Kohle wurde zu früh ausgerufen: Neueste Daten zeigen auch, dass China zunehmend in Kohlekraftwerke im Ausland investiert.“
Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern, so die Analysten weiter, könnten die erneuerbaren Energien auch noch nicht mit den billigen Kosten für Kohle, Öl und Gas mithalten, daher sei der Boom der fossilen Brennträger dort noch lange nicht vorbei. Allein die Kapazität der in der Türkei, Indonesien und Vietnam geplanten neuen Kohlekraftwerke ist so groß wie die aller Kohlekraftwerke in der EU zusammen. Die Kohlenstoffblase ist also auch ein globales Problem.
Bleibt die Frage: Wie lässt sich das Problem lösen? Eine Antwort ist sicher politischer Art. Je schneller und strenger Vorgaben vom Gesetzgeber und der internationalen Staatengemeinschaft kommen, desto geringer sind natürlich die Anreize, beispielsweise weiter umweltschädliche Kraftwerke zu bauen. Zwar käme es auch dann zu erheblichen Verlusten und gestrandeten Vermögenswerten. Doch das wäre eher ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Zauberwort Divestment
Carbon Tracker empfiehlt zudem Politik, Investoren, Ratingagenturen und Analysten gleichermaßen, Aspekte wie die Auswirkungen der Klimakrise oder den CO2-Ausstoß stärker ins Risikomanagement mit einzubeziehen. Das würde automatisch die Kosten für CO2-intensive Investments erhöhen.
Auf der anderen Seite könnte man Geschäftsmodelle stärker belohnen, die kohlenstoffarm wirtschaften.
Ein weiterer Ansatz sind die zehn Thesen für eine nachhaltige Finanzwirtschaft vom Hub for Sustainable Finance. Gerade aus Anlegersicht lautet das Zauberwort natürlich Divestment, also das gezielte Abziehen von Investments. Irland oder der berühmte norwegische Pensionsfonds haben bereits öffentlichkeitswirksam angekündigt, kein Geld mehr in Kohleunternehmen zu stecken. Selbst die Deutsche Bank will ihre Kohleinvestments zurückfahren.
Doch natürlich gilt auch hier: Das macht bisherige Anlagen nicht ungeschehen. Und je mehr Geld stattdessen in erneuerbare Energien fließt – Stichwort technologischer Fortschritt – desto schneller werden auch im Falle massiver Divestments die Vermögenswerte in fossilen Brennträgern wertlos.
Insgesamt wird sich so etwas wie ein kleines Platzen der Kohlenstoffblase nicht endgültig vermeiden lassen. Schließlich sind die Renditehorizonte bei Kraftwerken eher auf Jahrzehnte statt Jahre angelegt. Und es geht um Unsummen.
RWE beispielsweise hat den Bau von BoAplus, einem neuen Block für das Braunkohlekraftwerk Niederaußem, auf Eis gelegt. Allein die Gebühr für den „immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsauftrag“ liegt bei mehr als zwei Millionen Euro.
Auch Verbraucher können vorsorgen
Im Corporate-Responsibility-Bericht für 2016 gibt RWE zu: „Unter den gegebenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen würden wir allerdings derzeit keine positive Bauentscheidung treffen.“
Für den Kohlekonzern – und das Klima – ergibt sich dadurch ein weiteres Problem. Denn weil RWE um jeden Preis an der Braunkohle festhält – siehe Hambacher Forst – hat das Unternehmen auch nur wenige Möglichkeiten, CO2 einzusparen. Die wichtigste: modernere Kraftwerke wie BoAplus. Werden diese nicht gebaut, weil die Renditeerwartung zu gering ist, wird der Strom weiter mit alten, schmutzigen Meilern erzeugt.
Als Verbraucher und Privatanleger kann man dagegen natürlich nicht viel tun. Aber man kann relativ einfach dafür sorgen, dass das eigene Geld nicht in fossile Brennstoffe fließt und stattdessen nachhaltig investiert wird: Grüne Geldinstitute wie die Triodos Bank, GLS Bank, Ethikbank oder Umweltbank haben strenge Vorgaben, worin sie investieren – Kohle-, Rüstungs- und Atomunternehmen gehören beispielsweise nicht dazu. Im Gegenteil: „Kredite für erneuerbare Energien, insbesondere Photovoltaik und Windkraft, und Baukredite sind Spitzenreiter bei den meisten nachhaltigen Banken“, erklärt Cosima Stahr, Leiterin der Themenbereiche Green Economy, Sustainable Business und Green Finance beim Berliner Think Tank Adelphi.
Das ist wahrscheinlich auch der größte Unterschied zum großen Crash 2008: Die Klimakrise ist derzeit das bestimmende Thema auf der globalen politischen Agenda, entsprechend ist die Gefahr einer finanziellen Kohlenstoffblase zumindest irgendwo im Bewusstsein von Wirtschaft und Politik verankert. Wirtschaft, Politik und Verbraucher können sich vorbereiten – und entscheiden, ob sie weiter Luft in eine Blase geben oder nachhaltige Investments in saubere Energie stärken.