Stadtentwicklung
Links abbiegen für Lunge und Ohren
3 minuten
22 September 2017
Titelbild: Robert Ziemi / Pixabay
Barcelonas Superblocks schaffen Platz zur Entfaltung
3 minuten
22 September 2017
Eltern trinken auf dem Trottoir Kaffee, ihre Kinder spielen auf der Straße. Spielplätze statt Betonwüsten, Bäume statt Antennen. Sonntag ist Flohmarkt. Galt früher die Stadtautobahn als Aushängeschild einer modernen Stadt, sind es heute attraktive Wohnviertel, die für den zukunftsorientierten Wandel des urbanen Lebens stehen.
Barcelona möchte ihren Bewohnern diese Viertel bieten – indem es einige Straßenschilder austauscht. Die Idee, die sich allzu einfach anhört, schaffte es 2017 ins Finale um den C40 Cities Bloomberg Philantrophies Award. Die Stiftung zeichnet weltweit besonders innovative Klima-Projekte aus und kürt den Sieger im Dezember.
Was ist ein Superblock?
Die neuen Schilder sind Teil eines größeren Plans. Sie organisieren nämlich sogenannte Superblöcke. Was sich eher nach einer Bausünde getreu dem Motto „höher, schneller, dichter“ anhört, entpuppt sich als Oase der Entschleunigung. „Superblöcke schneiden Quartiere vom Durchgangsverkehr ab, um die Einwohner zu überzeugen, das Auto stehen zu lassen“, erklärt Professor Oliver Schwedes, der an der Technischen Universität Berlin zu Verkehrspolitik und Stadtentwicklung forscht.
Barcelonas Straßen gleichen größtenteils einem Schachbrettmuster, wie man es auch aus Manhattan kennt. Ein Quadrat neun normaler Häuserblöcke bildet einen Superblock, in dem ein Tempolimit von zehn Stundenkilometern gilt. Innerhalb des Superblocks verlaufen die einspurigen Einbahnstraßen direkt neben den Bordsteinen, wo sich zuvor Parkplätze aneinander reihten. Die ehemalige Fahrbahn und die Kreuzungen gestaltet Barcelonas Stadtverwaltung nun mit Sportplätzen und kleinen Parks inklusive Sitzgelegenheiten.
Fährt ein Auto in einen Superblock hinein, kommt es auf der gleichen Seite auch wieder heraus. Die Einbahnstraßen zwingen es dreimal zum Linksabbiegen. Anstatt den Superblock zu durchfahren, schleicht es um einen normalen Block ohne Parkplätze. Diese Fahrt macht nur noch für Anwohner Sinn.
Gut für Luft, Lärm und Lunge
„Der Erfolg ist eindeutig messbar“, sagt Professor Schwedes. Um die Superblöcke herum reduzierte sich der Autoverkehr um 26 Prozent, innerhalb dieser sogar um mehr als 40 Prozent. Dafür stieg die Anzahl der Fahrradfahrten um ein Drittel.
Schwedes selbst hat im Rahmen eines EU-Projekts die Superblöcke im baskischen Vitoria-Gasteiz untersucht. Dort konnten die Forscher eine längerfristige Bilanz ziehen, da die Stadt schon 2008 begann, Superblöcke einzurichten. Die Fläche für Fußgänger wuchs von 45 auf 74 Prozent. Der durchschnittliche Lärmpegel sank um fast 10 Prozent, der Ausstoß von Kohlenstoffdioxid und Stickoxiden fiel um 42 Prozent und die Belastung durch Feinstaub um 38 Prozent. Beeindruckende Zahlen für eine Maßnahme mit derart geringem Aufwand!
Das Beispiel Vitoria beweist, dass Superblöcke auch ohne Straßen im Schachbrettmuster funktionieren. „Viel wichtiger als städtebauliche Kriterien ist die Zustimmung der Bevölkerung“, meint Schwedes. „Am besten baut man auf Bestehendem auf.“
In Berlin könnte das die Parkraumbewirtschaftung sein. Das gebührenpflichtige Parken soll Pendler davon abhalten, das Auto in der Innenstadt abzustellen. Das verringert den Parksuchverkehr, der in Berlin fast 30 Prozent des gesamten Autoverkehrs ausmacht. Und es sorgt für weniger Fahrzeuge auf den Bürgersteigen.
Den Wandel erleben
„Wer die Menschen überzeugen will, muss sie informieren. So nimmt man Sorgen“, rät Schwedes. Als Beispiel nennt der Mobilitätsforscher die Schönhauser Allee in Berlin. Als dort Radwege Parkplätze verdrängen sollten, fürchteten die Geschäftsinhaber, dass die Kunden wegbleiben. Eine Studie ergab jedoch, dass der Großteil ihrer Kunden zu Fuß oder mit dem Rad kommt. Die Parkplätze dagegen nutzten fast nur Dauerparker. In Barcelona siedelten sich sogar wieder mehr Einzelhändler in den verkehrsberuhigten Quartieren an. Wenn die Menschen schlendern statt rasen, bummeln sie auch eher durch die Läden.
Manche Städter stehen sich allerdings immer noch selbst im Weg. Sie beschweren sich über zu viele Autos auf dem Bürgersteig und stellen ihr eigenes selbst dort ab. „Statistiken helfen hier nicht. Die Menschen müssen die neue Atmosphäre erleben, zum Beispiel auf Stadtfesten“, erzählt Schwedes. Anfang der 90er Jahre sperrte Berlins Stadtverwaltung das Brandenburger Tor für den Autoverkehr. Es musste renoviert werden. Die Menschen genossen das Schlendern, Stehen und Schauen auf dem Pariser Platz derart, dass er bis heute autofrei geblieben ist. Dagegen kam selbst der ADAC nicht an, der täglich zwischen den Säulen für die Öffnung der Straße warb.
Für den Bürger denken
Trotz aller Begeisterung für die Superblöcke: „Für eine autofreie Innenstadt brauchen wir einen integrierten Ansatz“, gibt Schwedes zu Bedenken. „Jede Maßnahme muss von weiteren Ideen flankiert werden.“ Als Stockholm entschied, eine City-Maut zu erheben, baute es erst den Busverkehr aus und etablierte das Car- und Bikesharing. Freiburgs Stadtteil Vauban verbannt Autos aus manchen Quartieren komplett. Zuvor schloss man das Viertel aber an das Bahnnetz an und errichtete zwei exklusive Parkhäuser für die Einwohner außerhalb der autofreien Zonen. Vaubans Quartiere konnten auf den Startvorteil zählen, dass sie erst Ende der 90er Jahre auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne errichtet wurden – sozusagen am Reißbrett. Die Planer mussten keine gewachsenen Strukturen aufbrechen.
Es tut sich also was in den Städten dieser Welt. Ob in Barcelona, Stockholm oder Freiburg. Die Menschen wollen nachhaltiger leben und verlangen Raum, um sich zu entfalten. Dazu müssen Großstädte sauberer, leiser und gesünder werden. Knüpfen sie an ihre Traditionen an, kann der Wandel gelingen. Er ist bereits in vollem Gange.